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Frau Henner und Herr Klinge streiten

Ist die Gesamtschule die Schule der Zukunft? Wo findet das Gymnasium seinen Platz in der immer heterogener werdenden Schülerschaft. Wie viele Glieder braucht unser Schulsystem eigentlich? Frau Henner und Herr Klinge streiten über die Zukunft des Schulsystems.

Klinge: Liebe Frau Henner, du arbeitest an einem Gymnasium in Baden-Württemberg, bei dem die Schüler nach insgesamt 12 Jahren ihr Abitur machen. Seit 2012 gibt es in BaWü auch Gemeinschaftsschulen, die wohl nach und nach die Haupt- und Werkrealschulen ablösen werden. Soweit richtig?

Henner: So sieht es zumindest aus. Den einen Gedanken dahinter kann ich gut nachvollziehen: Es geht darum, die stigmatisierte Hauptschule loszuwerden. Deshalb geht sie vielerortens jetzt „einfach“ in der Realschule auf, was das Problem natürlich nicht löst, sondern nur verschiebt.

Klinge: So ist das in NRW auch.

Henner: Das muss dann noch keine Gemeinschaftsschule sein, denn diese verfolgt neben dem gemeinsamen Lernen ja noch ein für mich sehr fragwürdiges pädagogisches Konzept. Aber egal ob Gemeinschaftsschule oder Realschule+ oder wie auch immer man das nennen mag: Die Tendenz geht eindeutig in Richtung eine Schule für alle und… vielleicht das Gymnasium.

Klinge: Welches Konzept meinst du?

Henner: Lehrer sind nur noch Lernbegleiter, das heißt, die Schüler suchen sich selbständig aus, was sie wie und wann lernen wollen, hocken ziemlich isoliert in ihren Lernboxen, wenn sie sich nicht gerade freiwillig ein Input geholt haben oder den Lernbegleiter um Hilfe gebeten haben… das ist für mich eben kein Lernen in Gemeinschaft, sondern genau das Gegenteil. Und da auf der Gemeinschaftsschule eher der schwächeren Schüler sind, funktioniert das nicht, denn gerade schwache Schüler brauchen verbindliche Strukturen und Anleitung.

Klinge: An der Stelle möchte ich widersprechen! Ich ahne, was du meinst und habe so etwas an der Montessori-Grundschule meiner Tochter erlebt, aber an weiterführenden Schulen sind mir solche „Lernbegleiter“ noch nie begegnet. Weil das – wie du richtig sagst – gerade bei schwächeren Schülern oft nicht funktioniert. Aber „Gesamtschule“ bedeutet doch nicht „lernt, was ihr wollt“ und noch nicht einmal „lernt alle alles gemeinsam“.
Konkret: Bei uns werden die Schüler in allen Hauptfächern in E- und g-Kursen je nach Leistung aufgeteilt. In Sport und Kunst und so weiter können sie trotzdem alle gemeinsam lernen. Wir haben sehr klare Strukturen und Anforderungen. Für alle Kinder.

Henner: So eine ähnliche Struktur in Niveaustufen haben wir ja demnächst auch in unserem neuen Bildungsplan. Der ist für die Sekundarstufe für alle Schulen gleich ausgewiesen und differenziert dann intern. Das gilt natürlich nicht nur für die Hauptfächer. Da stellt sich mir die eine oder andere grundsätzliche Frage und hier muss ich leider ausholen. Nehmen wir beispielsweise das Fach Geschichte, wo es ja nicht um das Auswendiglernen von Fakten, sondern um die Entwicklung der historischen Urteilsfähigkeit oder das Einüben in historisches (also kritisch, multiperspektivisches) Denken geht. Wenn ich ein differenziertes historisches Urteil fälle (das nennt sich dann „Reflexionskompetenz“ – oder „Urteilskompetenz“ …), dann geht das meines Erachtens eben nur auf einem Niveau. Ein reflektiertes historisches Urteil ist ein reflektiertes historisches Urteil. Da kann ich nicht sagen: „Für Schüler X gilt hier nur Niveaustufe 1, wohingegen für Schüler Y Niveaustufe 3 anzulegen ist.“ Das ist sachlogisch hochproblematisch und ich bezweifle sogar, ob das überhaupt möglich ist. Also: Die Konsequenz für mich ist die Beibehaltung einer möglichst homogenen Lerngruppe, für die gewisse Standards gelten, die zu erfüllen sind. Also müsste ich auch in Nebenfächern unterschiedliche Kurse anbieten. Das gilt übrigens auch für Kunst und Musik, wo unsere Lehrer in der Mittelstufe schon den theoretischen Blickwinkel für die Oberstufe vorbereiten.

Klinge: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Wie würdest du die Schülerschaft an deiner Schule beschreiben? Unterscheidet sie sich von der Schülerschaft von vor, sagen wir, zehn Jahren?

Henner: Wenn die Hauptschüler zunehmend auf die Realschulen gehen, „fliehen“ immer mehr Realschüler auf das Gymnasium. Aber das ist nur ein Grund für eine zunehmende Heterogenität, oder, wie man jetzt politisch korrekt sagen muss, für zunehmende Diversität. Unsere Welt verändert sich stetig. Diese Entwicklung ist völlig normal und ich weine garantiert nicht der guten alten Zeit hinterher. Um es ganz konkret zu machen: In meiner ersten fünften Klasse gab es ein Kind mit erhöhtem Förderbedarf in Deutsch und zwei weitere, die sich so richtig auf den Hosenboden setzten mussten. Momentan müsste ich in meiner aktuellen fünften Klasse bei zehn Kindern einen erhöhten Förderbedarf diagnostizieren. Und ja, auch ich sitze inzwischen vor Eltern, die des Deutschen nicht so mächtig sind, dass ein vernünftiges Elterngespräch möglich ist. Das Gymnasium ist also mitten in der Gesellschaft angekommen – darauf willst du doch hinaus, oder?

Klinge: Ich will auf gar nichts raus. Ich mag möglichst differenziert und begründet diskutieren.

Henner: Das eine schließt das andere nicht aus.

