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Lehrer sein. Heute und morgen.

Ich liebe meinen Beruf.
Kinder und Jugendliche zu Erziehen, sie ein Stück weit mit dem nötigen Wissen auszustatten, um ihr Leben gestalten zu können ist großartig.

Meinen Berufsalltag als relativ junger Lehrer kann man grob in drei Bereiche einteilen:

  • Unterrichten (erziehen, erklären, unterrichten)
  • Vorbereiten (Lerntheken erstellen, Klassenarbeit korrigieren, …)
  • Organisieren (Listen ausfüllen, Fehlstunden eintragen, Statistiken erfassen)

 

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Da ich zur Zeit keine Sonderaufgaben habe (z.B. Mittelstufen-Koordination, Beratungslehrer, Ausbildungskoordinator o.ä.) bin ich mit dieser Verteilung sehr zufrieden. Es gibt sicher Zeiten, in denen die Vorbereitung mal mehr und mal weniger Zeit in Anspruch nimmt. Mehr Physikkurse bedeuten in der Regel mehr Vorbereitungszeit. (Früher, als man noch nichts hatte und Steine gegessen hat, da gab es an Schulen sogar Assistenten. Die haben die naturwissenschaftlichen Experimente auf- und wieder abgebaut und sich um die Sammlung gekümmert.)

Das Kultusministerium Thüringen ist nun mit einer Dienstanweisung (also ein verbindlicher Arbeitsauftrag) vorgeprescht, die mich ‘nachdenklich’ macht. Dort heißt es:

  • „Die Schulleiterin/der Schulleiter überprüft in regelmäßigen Abständen die Einhaltung der Bestimmungen des Gesamtvertrages an der Schule. Dazu ist von jeder Lehrkraft eine Übersicht zu führen, in der fortlaufend eingetragen wird, was, wann, aus welcher Quelle in welcher Anzahl kopiert wurde. Diese Übersichten sind von der Schulleitung regelmäßig zu prüfen.“ [Hervorhebung von mir]

Wenn wir unseren Blick nun auf jene Lehrer richten, die als “digital natives” den Großteil ihrer Unterrichtsvorbereitung am Computer machen, dann wird diese Dienstanweisung durchaus herausfordernd. Auf meinem Notebook befinden sich grob 30.000 Word-, PDF- und sonstige Dateien. Würde ich nun in eine Liste (!) eintragen, in der nachzuvollziehen ist, welche Datei woher stammt und wie oft ich sie an wen kopiert habe, dann würde mir das Land für die nächsten Monate eine ganze Menge Gehalt zahlen für eine Arbeit, die – ja, was eigentlich? – produziert?

Mein Alltag sähe so aus:

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Ganz zu schweigen von der Schulleitung (m)einer Gesamtschule: Bei knapp 100 Kollegen muss die sich regelmäßig durch diese Listen durcharbeiten und überprüfen, ob z.B. “97297_AB_EZ.doc” wirklich als freie Kopiervorlage von der Diskette aus “Physik im Unterricht 1987, Heft 12” stammt wie angegeben, oder nicht heimlich und illegal von einer geschützten CD herunterraubkopiert wurde und der Kollege womöglich als Lügner mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde zu rechnen hat.

Zukünftige Lehrer haben also die Wahl:

  1. als Lehrer aus einem Schulbuch eine Tabelle analog herauskopiere, diese dann ausschneiden und in ein Arbeitsblatt einkleben und für die Klasse nochmals analog kopieren (erlaubt).
  2. in der Schule die o.g. Tabelle auf meinem Computerarbeitsplatz einscannen und digital in ein Arbeitsblatt einbinden und dafür als Raubkopierer ins Gefängnis kommen können.
  3. keine Computer in der Schule mehr benutzen und nur noch heimlich (!) zu Hause vorbereiten.

