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#8: Steinewerfer

Steinewerfer

Wir haben bisher einen Blick auf einige alte hebräische Schriften geworfen, die das ein oder andere Ereignis womöglich in neuem Licht erscheinen lassen. Heute wollen wir mal einen Blick in die Evangelien werfen, in eine Geschichte über Jesus und suchen dann nach dem roten Faden, der all das miteinander verbindet.

Also: Steinewerfer.
Eine Frau wird inflagranti bei einem Liebhaber erwischt und die Religionspolizei (was ein entsetzliches Wort) bringt sie (aber nicht ihren Kerl) in den Tempel und klagt sie an. Dabei versuchen die Gelehrten, Jesus die Worte zu entlocken, nach dem Gesetz solle sie gesteinigt werden. Schöne Nächstenliebe, Herr Messias.
Jesus aber kniet sich hin, kritzelt etwas in den Staub und sagt dann:

Derjenige von euch, der ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

Er schreibt noch etwas auf den Boden und schließlich gehen die Ankläger von dannen, bis nur noch Jesus und die Frau zurückbleiben. Er fragt sie, ob irgendwer sie verurteilt, sie sagt Nein, er sagt ihr, dass er das auch nicht tue und sie fortan ohne Sünde leben solle.

Ende der Geschichte.

Bleibt die Frage, was er auf den Boden geschrieben hat.

(Nicht erschrecken – das wird etwas Zeit erfordern, aber es lohnt sich!) Die Geschichte über die Steinigung der Frau durch die Menge ist am Anfang des Johannesevangeliums zu finden, im Kapitel 8 (jedoch nicht in den älteren Evangelien…. hmm). Wenn wir ein Kapitel zurückblättern, stellen wir fest, dass die Geschichte zur Zeit des Laubhüttenfestes stattfand.

Laubhüttenfest?

Das Laubhüttenfest ist eines der sieben großen Feste des hebräischen Kalenders (siehe Leviticus 23 für einen Überblick). Es gib Frühlingsfeste und Herbstfeste, die um das Sähen und Ernten angesiedelt sind (was in der Antike nicht unüblich war, wollte man den Göttern doch für die Ernte danken bzw. für ein gutes Jahr bitten.)

Das Laubhüttenfest war das letzte Herbstfest, direkt vor dem Winter. Tausende von Pilger reisten im ersten Jahrhundert nach Jerusalem um acht Tage lang zu feiern und in provisorischen Unterkünften zu hausen (was sie daran erinnern sollte, wie Gott ihre Vorfahren versorgte, als sie vor vielen Jahren auf der Flucht waren (nachzulesen im Buch Exodus). Während dieser acht Tage wurden Opfer dargebracht, es wurde gesungen und es gab besondere Rituale, die sich im Kern darum drehten, Gott um genug Regen während des Winters für die Saat zu bitten. Die religiösen Führer lehrten in dieser Zeit die Bedeutung des Wassers – Wasser als Regen und Wasser in Verbindung mit Durst, Durst als Metapher für spirituelle Sehnsucht. Diese Wasser-Rituale bauten acht Tage lang aufeinander auf, bis schließlich der Hohepriester einen Krug mit Wasser und einen mit Wein über den Altar hielt und beide vor der Masse der Menschen ausgoß, die rief:

Hosianna! Hosianna!

Hosianna bedeutet „Gott, hilf uns!“ wie in „Gott, hilf uns und mach, dass es regnet, damit wir nicht Dürre und Hungernot erleiden.“ (Später bekam Hosianna eine politische Bedeutung, wie in ‘Gott, hilf uns, die Römer loszuwerden’.)

Wenn man das weiß, betrachten wir einmal einen Vers aus dem 7. Kapitel

Am letzten Tag, dem Höhepunkt des großen Festes, trat Jesus wieder vor die Menschenmenge und rief laut…

(Warum spricht er mit lauter Stimme? Weil es der letzte Tag des Festes ist und die Menge sicherlich versammelt ist und laut singt. Er will gehört werden über dem Lärm der Schar.)