Klinge: Ich arbeite an einer Gesamtschule aus einem typischen Vorort. Das bedeutet, ein großer Teil der Schüler kommt aus intakten Familien und wir erleben im Kollegium eine große Unterstützung seitens der Elternschaft. Tatsächlich sind wir, vereinfacht gesagt, der Lehrbuchfall einer Gesamtschule mit einer guten Durchmischung von Haupt-, Real- und Gymnasialschülern.
In meiner Arbeit erlebe ich, wie gut den Kindern diese Heterogenität tut – sowohl kognitiv, als auch im Sozialverhalten. Man lernt, den eigenen Horizont zu erweitern.

Henner: Das klingt alles wunderbar. Ich bin übrigens selbst auf eine Gesamtschule gegangen und bis zu einem gewissen Alter hat mich das auch nicht gestört, aber als die anderen Kinder anfingen, mich wegen meiner Leistungen schief anzuschauen, war ich dann heilfroh, als ich an einer anderen Schule erlebte, wie nett es ist, wenn alle Schüler gewisse Leistungen bringen und wie toll dann auch der Unterricht dort war, wie herausfordernd. Ich bin regelrecht aufgeblüht. Später bin ich auf ein ganz normales Gymnasium gewechselt. Natürlich habe ich da alle möglichen Schüler kennen gelernt, auch leistungsschwache, aber meine Freunde, das waren genau die, die Leistung brachten. Ich habe meinen Horizont also eher in eine Richtung erweitert, tut mir leid.

Klinge: Ich denke nicht, dass man das generalisieren kann – das Schüler wegen guter Leistungen verspottet werden habe ich noch nicht erlebt. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, welche Lehrer vorne stehen. Ich war auf einem altsprachlichen Gymnasium – so richtig mit Griechisch und Latein – und auch da gab es ein Hauen und Stechen. Umgekehrt sitzen bei uns ehemalige Gymnasiasten, die solche Mathematiklehrer wie den deiner Tochter erlebt haben. Lehrer, die Vorlesungen halten.

Henner: Man kann nie etwas generalisieren, da hast du völlig Recht. Trotzdem bildet man sich eine Meinung nach dem eigenen Erleben. Lucy ist auch wieder mit guten Schülern befreundet, da gibt es einfach mehr gemeinsame Interessen, das hat bei ihr und hatte auch bei mir nichts mit dem Lehrer zu tun.

Klinge: Bei uns machen die Schüler auch Abitur und – im Vergleich zu Gymnasien – kein schlechteres. Mal provokant gefragt: Wozu braucht man das Gymnasium eigentlich noch?

Henner: In den 70ern gab es schon einmal eine Gesamtschulwelle. Damals ließ man aber das Gymnasium nebenbei bestehen und das hat einfach nicht funktioniert, weil die Gesamtschulen so nicht die Leistungen erbringen konnten, wie sie an Gymnasien erreicht wurden – auch bei guten Schülern nicht. Nehmen wir mal an, wir machen also wieder Gesamtschule, aber diesmal ohne das lästige Gymnasium, was dann wieder einen Teil der sehr guten Schüler abzieht. Das funktioniert bei euch, was sehr schön ist. Aber schauen wir uns mal um, durchaus auch gern in anderen Ländern. Willst du tatsächlich ein High-School-System, was eine so schwache Bildung vermittelt, dass dann vor die Universität unbedingt das College geschaltet werden muss? Oder wie ist es mit dem Privatschulsektor. Glaubst du nicht, dass dann vermehrt die Privatschulen die Aufgabe des Gymnasiums übernehmen? Das fände ich fatal, denn dann wäre Bildung erst recht an den Geldbeutel der Eltern gebunden.

Klinge: Nochmal: Unsere Abiturienten machen Zentralabitur. Diejenigen, die nach der 10 abgehen machen Zentrale Abschlussprüfungen. Mit den exakt gleichen Anforderungen wie jedes andere Gymnasium bzw. jede andere Realschule auch. Und gerade die Abiturienten schneiden völlig erwartungsgemäß ab. Da gibt es kein Absinken des Bildungsniveaus.

Henner: Da habe ich eine ganz praktische Frage. Nehmen wir mal das fiktive Beispiel Lucy. Stell dir vor, sie ist überall im E-Kurs, aber in Mathe im g-Kurs. Könnte sie dann überhaupt in die Oberstufe? Könnte sie dann mit einem, sagen wir mal „schwachen“ g-Kurs-Ergebnis ins Abitur gehen? Ab wieviel g-Kurse wird einem die Oberstufe bzw. das Abitur verwehrt? Und welchen Einfluss haben die Kurse dann auf den Notenschnitt?

Klinge: Vereinfacht gesagt: Einen g-Kurs darf sie sich leisten, aber der muss am Ende mit der Note „gut“ abgeschlossen werden. Lucy wäre aber nur dann ein Fall für den Grundkurs, wenn sie vor der Zuteilung auf „ausreichend“ gestanden hätte. Diese Grundkurse bestehen dann aus etwa 12 Schülern, die sehr stark gefördert werden können. Mit der richtigen Arbeitseinstellung kann jeder wieder in den Erweiterungskurs kommen – Hochstufen geht jederzeit. Lucy würde also in einem kleinen Kurs sitzen und dort gefördert. Übrigens müssen alle Hauptfächer im Schnitt mindestens „befriedigend“ sein, um für die Oberstufe zugelassen zu werden – das spräche gegen deine Befürchtung des sinkenden Niveaus.
Durch diese gezielte Unterstützung können wir „Spätzünder“ besser fördern – im Gegensatz zur frühen Trennung auf andere Schulsysteme: Die Schmuddelkinder sollen bitte unter sich bleiben, damit die Reichen und Klugen nicht gestört werden. Ein Bild, wie abgeschottete amerikanische Vorstädte. Ich bin ein Freund großer Durchmischung.

Henner: Du schreibst selbst weiter oben, dass deine Gesamtschule eine Vorortschule ist mit einem Großteil intakter Familien und breiter Elternunterstützung. Das ist ein schön, aber noch keine wirkliche Durchmischung. Ich fürchte ganz ehrlich, dass es genügend Eltern gibt, die kein Freund großer, wirklicher Durchmischung sind und dann vorm staatlichen Schulsystem fliehen. Gesamtschule kann nur funktionieren, wenn es keine ernstzunehmende Alternativen gibt. Und dann wäre unsere Bildungslandschaft nicht mehr so vielseitig.

