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Im schulischen Alltag stellt einen das Thema Inklusion immer wieder vor Hürden – nicht nur im Unterricht, auch im Alltag begegnen mir Schwierigkeiten und fordern mich und meine Schülerinnen und Schüler heraus.

Inzwischen hat das zweites Schuljahr für meine Klasse, in der auch zwei Mädchen mit Glasknochen sind, begonnen. Das erste verlief unproblematisch und der Schultag war geprägt von unkomplizierten, praktischen Lösungen.

InklusionInklusion nennt sich die Einbindung von Menschen mit Behinderungen in den normalen Schulalltag, (Bildquelle: http://inklusion-olpe.de/satzung.php ) die in Deutschland in den nächsten Jahren mehr und mehr umgesetzt wird und ich habe an vielen Stellen von den Erlebnissen und Bereicherungen der Inklusion erzählt.

Aber – und auch darin sehe ich eine Gewisse “journalistische” Pflicht – es gehört auch dazu, von den Schwierigkeiten und Herausforderungen zu berichten. Diese entstammen natürlich meinen Erfahrungen, sind aber größtenteils auch auf andere Inklusionsfälle übertragbar. Heute also einige Worte zu ein paar Alltagsproblemen, die sich mit der Inklusion einstellen.

Neuorientierung nach den Ferien

In den Tagen nach den Sommerferien müssen sich die Jungs und Mädchen erst wieder finden. An einer Ganztagsschule ist das für die Kinder noch etwas anstrengender, als an einer “normalen” Schule. Ich erinnere die Schüler immer wieder daran, wie oft sie sich mit ihren Geschwistern streiten und nun, in einer Ganztagsschule, müssten sie mit 27 Geschwistern von morgens 8 bis nachmittags um 15 Uhr auseinandersetzen. Das sei eben anstrengend.

InklusionDiese Woche haben wir den Klassenrat einberufen. Heutzutage ist das eine pädagogische Institution, die über eine eigene Homepage und einen eigenen Wikipedia-Artikel verfügt – bei mir ist es einfach ein ordinärer Stuhlkreis, indem man Sorgen und Probleme anspricht.

Ein Mitschüler merkte an, er empfände es als unfair, dass alle Kinder die Klasse aufräumen müssten – nur die Rollstuhlkinder würden sich rausnehmen, obwohl – wie er sofort hinzufügte – er verstünde, dass sie aus dem Rollstuhl heraus natürlich stark eingeschränkt seien.
Das war für mich eine ungemein fundierte Aussage. Obwohl er weiß, dass man im Rollstuhl keinen Besen schieben kann und auch kaum an den Boden heranreicht, empfindet er es als unfair.

Gesprächsrunden für ein Miteinander

Ich glaube, ein ganz großer Teil der Schwierigkeiten im Bereich Inklusion geht auf solche “Empfindungen” zurück – und natürlich betrifft das nicht nur Rollstuhlkinder.
“Wieso darf Jonathan sich (scheinbar) ohne Konsequenzen wie ein Affe aufführen, aber ich muss direkt Nachsitzen?” (ADHS)
“Wieso zählen bei Ayleen die Rechtschreibfehler nicht, aber ich habe wegen meiner Fehler eine Note schlechter?” (LRS)

Die unterschiedliche Behandlung der Schüler ist zwingend notwendig – und führt trotzdem zu Frust. Mit den Monaten und Jahren kann sich so ein Frust mehr und mehr aufbauen und die Betroffenen zu Außenseitern machen: Irgendwann “bestraft” die Klasse Ayleen für die Bevorzugung aus einem inneren Gerechtigkeitssinn heraus mit Ausgrenzung.

Bei Inklusionskindern wiegt dieser Punkt noch deutlich schwerer: Ihre “Sonderbehandlung” ist viel offensichtlicher und tritt viel stärker zu Tage, als bei anderen Kindern. Der Frust der Mitschüler überträgt sich häufig auf ihre Eltern, die ihrerseits fragen: “Und mein Kind…?!”

