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#26: Mose kann’s noch.

IMG_20141110_181222In Zeiten, da in der Mehrzahl nichtreligiöse und nicht getaufte “patriotische Europäer” plötzlich panische Angst vor der Islamisierung ihres Auenlandes Abendlandes haben, wollen wir uns in unserer Reihe weiterhin mit diesem “Abendland” beschäftigen.
Wo kommt es her? Was sind seine Wurzeln? In den vergangenen Monaten sind wir schon tief eingetaucht und haben, so glaube ich, eine ganze Menge neuer Blickwinkel entdeckt.
Nachdem wir uns zuletzt damit beschäftigt haben, die Bibel aus größerer Entfernung zu betrachten, Abstand zu gewinnen und nach Mustern und Handlungsbögen zu suchen, die man übersieht, wenn man eine Geschichte Vers für Vers betrachtet, wollen wir heute einmal das genaue Gegenteil tun und eine Erzählung aus nächster Nähe betrachten – genauer gesagt soll es heute nur um ein einziges Wort gehen. Ein Wort aus Deuteronomium 34. Der Autor erzählt dort von Mose, der sei nämlich…

…einhundertzwanzig Jahre alt, als er starb. Seine Augen waren nicht schwach und auch nicht seine Stärke.

Ein etwas merkwürdiger Vers, nicht wahr? Moses war alt.. und starb. Was gibt es noch zu sagen?
Lesen wir es noch einmal. Fällt euch etwas auf?

Was bedeutet die Phrase und auch nicht seine Stärke?

Mose ist gestorben, oder? Eigentlich bedeutet dies doch, dass ihm seine “Stärke” abhanden gekommen ist, nicht wahr? Warum will der Autor uns mitteilen, dass Moses zwar starb, aber im Besitz seiner Kräfte war?

Das Wort Stärke hier im Hebräischen ist das Wort lê·ḥōh (לֵחֹֽה׃) und es erscheint immer wieder in der Bibel. Es bedeutet wörtlich Feuchtigkeit oder Frische.

Eine Übersetzung lautet

…auch war seine Kraft nicht verfallen

Während ein anderer aussagt

…er hatte immer noch seine Frische

Während der JPS Torah Kommentar feststellt, dass Ibn Esra den Vers verstand als:

…und Moses war nicht verknittert.

(Bitte sagt, dass ihr bei der Vorstellung lächelt 😀 …)

Feuchtigkeit?
Natürliche Kraft hatte nicht nachgelassen?
Er war nicht zerknittert?

Was will uns der Autor sagen? Doch nicht etwa..?!

Mose war der große Anführer der Hebräer; der Befreier, der sie aus der Knechtschaft befreite; der Mann, der dem Pharao trotzte und das überlebt hat; der, der die Israeliten mutig durch endlose Kämpfe, Prüfungen und in der Wüste führte; der Mose, der auf den Berg Sinai stieg, Gott entgegen; dieser hoch aufragende Held der Hebräischen Schriften.. Er mag gestorben sein…

…aber er hatte immer noch das Zeug, selbst am Ende.

Kein Viagra für diesen Kerl, Freunde!

Nur damit ihr es wisst.

Lê·ḥōh, um sicher zu gehen, dass wir uns hier klar verstehen, ist ein Euphemismus für seine sexuelle Potenz.

Das ist es, was der Erzähler uns über Mose Tod erzählen will.

Daraus ergeben sich verschiedene Punkte. (Und nur einer davon ist die Frage, ob das auch im kommenden Mose-Kinofilm thematisiert wird…)

Erstens: Wenn wir uns beim Lesen der Bibel langweilen, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass wir die interessanten Details direkt unter der Oberfläche übersehen. Ich würde behaupten: Die Bibel ist einfach unendlich faszinierend mit all ihren Nuancen und Feinheiten und Metaphern. Sie scheinen nie zu enden, dieser Vers ist ein hervorragendes Beispiel dafür.
Warum sollte der Autor die Notwendigkeit verspüren, uns über Moses Libido aufzuklären? (Diejenigen von euch, die die Reihe bisher verfolgt haben, werden es womöglich ahnen..)

Die Bibel, insbesondere die ersten Teile, handeln von einer Sippe, einem Stamm. Ein Stamm, der der Welt so viele revolutionäre Ideen gebracht hat, dass wir sie heutzutage für selbstverständlich halten, weil sie uns so grundvernünftig erscheinen.
Dieser Stamm sah seine Bestimmung darin, auf eine neue Art miteinander verbunden zu sein, ein Stamm, der der Welt die unerschöpfliche Liebe Gottes nahebringen wollte.