Klinge: Autsch. In Siegen gibt es mehrere ernsthafte Alternativen: Gymnasien und auch Realschule mit sehr gutem Ruf – in unserem Vorort gerade 10 Minuten entfernt. Die Gesamtschulen bei uns machen einfach, behaupte ich, eine wirklich gute Arbeit. Funktionierende Gesamtschule ist für mich die Alternative schlechthin.

Henner: Andersherum gefragt: Was ist eigentlich so schlimm an einer Leistungsdifferenzierung an verschiedenen Institutionen ab einem bestimmten Zeitpunkt, um so die unterschiedlichen Bedürfnisse besser fördern zu können?

Klinge: Ich begrüße eine Leistungsdifferenzierung sogar, jede Gesamtschule differenziert doch durch verschiedene Kurse. Aber eine Differenzierung in den Hauptfächern kann doch unabhängig von den Fächern Sport oder Kunst sein. Der Knackpunkt ist „der bestimmte Zeitpunkt“.
Ein ganz, ganz großer Teil unserer Abiturienten hat von der Grundschule aus keine Gymnasialempfehlung. Da sitzen junge Menschen, die am Gymnasium nicht angenommen worden oder vermutlich gescheitert wären. Eine frühe Differenzierung holt aus den Kindern nicht das Beste raus.

Henner: Das finde ich etwas einseitig argumentiert. Ich sehe selbst, dass die Grundschulempfehlung zwar im Großen und Ganzen, aber nicht bei jedem Kind eine gute Prognosekraft besitzt und ich freue mich ehrlich, wenn ein Realschüler dann ein tolles Abitur hinlegt. Was wir allerdings mit den vielen, sehr schlechten Abituren sollen, die wir in den letzten Jahren produzieren, das frage ich mich wirklich, denn für diese Schüler wäre dann ein ordentlicher Realschulabschluss besser gewesen. Wir lassen zu sehr die Durchlässigkeit des alten Systems unter den Tisch fallen. Wie viele gute Realschüler haben eine gute Schulbildung genossen und dann ein Fachabitur gemacht, mit dem sie dann auch alles studieren konnten.

Klinge: Ich betrachte aber im Gegenzug die Schulentwicklung als Ganzes mit Sorgen: Die Differenzierung in Hauptschüler für die Ausbildungsberufe, Realschüler für die klassischen kaufmännischen Berufe und das Gymnasium als Vorbereitung für das Hochschulstudium funktioniert heute nicht mehr.
In der Folge sitzen viele Kinder an Gymnasien und sind genauso überfordert wie die Lehrer vor ihnen, die nicht gelernt haben, so zu differenzieren, wie man es an einer Gesamtschule machen muss. Also wird gesiebt.
Das geht an einer Gesamtschule nicht: Bei uns können die Kinder nicht sitzen bleiben. Aber sie lernen voneinander und miteinander. Jonathan ist in Mathematik vielleicht grottenschlecht, aber in Englisch und Deutsch womöglich eine Granate. Und in der Pause spielt er mit Ayce und Kevin, die ihrerseits ein individuelles Profil haben. Für mich das Idealbild einer Gesellschaft, in der jeder seine Stärken hat und danach gefördert wird.

Henner: Du sagst es, ein Idealbild. Ich nehme mal als Beispiel meine Tochter, die in jedem Fach dann im Gymnasialkurs wäre, außer in Mathe, dort würde sie wahrscheinlich im mittleren Kurs sitzen. Dann wäre sie vielleicht gut in Mathe – klingt erst einmal super. Aber sie würde sich nicht anstrengen, Lucy ist nicht sehr ehrgeizig.

Klinge: Ja, solche Kinder haben wir natürlich auch. Egal welcher Kurs: Das bleibt immer „3“.

Henner: Weniger Individualisierung bedeutet im Gegenzug, dass Kinder lernen, dass man sich auch anstrengen muss, dass einem nichts so einfach geschenkt wird und dass man sich zu fügen hat. Wenn man nicht die zu erfüllenden Standards als Basis nimmt, kommt es über einen längeren Zeitpunkt zur Niveauabsenkung. Der Fehler, den man derzeit auch in BW macht, liegt, denke ich, darin, dass man eben nicht von der Leistungsspitze her denkt, also von dem Optimum, sondern man denkt von unten – von den schwachen Schülern her – und das momentan ausschließlich. Das ist durchaus legitim, aber das führt eben langfristig dazu, dass wir unser hohes Bildungsniveau im Gesamten nicht werden halten können.

Klinge: Ich habe einige Jahre in BaWü gelebt und miterlebt, wie schon Grundschüler in Nachhilfeinstitute geschickt wurden. Schön war das nicht. Dieses Denken von der Leistungsspitze her einhergehend mit enormem Leistungsdruck, den du auf deinem Blog ja auch beschreibst, geht genauso oft schief.

Henner: Lucy spielt übrigens mit Ayce, aber nur wenn ihre Freundinnen nicht zur Verfügung stehen, (aber selbst dann nicht mit Kevin). Ich beobachte, wie sehr die Mädchen selbst beim Spielen in ihren Schichten und in ihrem Leistungsgefüge bleiben. Ausnahme sind die Jungen und ihr Fußball, da brechen solche Grenzen schon mal auf. Doch nach der Unterstufe spielen auch die Jungs nicht mehr Fußball auf dem Hof und die Grenzen verhärten sich auch dort.

Klinge: Das ist nachvollziehbar – wäre an einer guten Gesamtschule aber vielleicht anders. Alle Eltern wünschen sich für den Freundeskreis ihrer Kinder nur gebildete, höfliche Oberschichtenkinder. Nach oben buckeln, nach unten Abstand halten. Das Ergebnis sieht man in den Großstädten. Die Hauptschulen sind der große Verlierer.

Henner: Man wollte die Stigmatisierung der Hauptschüler abschaffen, weil man einfach keine Lösung hat, wie man dem Bildungsrand der Gesellschaft in einer Gesellschaft, die auch in einfacheren Berufen ein höheres Niveau als früher anlegt, zu einer angesehenen Stellung in der Gesellschaft verhilft. Dieses Problem auf Kosten der Realschule zu lösen, ist ein sehr schwacher Versuch. Die Gesamtschule scheint mir auch keine Lösung, sondern nur eine andere Etikettierung. Man bräuchte zudem große Schulzentren, nichts mehr mit unserer kleinen Landschule, die könnte nämlich keine Kurse auf allen Niveaus für alle Schüler anbieten.

