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Wie für jede spezielle Berufsgruppe haben sich verschiedene Verlage auch auf uns Lehrer spezialisiert. Eine Vielzahl von Magazinen und Zeitschriften buhlt um unsere Aufmerksamkeit und nicht wenige bekommen wir als Werbeexemplar gratis auf den Tisch.

Einige sind ganz spannend, andere auch – aber auf andere Art.

Anfang der Woche lag die Zeitschrift “Forum Schule” auf meinem Platz mit dem großen Aufmacher “Zuckerbrot und Peitsche? – Sinnvolle Sanktionen in der Schule”.
Natürlich sind “Strafen” in der Schule ein ebenso heißes Thema, wie zum Beispiel Schläge in der Erziehung. Aber es ist auch etwas, dass uns Lehrer sofort anspricht. Als wir als Referendare angefangen haben, war die Frage nach dem Umgang mit Störungen die drängendste Frage eines jeden von uns. Klar: Der “neue Lehrer” muss erstmal getestet werden – was geht bei dem, was nicht?

Besonders interessant in der Zeitschrift ist meines Erachtens das Interview “Stärken statt Strafen” mit Walter Spiess. Er plädiert dafür, “…auf Strafen komplett zu verzichten. Lehrer könnten es schaffen, Schülern Respekt und Disziplin beizubringen, ohne sie zu Sündenböcken zu machen.” (S.11)
Interessantes Statement. Spiess verdeutlicht, wie er zum Beispiel über Gespräche Zugang zu gewaltbereiten Schülern suchen würde, um ihnen deutlich zu machen, wo ihr Fehlverhalten lag.

Hmm.

Irritierend finde ich hier, dass Professor Spiess kein Lehrer ist, sondern eben Professor. Und aus dem Hörsaal heraus scheint es mir leichter, pädagogische Grundsätze zu formulieren und Dogmen aufzustellen. Aber mit der Praxis hat das manchmal nichts zu tun.

Ich selbst betrachte Strafen auch nicht als rein negativ.
Natürlich wird bei mir kein Schüler vor den anderen gedemütigt oder muss hundertmal irgendeinen Quatsch an die Tafel schreiben. Aber immer wieder kommt es vor, dass einzelne Schüler “austesten”, wo meine Grenzen liegen. Einige wenige überschreiten sie und an dieser Stelle bin ich nicht der Typ Lehrer für aufklärende “Gespräche”. In den vergangenen zwei Jahren habe ich drei oder vier Schüler eine Stunde lang nachmittags nachsitzen versäumten Stoff nacharbeiten lassen und vielleicht vier weitere mit Aufsätzen über sinnvollen Umgang miteinander ‘bestraft’ (hier ein Beispiel). Fast ausnahmslos lag der Ursprung des Ärgers in Vertretungsstunden – also im Umgang mit Schülern, die mich aus dem regulären Unterricht nicht kennen und wo die größten Chaoten der Schule motiviert sind, meine Grenzen auszutesten.
Was haben die nun aus ihren Strafen gelernt?
In erster Linie, dass sie mir respektvoll begegnen müssen, denn sonst tut es weh. Sie – und vor allem alle anderen Mitschüler – wissen, dass ich klare Grenzen habe und durchaus bereit bin, mich jedem Ärger zu stellen.
Dadurch habe ich insgesamt so gut wie keine Disziplinschwierigkeiten. Weder in meinem Unterricht, noch außerhalb. Denn jeder weiß um die Konsequenzen.  Und das bringt mich dazu, einen sehr lockeren Unterrichtstil zu pflegen mit einem sehr großen Anteil an Freiarbeit. Die Schüler genießen nun, da meine Rolle als Lehrer nicht untergraben wird, große Freiheiten.

Was mich zurück zu dem Interview führt.

“Stärken statt Strafen”.
Ich würde behaupten: Durch Strafen kann ich Stärken.
Indem ich den Chaoten klare Grenzen aufzeige und ihnen u.U. durch schmerzhafte Lektionen (“Nacharbeit, Aufsatz, Hofdienst, …”) beibringe, sich mir und anderen gegenüber respektvoll zu verhalten, lernen sie Sozialverhalten. Im Lehrerjargon heißt das: Stärkung der Sozialkompetenz.
”Zuckerbrot und Peitsche” ist eine (niedrige) Form der Kommunikation miteinander und ich bin der Meinung, dass es Schüler und Situationen gibt, die man nur auf dieser Ebene erreichen bzw. lösen kann. Sobald ein gewisses Niveau an Verstand, Verhalten und Respekt vorhanden ist, braucht man meines Erachtens keine Strafen mehr – aber dieses Niveau findet sich vor allem im Hörsaal. Meistens in der Schule. Nicht immer in Vertretungsstunden in der Mittelstufe.