2013-09-20 09.00.50Inklusion im Unterricht mit Hürden

Am Freitag haben wir im Fach NW den Brennerführerschein gemacht. Die Schüler sollten den Bunsenbrenner kennen und beherrschen lernen. Dazu etwas Wasser in einem Reagenzglas erhitzen – nichts spektakuläres.
Zumindest nicht für normal große Kinder.
Die Arbeitstische der NW-Räume sind jedoch zu hoch für meine Rollstuhlmädels. Und die Gas- und Stromanschlüsse sind ebenfalls zu hoch. Man bräuchte barrierefreie, höhenverstellbare Anschlüsse – es ist also eine Frage des Geldes.
2013-09-20 09.01.00Am Freitag haben wir das Problem pragmatisch gelöst: Hinter dem Lehrerpult sind die Anschlüsse niedriger, also haben die Kinder dort an ihrem niedrigen Tisch experimentiert. In der 6. Klasse kräht da kein Hahn nach – aber wie sieht die Zukunft aus? Im Fach Chemie müssen die Schüler früher oder später kompliziertere Experimente durchführen – wie sollen sie das ohne Pult machen? Wie sollen die Fachlehrer Noten vergeben, wenn einzelne Kinder wesentliche Teile des Unterrichts nicht teilen können?
Die gleiche Problematik gibt es auch in anderen Fächern: Mit Glasknochen stellt das Fach Technik eine unüberwindliche Hürde dar – meine Mädchen können einfach nicht wie die anderen sägen, schleifen und hämmern.
Aber wie erkläre ich dem zappeligen Jonathan, dass er für sein krummes Häuschen nur eine “4” bekommt, während ein Kind mit einer Behinderung im Rahmen seiner Möglichkeiten womöglich nur ein Brett zurechtsägt und dann eine “2” erhält?
Irgendwann sorgt die Klasse für eine “ausgleichende Gerechtigkeit” und bestraft die Sonderbehandlung der Kinder: Sie werden zu Außenseitern.

Dies sind keine trivialen Probleme, weil sie gravierende Auswirkungen auf das Klassenklima haben und dieses ist entscheidend für den Lernerfolg der Schüler. Gehen sie gerne zur Schule? Fühlen sie sich gerecht behandelt?

Es geht nur im Gespräch

Wie man sieht, ist Inklusion im Alltag wirklich kompliziert. Es ist nicht damit getan, behindertenfreundliche Toiletten zu bauen oder barrierefreie Türen. Inklusion ist ein anstrengender Prozess, der nur durch eines funktionieren kann: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation.

Meine Schüler müssen verstehen lernen, dass Menschen im Rollstuhl nicht im gleichen Maße aufräumen können. Sie müssen verstehen lernen, dass Menschen mit Glasknochen nicht wie sie Hämmern und Sägen können.

Sie müssen wissen und fühlen, dass wir Lehrer sie gerecht behandeln – auch wenn jeder anders ist. Bisher sind wir da auf einem richtig guten Weg, echter Frust existiert bei uns nicht – aber die angesprochenen Probleme werden kommen.

Es bleibt aufregend. 🙂

32 Gedanken zu „Inklusion & Alltagsprobleme“

  1. Pingback: Inklusion & Alltagsprobleme | MEDIENFUNDGRU...

  2. Du sprichst mir aus der Seele, habe das aber noch nie so treffend formuliert irgendwo gesehen. Ich würde mich freuen, noch mehr über die Inklusion bei euch zu lesen. Bei mir an der Schule (BK) gibt es weder Kinder, die Inklusion benötigen noch die entsprechend geschulten Lehrkräfte.

    Das Schaubild mit den Kreisen ist übrigens richtig super. Der Unterschied zwischen Inklusion und Integration ist sicherlich nur ganz wenigen geläufig.

    Ich bleibe dabei – deine Einstellung, dein Engagement und deine Motivation sind mehr als vorbildlich. Da möchte ich auch gerne mal hinkommen…

  3. Hallo jan,
    ich glaube, dass diese probleme sich nicht verstärken werden. denn wie du selbst sagst: es geht nur über kommunikation. und da bist du auf einem guten weg mit deiner klasse und den kindern. und die kinder in der sekundarstufe sind ganz bestimmt fähig, diese unterscheidungen verstehen zu lernen. ich vermute eher, dass dieses „ungerechtigkeitsproblem“ im laufe der zeit immer weniger thema sein wird. aber ich kann auch nur mutmaßen, bin ja auch ganz am anfang mit erfahrungen auf diesem gebiet.