Klinge: Ich möchte einen Vorschlag machen: Wir pausieren an dieser Stelle und bitten die Leser unseres Blogs, ihre Meinung kundzutun.

Henner: Alle beide?

Klinge: Alle beide! Auf jeden Fall möchte ich mich bis hierher schon mal bei dir bedanken.

Henner: Ganz meinerseits. Vielen Dank, es hat wirklich Freude gemacht, sich mit dir „zu streiten“!

Klinge: Also: Gymnasium oder Gesamtschule? Liebe Leser, was sind eure Gedanken dazu?

25 Gedanken zu „Frau Henner und Herr Klinge streiten“

  1. Liebe Frau Henner und lieber Herr Klinge,
    ich bin eine Verfechterin der Gesamtschule .
    Wir haben bei meiner Nichte erlebt, wie furchtbar das Scheitern an einem Gymnasium für ein Kind sein kann. Sie hatte nach der Grundschule eine eindeutige Gymnasialempfehlung und ging dort jedoch unter dem Leistungsdruck zu Grunde. Sie selbst bezeichnete das als Bulimie-lernen. Danach wurde sie auf „unserer“ Gesamtschule mit viel Geduld der Lehrer wieder aufgebaut und hat dort (vor 2 Jahren) ein hervorragendes Abitur gemacht. Gleiches bekomme ich auch bei der Tochter (9. Kl.) einer Freundin mit, die vor einem Jahr vom Gymnasium auf eine Realschule gewechselt hat. Es gibt natürlich auch viele Kinder, die mit dem Gymnasium sehr gut zurechtkommen.
    Durch diese Erfahrung haben wir beschlossen unsere beiden Söhne (1x eingeschränkte Gymnasial-, 1x Realschulempfehlung (derzeit 11. und 8. Klasse)) auf eine Gesamtschule gehen zu lassen.
    Unsere Gesamtschule liegt in einem Problemumfeld (Köln-Chorweiler /Trabantenstadt). Sie ist eine der ältesten Gesamtschulen in NRW und hatte gerade 40jähriges Bestehen. Wir selber wohnen in einem kleinen Vorort mit Bauernhöfen, kaum Migranten, überwiegend Eigentumshäuser und viel heiler Welt. Viele haben mir abgeraten. Ich würde die Entscheidung jedoch jederzeit wieder treffen.
    In unserer Schule gehen wenige Kinder mit einer eindeutigen Gymnasialempfehlung. Die Klassen 5-10 sind 8-zügig (ca. 240 Kinder pro Jahrgang) die Oberstufe ist 5-Zügig (125-140 Jugendliche pro Jahrgang). 40% der Kinder haben Migrationshintergrund. Trotzdem schaffen es jedes Jahr ca.100-120 Kinder dieser Schule es in die Oberstufe um dort ihr Abitur zu machen – auch Kinder die ursprünglich eine Hauptschulempfehlung hatten. Ich kenne die Zahlen, da ich mich seit 7 Jahren als Mutter in der Klassenpflegschaft und der Schulkonferenz engagiere.
    Ich kann alle Argumente von Herrn Klinger bestätigen. Ein Kind kann durchaus in einem Hauptfach schwach sein und in anderen Hauptfächern gute bis sehr gute Noten haben. Nebenfächer werden auch bei uns gemeinsam im Klassenverband unterrichtet. Hauptfächer werden nach G- und E-Kursen getrennt. Unsere Söhne haben Freunde aus allen Milieus – von Julius (Doktorenkind) bis zu Mohamed, dessen Eltern kaum deutsch sprechen und die Schule als überflüssig ansehen (Aussage Vater). Mein „Großer“ trifft immer noch ständig „alte“ Freunde, obwohl die Wege nach der 10. Klasse auseinander gingen (Lehre, Oberstufe, andere Schule).
    Ich weiß jedoch nicht, ob ICH ein „echtes“ hochbegabtes Kind oder ein „sehr“ lernschwaches Kind auf eine Gesamtschule geben würde. Wir haben jedoch Eltern, mit Kindern mit diagnostizierter Lernschwäche (ich weiß nicht ob das so richtig heißt), die an unserer Schule zufrieden sind und hoffen, dass ihr Kind bei uns den Hauptschulabschluss schafft. Ebenso gibt es bei uns Kinder die überall nur Einsen und Zweien schreiben.
    Viele Grüße
    Silke
    😉 Soweit ich weiß, darf die 3 im Grundkurs mit einer 2 in einem anderen E-Kurs ausgeglichen werden um es noch in die Oberstufe zu schaffen.

  2. Hmm Ich würde sagen Gemeinschaftsschule (BW und ich unterrichte an einer) sehe aber große probleme darin, dass sich die Gymnasien bei uns „ausklammern. Wir sind zur Zeit seit 2 Jahren GMS mit sehr kleinen Klassen (ca. 20 Schüler pro Klasse). Mein größtes Problem zur Zeit ist, dass es keine Durchmischung gibt. Ich habe einen guten Schüler, der Rest benötigt teilweise ein hohes Maß an Förderung. Gleichzeitig würde ich diesem einen Schüler einen Partner wünschen, an dem er sich „abarbeiten“ kann. Ein Gegenüber auf Augenhöhe, der auch mal ein Projekt auf seinem Niveau mitgestalten kann. Ohne Durchmischung funktioniert die GMS einfach nicht, da werde ich niemandem gerecht und das wiederum tja frustriert mich. Also GMS ja, bitte mit allen oben genannten Vorteilen aber ich brauche auch „passende“ Schüler, so Schade ich das finde.

  3. Pingback: Gymnasium versus Gesamtschule – Herr Klinge und Frau Henner streiten | Viele Grüße aus der Provinz

  4. Mal provokant gefragt: Was habt ihr eigentlich gegen den Begriff Elite?

    Im Fussball ist das gang und gäbe. Ob erste oder zweite Mannschaft – das wird vom Trainer entschieden – jeder darf mitspielen aber die guten müssen mit den guten trainieren sonst werden sie nicht besser.