Nun.. Wie macht man einen Stamm? Natürlich durch Babys – was uns zu Moses Potenz führt. Aus diesem Grund finden wir auch all die endlosen Ahnentafeln in der Bibel: Langweilig für uns – in höchstem Maße relevant für die jene, die sie niederschrieben. Sie waren der Beweis dafür, dass diese Menschen ihren Teil dazu beigetragen haben, die Sippe am Leben zu halten. Der Autor will uns klarmachen, dass Mose dazu bereit war (was mir wiederum ein Grinsen auf die Lippen zaubert Smiley)

Zweitens: Manchmal scheint es, als würden diejenigen, die uns unermüdlich erzählen wie wichtig und bedeutsam und relevant die Bibel in unserem Leben ist, auch diejenigen sein, die die spannendsten, merkwürdigsten und (vielleicht?) interessantesten Teile überspringen und auslassen.
Die Bibel ist ein gefährliches, klares, unfaires, ehrliches, seltsames, paradoxes, inspirierendes Buch, welches reale Menschen an realen Orten zu realen Zeiten abbildet und uns ein Gefühl für jene Leiden und Ängste, Berufungen und Erlösung gibt, über die wir noch heute nachdenken.

Die Bibel ist wild.

Jesus macht Schlamm aus seiner Spucke und reibt sie einem Kerl in die Augen und eine Meute in seiner Heimatstadt will ihn umbringen und Moses kriegt immer noch einen hoch und David tanzt in aller Öffentlichkeit nackt umher und die Jünger laufen zu Menschen, die von Dämonen besessen sind und in der Stadt Ephesus wollen zehntausende Menschen Paulus Kopf und der Prophet Jeremia wirft Gott an den Kopf “erst verführtest du mich und dann hast du mich verlassen” während Jesus Ur-Ur-Ur-Urgroßmutter sich wie eine Hure kleidete um ihren Schwiegervater zu verführen.

Der Gedanke, dass dieses Buch stellvertretend als moralischer Polizist betrachtet wird oder von konservativen Religionsgemeinschaften beansprucht wird ist schon merkwürdig. Und wie kann andererseits so ein Buch als langweilig betrachtet werden?

Ich habe heute von Mose und seiner Manneskraft erzählt, weil ich euch einen neuen Blickwinkel schenken möchte (zusammen mit einem Hauch Abenteuerlust und Überraschung und einem Lächeln im Gesicht). Aber darüber hinaus möchte ich die Menschlichkeit dieser Geschichten betonen, die unerwarteten Drehungen und Wendungen wie im Nachruf  von Mose. Ich wünsche mir für euch, dass ihr diese Bibliothek an Geschichten, angefüllt mit Menschen wie wir, ebenso genießen könnt, wie ich es tue.

Und drittens: Die Bibel ist nicht Gottes Art uns zu sagen, was wir falsch machen.
(Ich sehe es zumindest nicht so.) (Aber ich schätze, dass ist mittlerweile klar geworden.)

Mir erscheint die Bibel wie eine Entdeckungsreise. Sie weckt in mir unzählige Fragen und ärgert mich, belustigt mich und unterhält mich in allen möglichen Arten. Sie spiegelt, wie Menschen von Gott angepisst sind und versucht eine Sprache für ihre Freude, ihre Liebe und ihr Ringen mit dem Bösen in der Welt zu finden.
Es geht um die Möglichkeit, dass sich die Welt tatsächlich durch diesen jüdischen Zimmermann verändert hat, dass wir von Zeichen dieser neuen Welt, dieses achten Tages, umgeben sind, die in unser Leben hineinquatscht und uns auffordert, mehr zu wollen, mehr zu denken, mehr zu lieben.

Und all das… aus nur einem Wort.

Ich hoffe – trotz des langen Textes – hat eure Kraft nicht nachgelassen.  Smiley mit geöffnetem Mund

5 Gedanken zu „#26: Mose kann’s noch.“

  1. Danke! So sehe ich’s auch und morgen fang ich mit der 11. das Thema Bibel an und hoffe ihnen zumindest etwas Neugierde, vielleicht auch mehr zu vermitteln. Jetzt fühle ich mich eingestimmt 🙂
    Christine

  2. Der erste Artikel von dir zum Thema Bibel, der mich eher abstößt. Ein 120Jähriger mit Erektionsfreuden, deutlicher kann die Männerdominanz des Christentums nicht in Erscheinung treten. Bei einer ungefragt geschwängerten Maria sollte mich das nicht weiter wundern. Sorry fürs Stänkern einer Ungläubigen.

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