Und was sagt er?

„Wer Durst hat, der soll zu mir kommen und trinken!

Wow! Er wählt diesen Moment, in dem den Menschen ihre Abhängigkeit von Wasser ganz bewusst sind und erinnert sie an ihren spirituellen Durst, von dem er behauptet, er könne ihn lindern. (Ist das vielleicht der Grund, warum er früher in dem Kapitel seinen Brüdern erklärt, sie sollen schon mal zum Fest reisen, für ihn wäre die Zeit noch nicht gekommen? Er wartet auf den letzten Tag mit seiner Rede, wenn der Priester Wasser und Wein ausgießt und die Meute nach einem Messias ruft. Wie Puzzleteile, die ineinanderpassen, nicht wahr?)

Tausende von Menschen, essend und trinkend und in provisorischen Unterkünften auf den Hügeln von Jerusalem hausend. Sozusagen die religiöse Urmutter von Woodstock mit einer Menge Wein.

Also.. Was geschieht, wenn viele Leute zusammen trinken und feiern und die Nächte zusammen verbringen?

Womöglich trifft der ein oder andere die falsche Entscheidung, landet der ein oder andere im falschen Zelt und wacht am nächsten Morgen mit einem brummenden Kopf und dem Gedanken „Was habe ich mir nur dabei gedacht?“ auf.

Es ist nicht wirklich verwunderlich, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer eine Frau in den Tempel zerren, die sie mit einem anderen Mann erwischt haben.

Sie bringen diese Frau zu Jesus, um ihn reinzulegen. Denn sie glauben ihm nicht und lehnen ihn und seine Auslegung der heiligen Schriften ab. Sie wollen ihn als Betrüger bloßstellen und dazu zitieren sie eine Stelle aus dem Gesetz.

Und dann beugt er sich hinab und kritzelt etwas in den Staub. Nur was?

Nun, was haben die Pharisäer und Schriftgelehrten in den vergangenen acht Tagen getan?

Sie waren auf dem Fest.

Und was haben sie dort gemacht?

Sie haben gelehrt, nicht wahr?

Und was genau?

Sie haben vermutlich über die Bedeutung des Wassers gesprochen.

Und über welche Passagen wohl genau?

Gute Frage. Eine der Passagen, die auf dem Laubhüttenfest oft gelesen wurde, kommt vom Propheten Jeremia. Die Verse beziehen sich auf den Staub, den man vorfindet, wenn es kein Wasser gibt. Hier sind die Verse:

Herr, du bist die Hoffnung Israels!
Wer dich verlässt, der wird scheitern. Wer sich von dir abwendet, dessen Name vergeht so schnell wie ein Wort, das man in den Sand schreibt. Denn er hat dich verlassen, die Quelle mit frischem Wasser.

Also was tut Jesus?
Er greift eine der Passagen auf, mit denen die Schriftgelehrten vertraut sind und holt sie ins Jetzt, in diesen Moment – und alles, ohne ein einziges Wort zu sagen. Hier ist das Lebendige Wasser, mitten unter ihnen; er fordert sie auf, ihm zu vertrauen – aber sie glauben ihm nicht. Sie stellen ihm eine Falle. Sie predigen über Gott und Wasser und Hoffnung und neues Leben, aber als es endlich da ist, durch einen Menschen, den sie so nicht erwartet haben, da können sie es nicht annehmen. Sie hängen sich an die Tradition, an das Bekannte und verweigern sich dem lebendigen Wasser, das direkt vor ihnen steht.

Was Jesus in den Staub schreibt?

Vielleicht ihre Namen.

Dank geht an Rob Bell.
Alle Teile der Serie.

2 Gedanken zu „#8: Steinewerfer“

  1. Kannst du bei der Jeremia stelle noch die Versangabe nachreichen?

    Generell finde ich bei dem Text ein starkes Stück, dass die Schriftgelehrten kommen und mit Jesus reden wollen – und Jesus schreibt erstmal in den Sand. JEsus wollte scheinbar nicht mit Ihnen reden …

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