  4. Das mit den Fächern, wo es gerade um bestimmte motorische Fähigkeiten geht, ist natürlich ein großes Problem. Die einzige Möglichkeit wäre wahrscheinlich, dass man diese in den Wahlbereich neben andere Fächer legt, die auch mit körperlichen Beeinträchtigungen zu bewältigen wären. Weil Schüler gerade bei den Fächern, wo die Ästhetik des Endproduktes im Vordergrund steht, ein sehr großes Gerechtigkeitsempfinden haben. Alternativ könnte man in Technik natürlich auch ein Gemeinschaftprojekt bauen, bei dem jeder einen Teil des Ganzen übernimmt wie bei einem Landschaftmodell oder so und die betreffenden Schüler bekommen einen Teil zugewiesen, den sie körperlich bewältigen können und können dann auch mit den gleichen Maßstäben benotet werden.

  5. Das ist doch keine Inklusion, die hier beschrieben wird, das ist bestenfalls Integration! Der Begriff Inklusion wird leider inflationär für etwas missbraucht, das gar nichts damit zu tun hat. Inklusion betrifft im Idealfall ALLE Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihrer individuellen Leistungsfähigkeit, Herkunft usw. … Eine „Bildungsrepublik“, die es nicht schafft, Kinder über die vierte Klasse hinaus gemeinsam zu beschulen, die scheitert wohl zwangsläufig auch an dem schönen und wichtigen Ziel der Integration und erst recht an der Inklusion! Von der Notwendigkeit einer anderen Unterrichtskultur, Leistungsbewertung und Jahrgangsmischung will ich gar nicht erst anfangen …
    Mir ist natürlich bewusst, dass dies von der jeweiligen Landespolitik abhängt und alle Lehrer im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestimmt ein großartiges Engagement zeigen!

    1. Das Problem ist, dass Inklusion von vielen Menschen auf viele verschiedene Weisen interpretiert und gelebt wird.
      Die Dozentin meiner letzten Fortbildung dazu ist der gleichen Meinung wie der Kommentarschreiber über mir. Sie hat die gleiche Grafik verwendet wie oben im Artikel. Sie meinte aber, das ginge nicht weit genug, weil es imemr noch „viele grüne“ und „wenige andere“ gäbe.
      Inklusion wäre erst erreicht, wenn jeder Punkt eine andere Farbe hätte.

      Das klingt zwar nett, ist aber Utopie und im normalen Schulunterricht nicht leistbar!
      Ich bewundere die Inklusions/Integrations-Leistung in Jans Klasse und vor allem, wie differenziert die Kinder damit umgehen können.

      Wer immer perfekte Situationen schaffen will, fängt niemals an. Lieber kleine Schritte als sich gar nicht zu bewegen!

      1. Nun, das ist im Schulunterricht auch quatsch. Im Unterricht hat ja quasi jeder eine andere Schattierung von Grün. Aber wenn jeder eine andere Farbe hätte (entsprechend unterschiedlicher Voraussetzungen), wie sollte man bspw. über die Streuung von Röntgenstrahlen sprechen, wenn nur zwei, drei Schüler dem Unterricht folgen können. Komplett heterogen ist totaler quatsch.

        1. Wenn Sie an gängiger Unterrichtsgestaltung festhalten wollen, dann haben Sie Recht, aber welche Erfahrungen haben Sie mit heterogenen Lerngruppen, Herr Klinge?
          Wie Sie bereits festgestellt haben, hat JEDER Punkt eine ganz individuelle Farbbeschaffenheit, auch unter den „eindeutig“ Gelben, Roten und Blauen! Stellen wir uns mal vor, diese drei Farben entsprächen den drei gängigen Schulformen „Haupt-/Mittelschule“ (gelb), Realschule (rot) und Gymnasium (blau):
          Was passiert mit den Kindern, deren temporäre Farbe beispielsweise orange ist? Das eine Orange erscheint ggf. etwas heller, gelblich, das andere dunkler, rötlich … wer legt denn fest, was unmissverständlich gelb, orange oder rot ist? An welcher Stelle im Farbverlauf darf hier guten Gewissens eine Trennung vollzogen werden? Vielleicht wäre es angebracht, die jeweiligen Schattierungen unter veränderbaren Lichtverhältnissen zu betrachten, um keine verfälschte Farbwahrnehmung zu riskieren. Gelb und blau (in meinem Beispiel Hauptschule und Gymnasium) lassen sich übrigens zu fantastischen Grüntönen mischen 😉
          Und wer gibt uns verdammt noch mal das Recht, die weißen Mäuse und schwarzen Schafe, alle großen Punkte und kleinen Pünktchen mit Grauschleier, auf die Sonder- und Förderschulen abzuschieben??? Wäre es nicht wunderbar, würden wir uns endlich heranwagen, flächendeckend diese Farben herauszuputzen und auf „Hochglanz“ polieren zu können? 🙂
          Man könnte doch sagen, unser Schulsystem hat mindestens eine Rot-Grün-Blindheit 😉 Ich konnte mich übrigens aufgrund eines besser situierten Familienhauses von einem blass gelben Punkt von der Hauptschule, über die Berufsausbildung bis zu einem kräftig grünen Punkt entwickeln und mische zurzeit erfolgreich immer mehr blau hinein.
          Und jetzt kommt mir bitte niemand mit der Frage, was denn passiert, wenn alle Grundfarben auf der Farbpalette gemischt werden … pädagogischer Optimismus, Mut, gute Augen und eine Bereitschaft zum Pointillismus müssten durchaus als Grundvoraussetzung angesehen werden …

          1. Ich arbeite an einer Gesamtschule – heterogene Lerngruppen sind mein Alltag.
            Allerdings immer im Rahmen, der sinnvoll ist.

            So romantisch viele bunte Punkte erscheinen mögen – zielgleiches Lernen ist damit nicht möglich. Und egal ob Sprachen oder Naturwissenschaften, irgendwann lernt sich so etwas nicht von selbst und man braucht gleiche Lernpartner.

          2. Also entschuldige mal, aber das kann ja jetzt nicht ernst gemeint sein! Wirklich! Wer heutzutage noch in bunten Punkten denkt und ich festen Farbsystemen ist ja mal völlig von Vorgestern!!!

            Wie oben von schon angemerkt hat jeder Punkt seine individuelle Schattierung! Und um mal von den ganzen Farbwortspielen weg zu kommen: Jeder Schüler ist besonders! Jeder (!!) Schüler benötigt individuelle Förderung und Betreuung. Bei dem einen Schüler ist das nur eventuell einfacher und geht damit etwas schneller und bei anderen Schülern ist es schwieriger und Bedarf mehr Zeit oder Vorbereitung.

            Doch unser aller Ziel als Lehrer ist es doch, jeden Schüler optimal zu fördern und das beste aus jedem heraus zu kitzeln, ein Lächeln auf deren Gesicht zu zaubern, wenn sie merken, was sie Tolles gemacht haben, sie zu unterstützen usw. usf.

            Dabei ist es doch völlig Banane, welche Besonderheit der Schüler hat. Denn wie gesagt JEDER ist besonders. Beim einen bedarf es deswegen mehr Zeit und den anderen kann man längere Zeit allein arbeiten lassen.

            Und ich finde des mehr als beschämend Jan-Martin hier so anzugehen, schließlich ist er nicht persönlich für das Bildungssystem verantwortlich und macht einfach das Beste daraus. Wenn jemand Kritik hat, sollte er auch gleich Verbesserungsvorschläge hinterher schieben!

            So das musste jetzt mal gesagt werden! 😉

  6. Ich weiß gerade nicht, in welchem Bundesland Du arbeitest, Jan. Aber bei Euch gibt es doch sicherlich auch Sonderpädagogen (die heißen natürlich auch in jedem Bundesland etwas anders, eh klar), die bzgl. des Problems Regelschullehrplan/Rolli-Kinder/Einrichtung Erfahrungen haben?
    Da geht doch bestimmt noch was!
    > KC hat oben ja schon einige Ideen geäußert.

    1. Eine Gesamtschule in NRW (Siegen).
      Sonderpädagogen gibt es an unserer Schule keine. Einige Kinder haben jedoch ein Anrecht auf Förderstunden von speziellen Förderlehrern – die sind jedoch z.T. fachfremd und können (insb. in höheren Klassen) auch nur in kleinem Rahmen helfen.

      1. Zumindest in Bayern sind Förderlehrer und Sonderpädagogen grundverschieden.
        Gibt es in NRW so etwas wie „Mobile Dienste“, also Sonderpädagogen, die die Regelschulen, Lehrer und Eltern vor Ort beraten? Wenn nicht bieten die Förderzentren sicherlich Beratungen an, wenn man auf der Matte steht.

