Zum Inhalt springen

EM Berichterstatter (1)

Nachdem der DFB unsere Bewerbung als Nachwuchs-Reporter angenommen hat, standen zwei Dinge auf dem Plan.
Zunächst einmal die spöttischen Kommentare meiner Kollegen ertragen und zum anderen musste ich mir Gedanken über die Organisation machen. Unsere Aufgabe wird sein, verschiedene Länder der EM vorzustellen. Zum einen sachliche Informationen, zum anderen Anekdoten oder welchen Stellenwert der Fußball dort hat. Mit reichlich Erfahrung in Sachen Gruppenarbeit stand ich vor einem Problem:

23 Schülern, aber wenige Artikel.

Ich habe mich für eine technisch-spielerische Lösung entschieden: Google Documents, bzw. Google Drive, wie es heute heißt. Das ist im Grunde eine Art “Online-Word”, auf dem jeder von zu Hause zugreifen kann, dem ich es erlaube und der einen Google Account hat.
Ich habe bisher gar nicht mit Google Documents gearbeitet und war gespannt, wie ich selbst hineinfinden würde und ob ich zwei Dutzend Siebtklässlern den Zugang ermöglichen könnte.

1. Schritt: Alle brauchen einen Google-Account.
Bei gefühlten 30° im Computerraum (einer der spärlichen Sonnentage der Stadt Siegen…) gegen den Lärm von zwanzig begeisterten Kindern anzukämpfen ist antrengend selbstmörderisch. Meine Fresse! Der eine hat sein Passwort vergessen, der nächste die Ziffer in seiner E-Mail-Adresse. Wieder einer hat eine Nicht-Google-Adresse und benutzt sie aber für seinen Google-Account und möchte wissen, ob das auch bei Google-Documents klappt und noch jemand hat sich verklickt und weiß nicht mehr vor und nicht zurück. Und alle versuchen gleichzeitig bei 35° C auf mich einzureden. Und wie Grundschüler kommen sie dazu ganz nach vorne und bilden eine verschwitzte Menschentraube um mich. Ich schwitze. Die Schüler schwitzen. Und es ist ohrenbetäubend laut.

2. Schritt: Alle müssen Zugriff auf den von mir freigestellten Ordner und die Dokumente bekommen.
Ging eigentlich ganz schnell. Nur flux die E-Mail-Adressen eintragen und fertig.

3. Schritt: Kooperatives Arbeiten.
Alle schauen sich ein Dokument an und ich möchte demonstrieren, wie man kooperativ (also zu mehreren daran arbeiten kann. Das klappt irgendwie zu gut. Denn ständig ändert irgendein Schüler etwas. Und bei jeder Änderung poppt ein kleines Farbfeld im Text auf, dass einen informiert, wer hier gerade rumpfuscht. Ping. Ein Schüler fügt ein Wort hinzu. Ping. Ein andere löscht es sofort wieder. Ping. Einer schreibt HAHA ans Ende. Ping. Ein anderer löscht es. Dreiundzwanzig Schüler fangen an, gleichzeitig an einem Dokument zu fummeln und bei gefühlten 38° sehe ich nur noch bunte Punkte vor mir. Einige regen sich auf. Andere lachen. Wieder andere beteuern ihre Unschuld. Es wird lauter. Und heißer.

Aber es funktioniert.

image

Irgendwann herrscht Ruhe. Alle Bildschirme sind aus. Die Schüler sitzen wie Strafgefangene auf ihren Händen, um weder Maus noch Tastatur zu berühren zu können.
Endlich kann ich ein paar Worte sagen. Organisatorisches. “Kommentare bitte in eckigen Klammern. Jeder Schüler kann überall die Stichpunkte ergänzen – den Fließtext dürfen aber nur die Kerngruppen bearbeiten.”

Und es klappt. Ganz wunderbar sogar.
Abends sitze ich zu Hause uns kann zusehen, wie einzelne Schüler die Texte bearbeiten. Ich kann ihnen sogar beim Denken zu sehen: Sätze werden geschrieben. Gelöscht. Umformuliert. Neu geschrieben.

Ein absoluter Traum für konspiratives kollaboratives Arbeiten in der Schule. Ich wünschte, so etwas hätte es schon zu meiner Zeit gegeben!

Als ich völlig erschöpft im Lehrerzimmer niedersinke und stolz auf die Stunde zurückblicke, nähert sich meine Lieblingskollegin von der Seite. “Sag mal”, grinst sie, “kann es sein, dass Schule für dich eine Art Spiel ist? Du willst herausfinden, wie schlimm eine Situation werden kann und wie es dir dann geht?”

Ich überlege kurz. “Ich bin Dortmund-Fan. Da ist man Leidenszeiten gewöhnt!” 😉

20 Gedanken zu „EM Berichterstatter (1)“

  1. Du durftest einfach so Google-Accounts einrichten? Nach Rücksprache mit den Eltern, oder? Und einfach so mit GoogleDocs arbeiten? Das ist in eurer Schule/Bundesland erlaubt?