    Ich bin ein Freund des Gymnasiums – aber bitte mit noch deutlicherer Trennung. Ich finde wir haben zu viele Abiturienten. Zu viele, die nicht das nötige unversitäre Niveau erreichen und stattdessen in eine Ausbildung gehen und damit den Druck nach „unten“ auf die Real- und Mittelschüler weitergeben und deren Ausbildungsplätze besetzten. In meiner Schule – ja, noch’n Lehrer – habe ich viel zu oft Gespräche, die darauf zielen, dass das Kind auf Biegen und Brechen Abitur haben muss, obwohl es das weder leisten will noch kann, da hilft dann auch kein fördern.

    Ich bin am Gymnasium, weil ich die Besten zu Höchstleistungen führen können will. Nun werden aber regelmässig Profil- und Pluskurse gestrichen um Fördergruppen einzurichten. So werden systemimmanent die besonders Guten ausgebremst, sowohl im Angebot des Unterrichts als auch im Fortkommen im Unterricht – dafür braucht es dann keine Schule der Besten, kein Gymnasium.

    Ich finde, dass durch den ständig wachsenden Bildungsanspruch der Eltern die Schulabschlüpsse entwertet werden. oder platt gesagt: wenn alle Abitur haben, was ist dann ein Abitur noch wert?

    1. Genau diese Tendenz erlebe ich auch an meiner Schule. Wir richten gerade für jedes Hauptfach in der Unterstufe Förderkurse ein, aber wie fordern wir die richtig guten Schüler? Für die habe ich immer weniger Zeit – nach meinem subjektiven Empfinden wohlgemerkt. Möglicherweise stehe ich auch deshalb der Gesamtschule skeptisch gegenüber. Aber fragen wir mal Jan: Wie sieht bei euch die Förderung nach oben hin aus?

      1. Förderung nach oben muss man unterscheiden zwischen der Förderung von Höchstbegabten (wie die Leserin deines Blogs) und den „normal“ leistungsstarken Schülern. Erstere kann man nie verallgemeinern, weil das jeweils spezielle Fälle sind: Wir haben schon Mittelstufenschüler für einzelne Einheiten in der Oberstufe mitlaufen lassen.
        Was die anderen angeht, hängt das stark von den Lehrern ab – da kann ich über andere Fächer nur bedingt etwas aussagen. Ich differenziere via Lerntheken und gebe den leistungsstärksten häufig Aufgaben aus höheren Jahrgangsstufen.
        Letztlich ist das aber ein schwieriges Thema: In Zeiten, da Eltern gerne mal Noten einklagen, muss ich als Lehrer sehr genau aufpassen, was ich im Unterricht mache.

    2. Ich stimme dir zu. Mit einem zweigleisigen System eines sehr elitären Gymnasiums und einer Gesamtschule könnte ich prima leben.

      Den Schluss hingegen sehe ich anders: Das Abitur ist per se nichts „wert“ – es stellt eine Zugangsberechtigung für die Hochschule dar, mehr nicht. Überspitzt formuliert: Vor zweihundert Jahren konnten nur wenige Menschen lesen und schreiben – das war sehr viel „wert“. Aber wollen wir das?
      Ich halte es für richtig, jedem Menschen das ihm eigene Maximum an Bildung und Denkfähigkeit zu vermitteln, was nur möglich ist – unabhängig von dem, was bei rauskommt.

  5. Die Diskussion über den Gegensatz zwischen Gesamtschule und Gymnasium lässt sich nicht so isoliert führen, wie es hier gemacht wird. Es gibt für beide Formen Argumente, auf der anderen Seite ist es schwierig, beide Schulformen parallel zueinander zu haben, zumal ein Welchsel von einer Schule in eine andere Schulform aufgrund von vorhandenen Räumlichkeiten, den beteiligten Personen und anderen örtlichen Gegebenheiten nicht so einfach möglich ist.
    Außerdem prallen bei diesen Diskussionen oft Ideologien aufeinander, die keine Kompromisse zulassen. Ein mehrgliedriges Schulsystem ist mit Sicherheit, vernünftig umgesetzt, erfolgreich.
    Eine Gesamtschule für alle kann ebenso, wenn sonst keine „Regelschulkonkurrenz“ besteht, zu genauso guten Erfolgen führen. Lässt man die Systeme wie zur Zeit parallel laufen, prallen ideologische Fronten aufeinander, die unüberwindbar scheinen.
    Das Gymnasium hat in Deutschland eine solche Tradition, dass eine Abschaffung nahezu nicht möglich ist. Gesamtschulen haben häufig die besseren (Ganztags-) Konzepte und werden von den Kommunen ganz anders gefördert, auf der anderen Seite aber von vielen Eltern nicht als ernstzunehmende Alternative zum Gymnasium akzeptiert.

    Am Ende sind sich beide Schulformen gar nicht mehr so unähnlich. Auf beiden Schulformen tummeln sich genug Kinder, die für Traditionalisten nicht gymnasialgeeignet sind. Beide Schulformen differenzieren (mehr und mehr) im Unterricht und sehen sich mit Inklusion und einer Heterogenität konfrontiert, die vor einigen Jahren vielleicht schon vorhanden war, der man sich aber heute deutlicher bewusst wird. Der Unterschied ist das einheitliche Ziel „Abitur“ am Gymnasium im Gegensatz zur Gesamtschule, die alle Möglichkeiten bietet.
    Für die Zukunft kann ich mir ein zweigliedriges Schulsystem in Deutschland vorstellen, das auf der einen Seite die Gymnasien beibehält, auf denen in 8 Jahren das Abitur abgelegt werden soll und an denen man versucht, die Schülerinnen und Schüler genau hierfür „fit zu machen“. Auf der anderen Seite stehen dann die Gesamtschulen, die das gesamte Spektrum abdecken und ausdrücklich auch „Gymnasialschüler“ ansprechen müssen.
    Vielleicht müssten Schulen vor Ort gerade in der Oberstufe hier viel stärker kooperieren, um nicht mehr gegeinander sondern auch ein Stück weit miteinander zu arbeiten.