 

Ich stelle mir das sehr schön vor: In zehn Jahren stehen Mitarbeiter der Verlage im Auftrag des Ministeriums (oder umgekehrt?) im Lehrerzimmer und patroullieren die Tische ab. Einzelne, verruchte Lehrer werden wie Dealer von den Kollegen geschätzt und gefürchtet, denn sie versorgen uns mit neuem, illegalem Stoff – den Arbeitsblättern.

Mitarbeiter: “Hey, SIE! Wo haben Sie dieses Arbeitsblatt her?!”
Ich (stottere): “Ich..? Was? Dieses.. erm…Gefunden!? Auf dem Schulhof? ”
Mitarbeiter: “Kommen Sie mal bitte mit!”
Und unter den mitleidsvollen Kollegen werde ich in die Dunkelkammer geschafft, wo ich – GuttenplagWiki-sei-Dank – binnen fünf Minuten als Plagiator und Raubkopierer entlarvt werde.
"Diese Textaufgabe haben Sie abgeschrieben! ABGESCHRIEBEN!!!”

Mal im Ernst.
Die Steuerzahler in Deutschland zahlen mir und tausenden anderen Lehrern ein gutes Gehalt, damit ich ihren Kindern das Bestmögliche mitgebe und sie auf Beruf und Leben vorbereite. Will den wirklich jemand ernsthaft, dass ich meine Zeit mit so einem Quatsch vergeude? Dann hätte ich auch Buchhalter werden können.

Warum nehmen wir uns eigentlich kein Beispiel an Polen?
Dort wurden gerade knapp 12 Millionen €uro in freie Bildungsmaterialien investiert. Ich prophezeie (und ich bin wahrlich ein begnadeter Prophet):

In zehn Jahren werden jene Lehrer, die auch polnisch sprechen, die beliebtesten sein Zwinkerndes Smiley.

11 Gedanken zu „Lehrer sein. Heute und morgen.“

  1. Pingback: Schulleiter zu Handlangern » Kreide fressen

  2. Herrje, der Rahmenvertrag treibt ja immer seltsamere Blüten, eure Dienstanweisung ist ja im Vergleich zu der unseren ein echter Brüller.
    Den Verlagen beginnt mehr und mehr zu dämmern, dass ihr Verwertungskonzept zivilrechtlich nicht durchzusetzen ist, bzw. dann so viele Grundrechte tangiert, dass von unserem Rechtsstaat nicht mehr viel übrig bleibt.
    Dazu kommt ein meiner Meinung nach eigenartiges Grundverständnis von demokratischen Strukturen und Beteiligung der Personalvertretungen seitens des Kultusbürokratie…

    Tipp:
    Nimm es hin oder schau mal ins Beamtengesetz, welche formalen Anforderungen an eine Dienstanweisung zu stellen sind… Formalia begegnet man im Beamtentum am besten mit Formalia.

  3. Ich verstehe ja nicht, warum die Verlage da nicht einen zweiten Markt sehen: Bücher für die Schüler und Digitales für die Lehrer. Aber nein, lieber alles unterbügeln. Mir fehlen die Worte.
    Zu deinen Grafiken kann ich im Übrigen nur sagen, dass es auch ohne solch zusätzlich Hürden schon die Tendenz zur zweiten Grafik geht. Leider.

  4. Pingback: Lehrerzimmer » Archiv » Urheberrecht und Gesellschaft

  5. Unabhängig von dieser Idee: Schöne Grafiken. Ich sollte auch mal so ein Diagramm veröffentlichen – und mir überlegen, wie es am besten aussehen sollte. Und ob man mit digitaler Zusammenarbeit im Kollegium irgendwann mal das Vorbereiten und vor allem das Organisieren kleiner kriegt. Vielleicht sind das aber auch Konstanten, und man organisiert in derselben Zeit dann halt mehr. (Oder, äh, weniger, kann ja auch sein.)

  6. Pingback: Acht aus Zehn Milliarden | der mosaistische reflektor

  7. Pingback: Bildungspanik – Ein Kommentar « …ein Halbtagsblog…

  8. als informatikerin sehe ich schon lange ein riesen problem mit dem versuch analoges recht auf die digitale virtuelle welt zu mappen. weil das nicht funktioniert(kann).

    jetzt mal ehrlich, haben sie mehr „gestohlen“ wenn sie die tabelle digital ind as arbeitsblatt kopieren als wenn sie es analog machen (und dabei ein Blatt mehr vergeuden)?

    ich bin ja durchaus dafür, dass man schülern und lehrern ganz prinzipiell dafür sensibilisiert, was und vor allem wie kopiert(auch digital) werden darf. aber gerade verlage (also „analoge“ medien) sehr ungern mit diesen neuen medien in kontakt kommen wollen, weil das bedeutet ja, dass sich da jemand mit beschäftigen muss…

    immer wenn ich die verordnung (auf mehreren bloggs) lese, muss ich daran denken, dass ja vor langer zeit es noch so etwas wie „gestellte“ schuluniform für lehrer gab (hier glaube ich weniger, aber meine gasteltern berichteten mir davon). in der zeit wäre das also (darauf bezogen), als hätte man den „lehrenden“ dazu gezwungen sozusagen die schritte zählen, um die abnutzung der schuhe so zu protokollieren.. was ja auch mehr als fragwürdig gewesen wäre…

    digital wird so ein vorgehen aber heute glatt verabschiedet.. egal wie hirnrissig…

  9. Moin,
    als Informatiklehrer staune ich nur und das über zwei Gruppen:

    1. Diejenigen die komplett unsinnige Verwaltungsaufgaben verteilen und die Umsetzung nicht ermöglichen. Lösung: Mache deine Unterrichtsvorbereitungen zu Hause an deinem Computer. Da der Dienstherr dem Lehrer in Deutschland keine Arbeitsinfrastruktur (Arbeitszimmer, ausreichend Arbeitsmaterialien, Computer, Drucker usw.) zur Verfügung stellt, findet die gesamte Arbeit in deiner Freizeit zu Hause statt. Und dort darf der Dienstherr nicht schnüffeln. Punkt
    Die erstellten Unterrichtsunterlagen kommen dann als Papierkopie in die Schule oder als Privatspende in die Schule.
    Rechenschaft über die Herkunft der Informationen auf den Unterlagen kann man nicht geben, es fehlt ja die Quelle. Es wäre ja noch schöner wenn Lehrer A dem Kollegen B einen Arbeitsbogen schenkt und B müsste erst einmal überprüfen ob A richtig zitiert hat.
    Sollte irgendwann irgendjemand einmal über irgendetwas motzen, dann ist man natürlich selbstverständlich bereit den Arbeitsbogen nicht mehr zu verwenden. 😉
    Erst wenn der Arbeitgeber alles bezahlt (auch meine komplette Arbeitszeit), dann bin ich ihm auch wirklich rechenschaftspflichtig!!!

    2. Über diejenigen wundere ich mich auch, die sich verängstigen lassen. Ich könnte aber auch schreiben, macht die Arbeitsbögen selber, dann kann mich mal diejenigen gerne haben, die nur auf den Vorschriften rumreiten. Es gibt doch genug Softwaretools, die mir eine schnelle Erstellung von Unterrichtsmaterialen inklusiv Bildern und Grafiken ermöglichen. Es gibt z.B. Wikipedia, Open Clipart usw., hier gibt es Material welches explizit kostenlos verwendet werden darf! Creativ Common Lizenz! Dort gibt es viel Material, so dass ich kaum urheberrechtlich geschütztes Material benötige. Ansonsten hilft auch einfach abschreiben, nachmalen oder ein Scan sehr individuell nachbearbeiten, schon handelt es sich nicht mehr um eine Kopie! Und ich muss keine Rechenschaft geben.

    Im Bereich Mathe und Informatik gibt es sehr viel freie (CC Lizenz bzw. Open Source) Materialien im Netz, Bücher für Geld werden immer unwichtiger und dann sind die Verlage irgendwann pleite!

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