        Zum Thema Benotung: eine Dauerbaustelle, auch an den Förderzentren, regelmäßige Diskussionen inklusive. Das mit dem Berichte schreiben ist ja auch eine recht fixe Idee: wer liest sich denn x Seiten zu jedem Schüler einer neuen Klasse durch und kann sich das noch merken und in seine Planungen einbeziehen?
        Ganz zu schweigen von den Betrieben, bei denen sich die Schüler dann bewerben. Und ganz zu schweigen von Vergleichbarkeit.

        1. Also zumindest an unserer Schule sind das Sonderpädagogen, die z.T. regulär an Schulen mit Behinderten arbeiten.
          Aber diese Kollegen sind in höheren Klassen dann irgendwann inhaltlich überfordert: Chemie, Mathematik oder Französisch sind nicht aus dem Ärmel zu schütteln. Man bräuchte also Sonderpädagogen, die auch noch jedes Fach beherrschen.. 😉

  7. Danke für den Text – der beschreibt ein ganz wichtiges Problem, das die Kinder haben. Nämlich den Unterschied zwischen Wissen und Bauchgefühl. Da wird im Laufe der Zeit noch mehr dazu kommen: Das Gefühl, selbst ein bisschen schuldig zu sein, wenn man denkt, dass da eine Ungerechtigkeit vorliegt. Fragen, warum manche Kinder einfach benachteiligt sind. Fragen, warum die Erwachsenen es nicht schaffen, da „irgendetwas“ zu tun, um es gerechter zu machen. Und irgendwann die Feststellung aus dem Bauch heraus, dass der ganze Unterricht den Mädels gegenüber nicht fair ist, weil sie nie das Erfolgserlebnis haben werden, ein ganzes Schlüsselbrett aus Sperrholz alleine gesägt zu haben, das Chemie-Experiment alleine bewältigt zu haben oder einfach nur genau das Gleiche wie andere Kinder gemacht zu haben. Ob die Mädels das so empfinden werden, weiß ich nicht – aber ich kenne die Fragen, die meine Sechsjährige stellt, wenn sie Rollstuhlkinder sieht. Wenn sie mitkriegt, dass manche Kinder keine Buchseite zusammengestottert kriegen, weil sie ständig Buchstabendreher lesen und dadurch den Text nicht verstehen. Wie ungerecht! Was hat sich Gott nur dabei gedacht, den Kindern solche Unterschiede aufzubürden und ihnen trotzdem Gerechtigkeitssinn zu geben!

    Als Mutter und Dozentin denke ich mir: Bravo, da macht sich jemand wirklich Gedanken. Da ist ein Kind nicht nur verständnisvoll und empathisch, sondern setzt sich mit etwas auseinander, das in Richtung Philosophie geht. Als Mensch tut es mir in der Seele weh, wenn sich Kinder im Spagat zwischen Einsicht und Gerechtigkeitsempfinden einen Knoten ins Hirn machen. Denn das sind Probleme, die wir Erwachsenen doch eigentlich für sie lösen sollten, nicht? Zumindest hinsichtlich Unterricht …

    Ich bin gespannt, wie es weitergeht! Und ja, bislang leben wir im Schulunterricht wohl eher Ansätze von Integration. Von Inklusion kann noch keine Rede sein.

    1. Was mir das Differenzieren und Eingehen auf unterschiedliche Voraussetzungen schwer/unmöglich macht:
      Ich soll nach einem komplett überladenen Lehrplan unterrichten und dann mit allen Kindern (auch der Parallelklassen) gleichzeitig das gleiche erreichen (Klassenarbeit).

      Alle wollen Inklusion und individuelles Lernen, aber keiner schaut auf die Rahmenbedingungen. Und die Antwort auf diese Fragen lautete auf der oben angesprochenen Fortbildung: Wenn es statt Noten Berichte gäbe…
      Auf meinen Kommentar, dass ich aber Noten geben muss, kam nur Schulterzucken.

      1. Mit einem Wort:

        Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.

  8. Ich lese die Beiträge vom halbtagsblog immer sehr gerne und die sich entwickelnden Diskussionen oft für spannend. Allerdings stört mich eine in unserer Gesellschaft immer noch vorherrschende Formulierungsart. Wie z.B die Behinderten oder die Behinderten Kinder. M.E. werden Individuen lediglich auf das Merkmal der Behinderung reduziert. In dieser Formulierungsform bleibt der wesentliche Teil des Individuum verborgen. So hat jeder Mensch mit einer Behinderung viele viele andere erwähnenswerte Charaktereigenschaften. Niemand ist Grundsätzlich Behindert, sonder evtl. eine Behinderung. Ansonsten ist es eine Stigmatisierung.
    Jan ich will dich da nicht kritisieren, nur einen Denkanstoß geben.