  6. Ich bin noch keine Lehrerin, aber ich bin gerade dabei eine zu werden. Mein Meinungsbild stützt sich auf meine persönliche Erfahrung und den Theorie-Input, den ich gerade letzte Woche erst in einer Schulpädagogik-Vorlesung erhalten habe. Ich persönlich bin in NRW mit Gymnasialempfehlung auf Selbiges gegangen und das erfolgreich bis zur 10. Klasse. Aus persönlicher Überzeugung (und weil meine Neigung zum Leistungssport dort besser gefördert werden konnte) bin ich nach der 10 auf eine Gesamtschule gewechselt. Ich musste mich für diesen Schritt vor meinen Gymnasiallehrern und anderen Beteiligten oft verteidigen, rückblickend kann ich mein subjektives Empfinden bezüglich der beiden Schulen folgendermaßen beschreiben: Gymnasiallehrer wollten nicht daran schuld sein, dass ich ein schlechtes Abitur schreibe (und erbrachten daher ihr Soll und meistens nicht mehr), Gesamtschullehrer wollten mir zu einem guten Abitur verhelfen (und haben oft über ihr Soll hinaus gewirkt). Und das sage ich aus der Sicht einer damaligen Eliteschülerin.
    Unsere Gesamtschule hatte in einen der ersten Zentralabitur-Jahrgängen im städtischen Vergleich (sprich im Vergleich mit zahlreichen Gymnasien drumherum) die meisten 1er-Schnitte zu verzeichnen. In der gymnasialen Oberstufe dieser Gesamtschule herrschte ein hohes Niveau neben einem überdurchschnittlich sozialen Miteinander (Letzteres wurde an unserer Schule als Kernkompetenz betrachtet). Ich stehe mit meinen Abitur-Freunden nach wie vor in engem Kontakt. Mich hat die Zeit auf der Gesamtschule sehr bereichert.

    In besagter Vorlesung präsentierte meine Dozentin Ergebnisse diverser Umfragstudien aus den letzten 6 Jahren, an denen sie selber mitwirkte. Befragte man ausschließlich Eltern, so befürwortete die Mehrzahl die Abschaffung von Gymnasien. Bei Volksabstimmungen in verschiedenen Bundesländern zu verschiedenen Zeitpunkten (bei der eben nicht nur Schüler-Eltern teilnehmen) wurde jedes Mal die Unantastbarkeit des Gymnasiums bestätigt. Der einzige Schritt richtung Chancengleichheit blieb also seit geraumer Zeit die Einrichtung der Zweigliedrigkeit. Das Gymnasium bleibt neben der jeweils zweiten Schulform, einer Zusammenfassung der Haupt- und Realschulen (wie auch immer diese Schulform in den verschiedenen Bundesländern benannt wurde), überall erhalten. Mich erstaunt die Unantastbarkeit des Gymnasiums nach wie vor (ich studieren allerdings auch nicht im bildungsstarken Süden Deutschlands, sondern im vergleichsweise bildungsschwachen Norden).

    Ich bin, so wie fast alle in einem Hörsaal voller Hamburger Lehramtsstudenten, ebenfalls für die Abschaffung der Gymnasien. Ich behaupte, ein elitäres Niveau kann in einer gymnasialen Oberstufe die an eine Gesamtschul-Sekundarstufe I anschließt, ebenfalls geschaffen werden. Die Tatsache, dass viele Ausbildungsberufe mittlerweile ein Abitur voraussetzen, muss die Konsequenz nach sich ziehen, dass der Zugang zum Abitur erleichert wird. Denn rückgängig kann diese Entwicklung nicht mehr gemacht werden, glaube ich.
    Ferner glaube ich, dass viele Schüler ihre Gymnasialempfehlung erst im Laufe der Sekundarstufe I zeigen, nicht schon nach der 4. Klasse. Ich arbeite als Lernförderhilfe an einer Stadtteilschule in Hamburg (so heißt hier die zweite Schulform neben dem Gymnasium) und kann genau dieses Phänomen dort zuhauf beobachten.

    Mich überzeugt das von Jan oben beschriebene Fördersystem an Gesamtschulen voll und ganz. Sowohl als ehemalige Schülerin als auch als angehende Lehrerin fühle ich mich auf Gesamtschulen (oder vergleichbaren Schulformen) sehr viel wohler als auf Gymnasien, nicht zuletzt auch, weil es im Leben nicht nur auf gute Noten sondern auch auf soziale Kompetenzen ankommt.

    1. Was mich hierbei wirklich wundert, ist der Glaube, dass ich jeden (oder zumindest die Mehrheit) zum Abitur bringen kann, wenn ich ihn nur genug fördere. Bin ich so negativ drauf, wenn ich meine, dass es erstens Begabungsunterschiede und zweitens natürlich auch Umweltfaktoren gibt, aber ich eben die Begabungsunterschiede nicht einfach weglehren kann? Wenn ich nun einen Großteil zum Abitur bringen will, kann ich erstens fördern, was sehr löblich ist, und muss aber zweitens auch das Abitur leichter errreichbar machen – wie du selbst geschrieben hast. Und nun kommt die große Problem:
      Wenn ein Großteil der Bevölkerung Abitur hat, wird es neue Auswahlkriterien geben müssen, die zum Beispiel über die Hochschulzugangsberechtigung, die über Lebenswege und Berufschancen entscheiden. Wenn alle einen Aufnahmetest vor der Uni machen müssen (nur so als Beispiel), wozu brauchen wir dann überhaupt noch das Abitur. Lasst uns doch dieses Abitur abschaffen, wenn es gar keine Funktion mehr hat!
      Noch eine Anmerkung: die Einserquote würde ich nicht als Maßstab setzen, wie erfolgreich eine Schule oder ein Bundesland ist. Denn dann liegen die nördlichen Bundesländer weit vor dem Süden und das deckt sich einfach nicht mit der Realität. Ich denke, die Intelligenz ist in Deutschland recht gleich verteilt, die Einserschnitte sind es nicht. Überhaupt, die Einserschnitte sind in den letzten Jahren ganz enorm gestiegen, was man vom IQ ja wohl nicht behaupten kann. Die Abischnitte sind an den mir bekannten Privatschulen auch besser als bei uns am staatlichen Gymnasium, was nicht am Abi liegt (da schneiden diese Schüler oft schlechter ab), aber ihre Vornoten sind einfach besser – woran das wohl liegt?

        1. Das ist durchaus auch mein Ziel. Das zweite Ziel ist jedoch, ein sachliches Ziel, also die Kompetenz oder den Standard zu erreichen. Das korreliert leider nicht immer bei jedem Kind. Aber Lehrer wie ich versuchen durchaus auch am Gymnasium das Beste aus einem Kind herauszuholen.