    Ich fragen deswegen so komisch, weil ich gerne mehr mit GoogleDocs und Google+ arbeiten würde, das aber nicht so einfach ist. Rein rechtlich und so.

    1. Vielleicht habe ich die Blauäugigkeit eines Anfängers?
      Die Hälfte der Schüler hatte, bedingt durch ihre Android-Handys, sowieso schon einen google-Account. Die andere Hälfte hat sich z.T. mit echten Namen, z.T. mit Fake-Namen Accounts erstellt. Ob und wie die genutzt werden ist ja völlig gleichgültig – es geht nur um den Zugang zu den Google Docs. Mail, Google+ und der ganze Rest kann getrost ignoriert werden.

      Bisher hat sich noch niemand beschwert. Ich vermute, dass ich durch Elternbrief etc. unnötig Staub aufgewirbelt und Ängste geschürt hätte, als es einfach durchzuführen.
      Ich sehe das auch eher entspannt: Ich emögliche den Schülern die Teilnahme an einem journalistischen Event. Darüber hinaus erwerben sie Kompetenzen im Umgang mit technischen Werkzeugen zum kooperativen Arbeiten. Das ist doch eigentlich genau das, was ich als Lehrer tun soll.

      1. Klar. Mit der Aktion hast du natürlich ein besseres Standing gegenüber den Eltern.

        Ich wäre halt prinzipiell an solche Arbeitsformen interessiert. Bei uns in Bayern gibt es zwar für alle Moodle, aber das ist total hakelig. Dabei wäre es doch ganz schön, wenn eine Klasse zusammen zum Beispiel ein Lerntagebuch bei GoogleDocs führt: Was ist wann, was gemacht worden. Welche Aufgaben sind gerechnet worden. Wenn man eine Link findet, kann man den auch einbinden. So etwas könnte man auch mit einem Blog oder so machen, aber ich stelle es mir mit Google Docs einfacher vor.

  2. Ich bin begeistert-verfolge deinen Blog erst seit kurzem, er zaubert mir aber jedes Mal ein Lächeln auf die Lippen 😀
    Toll, was ihr gemeinsam erreicht und wie engagiert du deine Klasse führst!
    Schade, dass eine solche Arbeit noch viel zu selten stattfindet…
    Ich wünsche euch ein tolles Wochenede und für alle die es betrifft: Schöne FERIEN!! 😉 Ich auf jeden Fall, entspanne mich jetzt erst mal 2 Wochen lang 🙂

  3. Sehr geehrter Herr Klinge,

    gestern las ich in Focus online einen Bericht über Ihren Blog. Da einer meiner besten Freunde soeben ins schöne Bochum zog, um dort seinen Schuldienst anzutreten und er immer dankbar reagiert, wenn man ihn auf neue Dinge im Zusammenhang mit Schule aufmerksam macht, wurde ich neugierig und habe http://www.halbtagsblog.de geladen und gestöbert.

    Ich muss sagen, dass ich wirklich begeistert bin. Uns haben sie in der Schule immer gesagt, dass wir nur dann auf Lehramt studieren sollen, wenn wir unbedingt arbeitslos werden wollen. Deshalb studierte ich VWL.

    Wenn ich in Ihrem Blog lese, dann zaubert es ein Schmunzeln auf mein Gesicht.

    Ich finde es toll, wie Sie über Ihren Unterricht berichten. Man gewinnt sofort einen Eindruck davon, wie sehr Sie Ihren Job zu lieben scheinen. Bitte behalten Sie sich Ihr Engagement. Lehrer wie Sie sind ein Gewinn für unsere Gesellschaft.

  4. Vielen Kollegen scheint es aber recht schwer zu fallen, ihren Job mit Spaß an der Freude zu machen…
    Die langen Gesichter in den Pausen, die immer wiederkehrenden, negativ behafteten Gesprächsthemen-viel zu häufig fehlt mir die positive Grundausstrahlung!
    Darum hab ich davon umso mehr 😉
    Also weiter so, vielleicht steckst du ja noch mehr damit an 🙂
    „gefällt mir“

  5. Ich finde es total super, dass die Sache so super läuft! Ich hätte es als Schülerin total cool gefunden, wenn irgend ein Lehrer mal so was cooles mit uns gemacht/ probiert hätte 😉
    Ich drücke die Daumen!

  6. hey Jan, war es nicht doch dieses Jahr die EM???? (s. Überschrift :-))
    oder seid ihr gleich für die nächste WM mit angestellt?
    ich warte ja auch noch gespannt auf den Dreizack…

  7. Pingback: Wir sind online… « …ein Halbtagsblog…

  8. Ein Frage noch: Gab es keine Netzwerk- oä.-Probleme im Computerraum, wenn viele Schüler auf dieselben Dokumente zugriffen?
    Ich frage, weil ich mal im Computerraum bei uns versuchte ein etherpad zu bearbeiten, aber bei eine bestimmten Zahl von Schülern war es nicht mehr möglich. Da ging das Netz in die Knie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert