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Post vom Jugendamt

IMAG0303Das Gesundheitsamt hat mich angeschrieben – sie sind um die Gesundheit meiner Jüngsten besorgt und wollen persönlich vorbeikommen, um sich ein Bild zu machen. Nächste Woche Mittwoch. (Und nein, das ist kein Scherz.)

Angefangen hat alles mit einem Spaziergang im Januar im verschneiten Wald:
Vor unseren Augen stolpert ein kleines Rehkitz aus einem Busch und starrt uns ängstlich an. Selbst Bailey ist zu perplex, um zu reagieren und nach einigen Momenten des gegenseitigen Schweigens springt Bambi auf und verschwindet zwischen den Büschen. Da es alleine unterwegs ist, überkommt uns Mitleid und wir wollen das kleine Wesen am liebsten mit der Flasche durch den Winter bringen. Aber unsere Rufe verhallen ungehört. Auch der Hund findet es nicht mehr.

Februar.
Das Gesundheitsamt weist uns schriftlich darauf hin, dass wir mit Amélie zum Kinderarzt sollen. Die U3 stünde an und sie hätten gerne eine Bestätigung, dass wir das erledigt haben. Der Hinweis landet auf dem Stapel “noch zu erledigen”.  Dort liegen bereits zwei weitere “Hinweise”.

März. Genauer: Gestern.
Bailey bellt wie verrückt im Nachbargarten (wir haben keine Zäune zwischen unseren Grundstücken). Als es uns zu bunt wird, entdecken wir ein kleines Rehkitz. Süß schnuffelt es uns an – aber aufstehen kann es nicht. Es liegt eigentlich nur da und schaut. Die Nachbarn sind nicht da.
IMAG0288Ich rufe die Polizei an und frage um Rat. Die schicken einen Kollegen von der Forstbehörde, der fünf Minuten später mit einem riesigen Messer im Garten steht. “Oh je”, sagt er, “das ist schwierig”. Mit dem Messer gäbe das nur eine riesen Sauerei, er wolle die Flinte holen.
In dem Moment kommt Carolina dazu und blickt ihn mit großen Augen an. Der überaus freundliche Jäger lächelt, spreizt die Finger und erklärt ihr: “Ich wollte mir nur die Fingernägel saubermachen.”
Eine Viertelstunde später ist er mit einem Schrotgewehr wieder da und erklärt, dass er nicht einfach rumballern dürfe. Erstens sei das hier “befriedetes Gebiet”, da dürfe überhaupt niemand schießen, außer der Polizei – und zweitens läge das Reh auch noch auf dem Nachbargrundstück. Er müsste von der Polizei beauftragt werden, das Tier zu schießen, dann ginge das. Ich schlage vor, dass Tier den halben Meter auf unser Grundstück zu ziehen, um Papierkram zu vermeiden.
Wenig später gibt es einen Knall. Das Rehkitz ist tot. Carolina schaut etwas traurig, aber interessiert zu. (Das finde ich richtig – man kann ja nicht immer nur Gesichter-Wurst essen und denken, die wächst auf Bäumen.)
Auf dem Rasen prangt jetzt ein sehr, sehr großer Blutfleck.
Ob es das Reh vom Januar ist? Ob es hergekommen ist, um von uns mit der Flasche gefüttert zu werden? Ich muss an das Schweinchen namens Babe denken. “Darf ich Mama zu dir sagen?” Keine Stunde da, schon abgemurkst. Danke, Familie!
Ein weiterer Gedanke macht sich breit: Was, wenn mein Nachbar sich gerade gestern für viel Geld ein isländisches Liege-Reh gekauft hat – und wir haben sein Haustier jetzt abgeschossen. Auf jeden Fall wird er abends von einer gewaltigen Blutlache begrüßt, die sich auch mit einigen Eimern Wasser nicht entfernen lässt.

Währenddessen kündigt sich das Gesundheitsamt an.
Wir haben natürlich alle U’s gemacht. Und geimpft. Und überhaupt. Aber in Baden-Württemberg (oder zu früheren Zeiten?) hat da niemand nachgefragt. Und wir mussten auch niemandem irgendwelche Zettel schicken.
Meine Frau telefoniert mit dem Gesundheitsamt und entschuldigt unsere Schlamperei, außerdem würde sie – als im Osten aufgewachsene Frau – die Einmischung des Staates sehr kritisch betrachten. Da ich Beamter eben jenes Staates bin, überlege ich, meiner renitenten Frau mit der Wegnahme unserer Tochter durch das Jugendamt zu drohen und ein paar Gesetze aufzuzählen – lasse das aber lieber.

Im Augenblick stecke ich also in der Schublade “zu beobachtende Subjekte”. Nächsten Mittwoch kommt das Team von “Familie im Brennpunkt” vorbei und filmt mich:
Vor dem Haus die Reste einer Schiesserei (die Schrotkugeln stecken noch im Rasen) und eine große Blutlache. Amy bekommt gerade einen Zahn und schreit viel. Ich habe überdies Mittwochs erst zur 5. Stunde und kann somit nicht nur ausschlafen, sondern gleichzeitig auch alle Vorurteile über das faule Lehrerpack bestätigen.

