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Unter dem zweiten Artikel meiner Reihe warf der User klirrtext eine berechtigte Frage auf:

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Das ist eine gute Frage. Aber – wie ich finde – gleichzeitig auch eine schlechte. Denn ich empfinde die Streitereien über biblische Texte oft als ermüdend (besonders im Internet) und ich glaube, dass solche Diskussionen uns ablenken und gleichsam verhindern, dass solche Texte in unser Leben sprechen. Ein paar Gedanken dazu heute.

Nun..also: Entsprechend der Geschichte wird Jona von einem Fisch verschluckt, beginnt in seinem Inneren zu beten und dann, drei Tage später:

Und der HERR befahl dem Fisch, und er spie Jona auf das trockene Land aus.

Jona, Kapitel 2.

Nunja.. der naturwissenschaftlich geprägte Teil in uns reagiert auf eine solche Erzählung mit einem Rollen der Augen und einem „Im Ernst? Es ist 2014! Haben wir diese ganze Zauber-Wundergeschichten nicht hinter uns gelassen? Sind wir nicht über diese Märchen langsam mal hinweg? Sind das nicht genau die Behauptungen, die so viele Leute aus den Kirchen getrieben haben?”

Andere schließen die Augen und erwidern: Wenn die Bibel das so sagt, dann wird es auch so gewesen sein.

Gefolgt von einem: „Wenn wir an dieser Geschichte zweifeln – was ist dann mit all den anderen Geschichten? Leugnen wir dann nicht all die anderen Erzählungen, in denen Wunder erwähnt werden? Und – wenn man das nicht tut – sucht man sich dann nicht völlig willkürlich genau die Geschichten raus, die einem passen, während man andere zur Seite legt?“

Ich bezweifle, dass es von besonderer Bedeutung ist, was ich persönlich glaube. Ich denke, es spielt keine besondere Rolle, ob man daran glaubt, dass ein Mann von einem Fisch verschluckt wurde.

Wenn man es nicht glaubt – prima! Zahllose religiöse Menschen haben diesen Text als Parabel über die Vergebung des Volkes Israel gelesen. Sie zeigen auf die zahlreichen, surrealen Aspekte der Geschichte als Hinweis des Geschichtenerzählers, dass er eine größere Absicht verfolgt. Eine Absicht, die das Volk Israel und die Assyrer betrifft.

Naheliegend ist jedoch, dass man den „verschluckt von einem Fisch“-Teil ablehnt, weil „solche Dinge einfach nicht passieren“. Und das wirft eine Menge weiterer Fragen auf: Was ist das Kriterium für eine solche Ablehnung? Können wir nur Sachen annehmen, die in einem Labor bewiesen werden können? Glauben wir nur das, wofür es empirische Beweise gibt? Glauben wir nur, dass Dinge geschehen oder nicht geschehen.. weil wir glauben, dass solche Dinge geschehen oder eben nicht? (Das ist ein schräger Satz) („Das seh ich erst, wenn ich’s glaube!“) Bestätigen wir nur, was für uns Sinn ergibt? Sind wir zugeknöpft gegenüber Dingen, wie wir nicht erklären können?

Wenn wir alle wunderhaften Elemente von allen Geschichten entfernen – einfach, weil unser Verstand uns sagt, dass solche Dinge nicht möglich sind – gehen wir nicht das Risiko ein, unser Weltbild auf das zu reduzieren, was wir verstehen können? Wo liegt da denn der Spaß?

Aber natürlich gibt es auch solche, die sagen: „Natürlich wurde er von einem Fisch verschluckt! Steht doch da!“

Prima.

Wirft aber ein Problem auf. Es kann geschehen, dass man über die literarische Erzählung des Fisch-Teils, während man diskutiert und seinen Standpunkt verteidigt, den springenden Punkt der Geschichte verfehlt, in dem es um die erlösende Liebe Gottes geht, die sogar unsere schlimmsten Feinde einschließt.

Für die Menschen, die seinerzeit dieser Geschichte lauschten, hatte sie einen provokativen, verunsichernden Effekt: Die Assyrer? Die Assyrer waren wie ein bodenloses Fass, eine riesige, offene Wunde für die Kinder Israels. Die Assyrer segnen?

Die Geschichte ist extrem subversiv, weil sie darauf besteht, dass
dein Feind möglicherweise offener für Gottes Wort ist, als du selbst. (Kann es sein, dass dieser komische Nachbar mit dem fremden Akzent mehr Nächstenliebe in sich trägt, als ich?)

Aus diesem Grund endet das Buch Jona nicht mit einem Ende, sondern einer Frage. Eine Frage, die Gott Jona stellt – die er den Israeliten stellt:

Sollte ich nicht betrübt sein wegen der großen Stadt Ninive?

Die Geschichte verlangt nach einer Art nicht-dualen Bewusstseins. Denn wir ordnen unser Leben normalerweise in zwei Schubladen ein: Da gibt es die guten Menschen und die Achse des Bösen, man kann das Richtige tun oder das Falsche und es gibt Christen und Nicht-Christen. Man interpretiert einen Text entweder richtig oder falsch.

Aber in dieser Geschichte werden alle diese Kategorien gesprengt. Sie wirft all unsere Vorurteile und die Etikette mit der Erklärung, Gott sei auf jedermanns Seite über den Haufen.

Gerade das religiöse Volk ist richtig gut darin gewesen, die Menschheit in UNS und DIE DA einzuteilen. Aber in dieser Geschichte, der Typ der zu UNS gehört ist wütend, weil Gott IHNEN zulächelt . Er ist sogar so wütend, dass er lieber stirbt, als sich für DIE DA zu freuen.

Und das führt uns zurück zu dem Fisch: Es ist ganz einfach, über diesen Teil der Geschichte mit den Augen zu rollen und die Bibel als skurriles Märchenbuch abzutun – weil man sich dann vom entscheidenden Punkt der Geschichte ablenkt, indem es um einen Gott geht, der uns in bessere, liebendere Menschen verändern will. Einem Gott, der in dieser Geschichte offenbar will, dass wir unsere Feinde lieben (geistige Notiz an Jesus an dieser Stelle).

Ich glaube, dass man – wenn man auf den literarischen Fakten besteht, den wahren Kern der Geschichte verpasst.

Was uns zur Einführung heute bringt: Kann es sein, dass man, während man darüber streitet, wie real oder literarisch der Text ist und während man darüber diskutiert, wer nun was richtig oder falsch auslegt, irgendwann feststellt, dass man sich ablenken lässt?
Und ist es nicht so, dass wir uns auch heute noch immer wieder mit Freude von Kleinigkeiten ablenken lassen – statt auf das Wesentliche zu schauen?

Nächstes Mal: Turm.

Dank geht an Rob Bell.

4 Gedanken zu „#4: Fisch“

  1. Als Kind hatte ich eine eigene Kinderbibel. Für mich war damals ganz klar, dass Jonas seinen Tod wünschte, weil seine Schuldgefühle so schwer wogen. Er hatte viel falsch gedacht und gemacht und dabei sich und Gott enttäuscht. Leider habe ich die Bibel nicht mehr, um zu gucken, ob ich die Stelle noch immer so interpretieren würde.

  2. Eine Interpretation, die mir gefällt.

    Freilich, insofern der Text ein literarischer ist, gilt ebenso H.M. Enzensbergers Diktum:
    „Die Lektüre ist ein anarchischer Akt. Die Interpretation, besonders die einzige richtige, ist dazu da, diesen Akt zu vereiteln.“

  3. Pingback: #21 Babys und Mathematik - ...ein Halbtagsblog...

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