  9. Ab der Hälfte deines Artikels ist mir ein Gedanke immer wieder durch den Kopf geschossen: Was wäre, wenn die Kinder nicht mit Noten bewertet werden würden?

    Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es (nach der Phase der Umgewöhnung) für uns Lehrer nicht wirklich viiieeel mehr Arbeit ist verbale / schriftliche Bewertungen zu geben. Zumal ich persönlich sowieso bei jeder abgegebenen Schülerleistung (egal welches Fach) ein paar Sätze dazu schreibe, damit der Schüler nicht nur mit der Note abfertigt wird.
    Ich denke, dass wenn wir ein anderes Benotungssystem hätten, auch einige der oben beschriebenen Probleme minimiert werden könnten.
    Für Zeugnisse zum Beispiel so:
    “Als du in meine Klasse kamst, konntest du …. .
    Dann haben wir an … gearbeitet und du hast gelernt, dass … . Schwierigkeiten bereitete dir … . Wir haben dann daran gearbeitet, … .
    Jetzt kannst du schon … .
    Als nächstes beschäftigen wir uns mit … .” (Für jedes Fach in der Art)

    Ansonsten stimme ich dir zu, dass dieser „innere“ Gerechtigkeitssinn Probleme machen kann. Ich verstehe, warum sich ein Schüler so fühlt, nur weil seine Besonderheit nicht zu einer Bevorzugung führt. Aber wie erklärt man diesen Schülern, dass sie wenigstens die Möglichkeit hätten, ein besseres Ergebnis zu erzielen und man ihnen mehr zutraut, ohne andere Schüler „nieder“ zu machen???

    1. > Ansonsten stimme ich dir zu, dass dieser “innere” Gerechtigkeitssinn Probleme machen kann. Ich verstehe, warum sich ein Schüler so fühlt, nur weil seine Besonderheit nicht zu einer Bevorzugung führt. Aber wie erklärt man diesen Schülern, dass sie wenigstens die Möglichkeit hätten, ein besseres Ergebnis zu erzielen und man ihnen mehr zutraut, ohne andere Schüler “nieder” zu machen???
      ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

      Ja, genau das ist eine große Herausforderung. Am Ende ist der größte Teil der Inklusion vermutlich das Reden miteinander.

  10. Hey,
    was für eine tolle Einsicht in Inklusion in der Praxis, danke!
    Zu dem Frust, der sich aus verschiedenen Noten ergibt – das klingt, als wäre da eine Überholung des Bewertungssystems notwendig. Hast Du dazu Lösungsideen?
    Liebe Grüße, weiter so

    1. Solange zielgleich unterrichtet wird, gibt es dafür keine Lösung: Wer am Ende einen Realschulabschluss/ein Abitur in der Hand halten will, muss bestimmte Bedingungen erfüllen.
      Ansonsten würde das ganze Bildungssystem irgendwann aussehen wie die Verteilung von Apples neuem Betriebssystem: „Ja, dieses iPhone hat iOS 7, aber kein Siri. Das nächste hat auch iOS7, aber kein AirDrop, das übernächste wieder keine Filter in der Kamera etc.etc.“ Alle haben sie iOS7, aber jedes anders. 😉

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  14. Die Lösung kann doch nur sein: Kommunikation. Leider fördert das jetzige Schulsystem mit seinen vermeindlich objektiven Abschlüssen nur die Sortierung der Schüler und den ungesunden Vergleich. Es muss doch das Ziel eines Bildungssystems sein alle Schüler miteinander optimal zu fördern. Wieso kommt es denn, dass sich Gymnasialschüler als was Besseres fühlen und dies auch nach außen deutlich machen? Könnte man nicht auf zentrale Abschlüsse ganz verzichten? Die später aufnehmenden Institutionen können dann ja Test o.Ä. je nach ihrem Profil machen. Die Schulabschlüsse haben doch für viele Arbeitgeber heute schon kaum noch Aussagekraft, also kann man doch auch ganz darauf verzichten. Kompetenzbeschreibungen und Portfolios wären m.E. besser. Die unterschiedlichen Begabungen wird Schule nie ändern können, nur wie man damit in der Gruppe dann umgeht, dass kann Schule und der Lehrer beeinflussen.

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