  7. In den 70ern war ich auch unbedingt für die Einführung der Gesamtschule.
    Im Laufe der nächsten Jahrzehnte habe ich aber gemerkt, dass ich meine “Problemhauptschüler” alle im Fokus haben muss, um sie entsprechend fördern zu können.
    Aus diesem Grund hatte sich meine Schule entschlossen, nicht in einen Campus mit 2-3000 Schülern zu ziehen, sondern Stadtteilschule zu bleiben. Unsere Kids hätten sich nach oben mit den Realschülern und nach unten mit den Förderschülern gekloppt.
    Ich bin absolut für kleine, überschaubare Einheiten, in denen man noch alle Schüler beim Namen nennen kann – solange die Übergänge klappen.

  8. So dann beteilige ich mich auch mal und zwar mit meiner ganz persönlichen Schullaufbahn:
    Ich bin in Bayern zur Schule gegangen und bin nach der Grundschule ohne Probleme aufs naturwissennschaftliche Gymnasium gewechselt, meine Eltern haben aber auch keinerlei Druck oder ähnliches ausgeübt, ich ging einfach gerne zur Schule und habe recht leicht gelernt. Auf dem Gymnasium fiel es mir dann sehr schwer, weil ich mich plötzlich wirklich hinsetzen und lernen musste, was ich bisher ja nicht gewohnt war. Mein bisheriges Schülerleben sah so aus: Schule, Hausaufgaben, Freizeit. Das (und mit Sicherheit auch die Pubertät ;)) hat dazu geführt, dass ich dann von meinen Eltern regelrecht dazu gezwungen werden musste, etwas zu lernen und schon nach kurzer Zeit einfach keinen Spaß mehr in der Schule hatte. Ich war nie grottenschlecht (außer in Latein), aber hangelte mich eben mit 3ern und 4ern jedes Jahr so durch.
    In der achten Klasse zogen meine Eltern dann die Notbremse und schlugen mir vor, auf die Realschule zu wechseln (nachdem die Gymnasiallehrer mich als „ungeeignet“ für ihre Schulart bezeichnet hatten). Ich weigerte mich zuerst fürchterlich, vor allem wegen all meinen Freunden auf dem Gymnasium, zu denen ich den Kontakt nicht verlieren wollte, wechselte dann aber doch zum Halbjahr auf die andere Schule in den technischern/mathematischen Zweig.
    Dort erging es mir leistungsmäßig auch wieder echt gut und ich fand schnell Freunde, auch wenn es anfangs mühsam war, den Stoff aufzuholen, da sich die Lehrpläne der beiden Schulen einfach zu stark unterschieden (Bsp.: Meine Mathelehrerin war entsetzt, dass ich auf dem Gymnasium noch nie etwas von Vektoren gehört hatte, in der Realschule werden diese in der 7. Klasse eingeführt, im Gymnasium jedoch erst in der Oberstufe). Durch meine schulischen Erfolgserlebnisse wurde ich wieder ehrgeiziger und schloss die Mittlere Reife sogar mit einer Eins vor dem Komma ab und ging dann auf die FOS in den Sozialen Zweig, wo ich leistungsmäßig auch nie Probleme hatte. Ich schrieb nach der zwölften Klasse meine Fachabiturprüfungen und nacn der 13. Klasse machte ich mein allgemeines Abitur mit 2,0.
    Innerhalb von vier Jahren schrieb ich also drei Abschlussprüfungen.
    Heute studiere ich Realschullehramt für Mathematik, Chemie und Deutsch und bereue keinen einzigen Schulwechsel, zu meinem Erstaunen befinden sich unter meinen Kommilitonen sogar einige, die einen ganz ähnlichen Weg eingeschlagen hatten 🙂
    Oh, das ist jetzt ganz schön lang geworden! Viele Grüße aus Würzburg, Nina

  9. Die Menschen sind nun einmal unterschiedlich. Einige haben Talente für bestimmt Gebiete, andere nicht. Wie soll eine Gesamtschule dem gerecht werden? Zumal ja „gleiche Chancen für alle“ in unserem Land erfahrungsgemäß zur Orientierung am niedrigsten gemeinsamen Nenner neigt.

    Die Tochter einer Bekannten war auf der Gesamtschule und hatte von sich aus den Wunsch geäußert, auf das Gymnasium zu wechseln, weil ihr der ständige „Kampf“ um die E-Kurse zu viel Stress war!

    1. Gibt sicher hüben wie drüben solche und solche Fälle.
      Aber gerade die Gesamtschule schreibt sich ja auf die Fahnen, eben durch intensive Differenzierung allen gerecht zu werden. Eben kein „entweder du passt dich meinem Niveau an, oder du gehst auf eine andere Schulform.“

  10. Gesamtschule oder Gymnasium? Ich arbeite selbst an einer Gesamtschule und denke, dass die Schulform gar nicht so entscheidend ist, sondern viel wichtiger die Menschen, die dort arbeiten. Ist das Kollegium insgesamt sehr engagiert, legt man Wert auf ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis und macht qualitativ ansprechenden Unterricht, wird man auch mit motivierten und lernbereiten Schüler belohnt. An eine solche Schule werden Eltern ihre Kinder immer gern anmelden, unabhängig von der Empfehlung der Grundschule.
    Man kann auch nicht pauschal sagen, dass das Niveau an einer Gesamtschule niedriger ist als auf einem Gymnasium. Am Ende des Tages müssen nämlich alle das gleiche Zentralabitur ablegen. Ich kann für meine eigenen E-Kurse berichten, dass ich durch die kleineren Lerngruppen sehr gut differenzieren kann und auch viel mit Lerntheken arbeite. Beschwert hat sich von den leistungsstärkeren Schülern jedenfalls noch keiner, dass er unterfordert ist.
    Zu meinem eigenen Werdegang. Ich bin in der ehemaligen DDR zur Schule gegangen und dort gab es nur eine Schulforn für alle, die POS. Was soll ich sagen, es hat bestens funktioniert und auch das Niveau war bei weitem höher als heute besonders in Mathematik und Naturwissenschaften. Deshalb stehe ich der Gesamtschule positiv gegenüber, wenn die Durchmischung stimmt, d.h. ein ausgewogenes Verhältnis von Haupt-, Real- und Gymnasialschülern vorhanden ist. Ich denke, die Schüler mit ihren unterschiedlichen Begabungen können sehr voneinander profitieren.