Oder nicht?

8 Gedanken zu „Zuckerbrot und Peitsche“

  1. Du sprichst in Deinem Artikel einen ganz wesentlichen und zentralen Punkt an, der jedem Kollegen früher oder später auffällt:

    Ein Großteil der Leute, die Lehrern erzählen wollen, wie „es“ geht (dabei kannst Du „es“ durch beliebige Schlagworte ersetzen, in diesem Fall wäre es „Umgang mit Störungen“, Du kannst aber auch „Unterrichten“ oder „Korrigieren“ oder „Fördern“ oder „Fordern“ oder „Planen“ oder „Reflektieren“ oder, oder, oder nehmen) sind keine Lehrer. Im schlimmsten Fall sind sie es nie gewesen. Oder sie haben nach dem Referendariat den Weg zurück in die kuschelige Uniwelt gesucht. Oder sie sind nach 10 Jahren entnervt aus dem Job ausgestiegen und verdingen sich nun als Fortbildner und/oder Weltverbesserer. (Ich pauschaliere, ich weiß und: Ja, es gibt natürlich rühmliche Ausnahmen!)

    Ich stehe den Aussagen dieser Menschen auch immer mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber – es stimmt zwar, dass man „nicht Selbstmord begangen haben muss, um zu wissen, dass er tötet“ (beliebtes Argument), aber ich bin dennoch fest davon überzeugt, dass viele der „gut gemeinten“ Dinge, die von aussen an die Schule herangetragen werden, an der Schulrealität zerbröseln wie ein trockenes Brötchen.

    Und das liegt schlicht und ergreifend u.a. daran, dass Schule sich in den letzten Jahren derart rasant verändert hat, dass jemand, der „vor 10 Jahren für 5 Jahre Lehrer war“, wohl kaum noch eine Idee davon haben wird, wie Schule inzwischen aussieht.

    Für mich ist daher grundsätzlich wichtig, dass ich Aussagen von Nicht-Lehrern an der Schulrealität messen kann. Vieles hat dann schnell keinen Bestand mehr, weil es zwar theoretisch gut klingt, aber nicht praxiskompatibel ist. Wohl gemerkt: Vieles. Es gibt die Ausnahmen. Aber die muss man suchen.

  2. Auf Strafen komplett zu verzichten? Das kann man ja zunächst mal an Erwachsenen ausprobieren, die sind angeblich sehr reif und einsichtig. Schaffen wir doch mal testweise alle Strafen ab, mit denen Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung belegt sind. Geschwindigkeitsbeschränkungen und Parkregelungen werden doch bereits regelmäßig verletzt, wenn sie mit Strafen verbunden sind. Was wird dann wohl passieren, wenn jedes Fehlverhalten straffrei sein wird?

  3. Ich kann nur zustimmen: Vielen Didaktikern an Hochschulen fehlt oft die Realitätsnähe.

    Natürlich wäre unsere Welt ein besserer Planet, wenn wir nicht bestrafen müssten, aber anders funktioniert gesellschaftliches Zusammensein nicht. Es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen. Jene, den die Überwachung der Einhaltung obliegt, müssen auch Sanktionsmöglichkeiten haben. Das gilt für Daniels Beispiele aus dem Straßenverkehr genauso wie für Schule, ebenso für Steuern. Ohne harte Strafen würde der Staat wohl bald keine Einnahmen mehr haben, obwohl es allen einleuchtet, dass davon Gemeinschaftsaufgaben und Sozialleistungen finanziert werden.

  4. Sehr interessant geschrieben und im Ganzen ein toller Blog 🙂 Vertretungsstunden sind wirklich nicht ohne, aus Sicht des Lehrers aber auch nicht aus Sicht der Schüler. Ich fand es immer ganz furchtbar.
    Deinen/Ihren Blog werde ich, als angehende Lehrerin, auf jeden Fall weiterhin verfolgen.

    Viele Grüße

  5. „Lehrer könnten es schaffen, Schülern Respekt und Disziplin beizubringen, ohne sie zu Sündenböcken zu machen.“ Ohne den Spiess-Text zu kennen: Äh, ja. Aber Schüler sind doch eh keine Sündenböcke, die für die Vergehen anderer leiden sollen?

    Ansonsten stimme ich auch bei allem zu.

  6. Pingback: Besinnungsaufsatz vs. Strafarbeit² - ...ein Halbtagsblog...

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