Wir werden ein wunderbares Bild abgeben.

22 Gedanken zu „Post vom Jugendamt“

  1. „Wir haben natürlich alle U’s gemacht. Und geimpft. Und überhaupt. Aber in Baden-Württemberg (oder zu früheren Zeiten?) hat da niemand nachgefragt. Und wir mussten auch niemandem irgendwelche Zettel schicken.“

    Soweit ich informiert bin, muss man das auch in NRW nicht – aber der Kinderarzt muss das tun. Das heißt, ggfs. hat der gepennt und die Meldung nicht weitergereicht. Zumindest kenn ich Fälle, wo das des Rätsel Lösung ist …

      1. Ich würd da nochmal nachfragen – einerseits ist es sicher albern, das die Eltern machen zu lassen, andererseits darf jedes Land seine eigenen Albernheiten entscheiden …

        Der Besuch selbst ist sicher schnell erledigt, wenn die ein ausgefüllten U-Heft sehen 😉

  2. Zur Sicherheit vielleicht noch ein paar impfkritische Berichte aus dem Internet ausdrucken und auf den Wohnzimmertisch legen? Sind die Cowboy- und Indianer Handschellen von Fasching schon weggeräumt?
    Naja, Spaß beiseite, die Beamten freuen sich wahrscheinlich, zwischen all den Stressterminen auch mal eine entspannte Begegnung zu haben.
    LG
    Coreli

  3. In Bochum gibt es z.B. Begrüßungsteams, die kurz nach der ‚Geburt fürn´ Kaffee vorbeischauen und nen Stoß Informationsflyer abgeben.

    Wer sich da verweigert, steht von Anfang an auf der gelben Liste.

  4. Lieber Jan,
    ich habe zweimal eine U komplett verpennt, weil Lucy einfach sowas von gesund war, dass ich gar nicht eingesehen habe, kut ihr in ein verkeimtes Wartezimmer zu gehen – du hast Recht, in BaWü zuckt der versierte Kinderarzt da mit den Schultern und meint „Passt scho!“ Bekannte in Hessen haben aber ein Verwarnungsschreiben bekommen für das selbe „Vergehen“. Die Eltern (Mutter Richterin) haben das als Eingriff in ihre Individualrechte empfunden. Ich verstehe das Amt – es will Kindsverwarlosung vorbeugen. Verhungert mal wieder ein Kind, ist das Geschrei groß und die Behörden werden angeprangert, dass man nichts unternommen habe. Aber ganz so schnell werden die Kinder nicht aus Familien herausgenommen. Vielleicht bekommt ihr erst einmal eine Familienhelferin 😉

  5. Genialer Blogeintrag. Reif für’s TV. Alles wird gut. Hab auch mit LK zu tun, von der anderen Seite, so als Personlmensch. Wünsche mir mehrere so wie dich, ohne Meckern und Dauerjammern. Bin durch Zufall auf deinen Blog gestoßen und lese ihn jetzt regelmäßig. LG

  6. PS: DAs Problem ist, dass das Jugenamt ja nicht weiß, bei wem es nötig ist, vorbei zu schauen und bei wem nicht. Insofern finde ich das ja grundsätzlich gut. Ich habs auch mal verpennt, da musste der KIA beim Jugendamt anrufen …

  7. Also das Amt und die U-Untersuchungen…
    ich hatte da auch als Kind Probleme mit. Zuerst GKV-versichert über meine Mutter, wurden wir immer auf U-Untersuchungen hingewiesen, alle wurden eingehalten. Dann über den Vater privat versichert worden, nicht zur U-Untersuchung mit 5 eingeladen worden. Dann bei der Schuleingangsuntersuchung sinngemäß: „Sie asoziales Pack haben Ihr Kind nicht zur Untersuchung gebracht, was soll das eigentlich etc. pp… “ die kennen da einfach kein Maß und Ziel. Aber du wirst diese Kleinigkeiten bestimmt gekonnt umschiffen 😉

  8. Pingback: Puzzleteile ergeben manchmal ein falsches Bild.

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  10. Hallo, ja so einen Brief hatten wir auch einmal bekommen, wir waren tags zuvor bei der entsprechenden U. Ich war doch etwas geschockt über den Brief, auf Rückfrage in der Arztpraxis hieß es, dass Ende der Woche die Untersuchungen an die entsprechende Stelle weitergeleitet werden. Das macht in Thüringen die Kinderarztpraxis. Am Ende ist es gut, dass darauf geachtet wird. Schließlich gibt es unzählige Familien, die einfach andere Dinge im Kopf haben und das Kindeswohl und dessen Gesundheit nicht an erster Stelle stehen. Daher die Briefe… besser einmal mehr geprüft, als einmal zu wenig 🙂

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