  11. Meine Schulzeit hätte ich, ohne Schulwechsel, bis zur 10.Klasse in der gleichen Klasse verbracht. Ab der 8.Klasse gab es dann zusätzlich Leistungskurse. Diese setzten sich dann aus SchülerInnen der gesamten Stufe zusammen.
    Wenn ich jetzt mal meine Leistungskurve in den Jahreszeugnisse in Erinnerung rufe, gab es da immense Schwankungen, Schwankungen, die mich vielleicht in der Bundesrepublik auf die Hauptschule befördert hätten. Deswegen finde ich die Selektierung eher nicht dem Kinde förderlich. Ich persönlich sähe überhaupt keine Probleme das nach der 10.Klasse die Einen ihren Abschluß machen, und die Anderen weiter fürs Abitur büffeln.
    Leistungsunterschiede hat man relativ „einfach“ gelöst:
    Lernpatenschaften.
    Ich war in Chemie recht fit und habe mit einer Klassenkameradin gelernt. Hat mir was gebracht und der Schülerin auch.
    Das Sytem hat eigentlich auf den Schulen in die ich gegangen bin immer funktioniert. (außer beim Sport…)
    Wenn ich meinen Notendurchnitt über Grundstufe Klasse 1-4, 2,5, Mittelstufe 5-7 3,75, Oberstufe Abschlußzeugniss 1,75, anschaue, lässt die Gemeinschaftsschule der SchülerIn mehr Möglichkeiten.

    Eindeutig pro Gemeinschaftsschule.

  12. Ich finde diesen „Wettstreit“ zwischen Gymnasium und Gesamtschule bei der aktuellen deutschen Schullandschaft ziemlich unergiebig: Weder Gymnasien noch Gesamtschulen sind hinsichtlich ihrer Qualität, Struktur des Kollegiums, Schülerschaft, finanzielle Mittel usw. eine homogene Gruppe. Somit kommen ich zu dem Schluss, dass eine „gute“ Gesamtschule mir lieber ist als ein „schlechtes“ Gymnasium oder auch umgekehrt, abhängig von dem konkreten Einzelfall (der Schule XY in der Stadt ABC).

    Wenn ich eure bisherige Diskussion anschaue fallen mir folgende Dinge ein:
    – das Argument von Frau Henner, man sehe an den USA wohin ein Gesamtschulsystem führe, kann wohl ziemlich leicht widerlegt werden durch das hervorragende Gesamtschulsystem in Finnland und wenn man nach Leistungsvermögen von Gesamtschulsystemen fragt, bietet sich auch der PISA-Abräumer Singapur an (ob man diese Art der Schule ansonsten will, ist ne andere Frage) –> Erfolgreich sein scheitert nicht am Gesamtschulsystem!

    -ein Trugschluss vieler Gymnasiumverfechter ist, dass angenommen wird, auf dem Gymnasium würden die Leistungsstärksten landen. Das ist hinlänglich durch diverse Studien widerlegt worden. In Deutschland hängt der Schulerfolg maßgeblich von der sozialen Herkunft ab und nicht von den eigenen Talenten (wie auch hier im Kommentarbereich schon zu lesen war). Man fördert mit dem Gymnasium also nicht die Leistungselite sondern die ökonomische Elite. Gesamtschulsysteme versprechen da wesentlich mehr Chancengleichheit.

    -Bezüglich der Förderung von Benachteiligten vs. den oberen Leistungsträgern: Wenn man den Mittelwert der Leistung einer Klasse verbessern will, so wäre es am besten/gerechtesten sich auch auf die durchschnittlichen Schüler der Klasse zu konzentrieren. und nicht auf den ganz Schwachen oder den Überflieger. Leistungsvermögen ist in der Regel gleichverteilt, also auf die Mitte der Glocke schauen und nicht auf die paar % an den Rändern (besonders schön wäre es natürlich, wenn man genug Ressourcen für alle hätte…)

    Fazit: Pro Gesamtschule, allerdings als alleinigers System und mit massiver Ausweitung der finanziellen Mittel (wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Gesamtschulkonzept…)

  13. „Lehrer sind nur noch Lernbegleiter…“ Ein schönes Zitat. Das „nur“ entsteht wohl aus der Annahme, dass ein Lehrer, der sich in einem individualisierten Unterrichtssetting als „Lernbegleiter“ versteht, weniger Aufgaben und Verantwortung hat oder wahrnimmt als ein klassischer „richtiger Lehrer“.
    Auch ich bin Gymnasien gegenüber sehr kritisch eingestellt. Mein Lösungsvorschlag: Wir schaffen die Gymnasien nicht ab. Wir nennen einfach alle weiterführenden Schulen „Gymnasium“ und sorgen dafür, dass auf allen diesen Schulen ein moderner, schülerzentrierter differenzierender Unterricht gemacht wird.
    …und je länger ich über diese Idee nachdenke, desto besser finde ich sie…

    1. Hallo ich bin jetzt 20 und bin jetzt als spätzunderin auf einer Wirtschaftsschule davor hab ich nicht gewusst was ich werden wollte und war in der 5 Klasse in Bw in einer Gesamtschule Vorteil: Freunde nicht gleich verlieren zusammen in der Musik AG sein und Volleyball AG Nachteil:Wenn Freunde merken du packst den Stoff nicht werden sie selbst schlechter. Jedes Schuljahr neue Gesichter nie eine gemeinsame Klasse immer wieder Neulinge integriern. Wie machte ich mein Weg ich wohne in Bayern war aber in Bw auf der Schule weil es angränzte. Ich ging dann auf die Hauptschule in Bayern bestanden mit 2,8 keine Ausbildung dann M-zweig gemacht nicht super bestanden. Berufsvorbereitende Maßnahme gemacht und erst dann wusste ich mit 19 was ich machen will kaufmännische Bereich hatte aber nie Rechnungswesen und Ubungsfima u. Erst mit 20 wurde rausgefunden das ich LRS habe. So mache ich jetzt meinen Weg.
      So finde ich nach Eigner Erfahrungen das beides Vorteile u. Nachteile.

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