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Der BildungsPC “HP Sprout” im Test

20161126_080743 (Medium)In den letzten Jahren ist eine Menge Bewegung in den Bildungsmarkt geraten: Mit Microsoft, Google und Apple investieren die großen Drei jede Menge Geld in Hard- und Software. Stichworte wie „iPad-Klassen“ oder „Google Classroom“ sind sicher vielen ein Begriff, Microsoft zieht mir viel Aufwand ein ganzes Education-Netzwerk auf und vernetzt Lehrer in aller Welt u.a. über ihr „skype in the classroom“-Programm.

Auch HP will einen Teil vom Kuchen und hat viel Zeit und Geld in einen neuen Computer gesteckt, der im Bildungswesen verankert werden soll: Der HP Sprout.

Dabei handelt es sich um einen All-in-One-PC (wie ein iMac oder das Surface Studio), der mit zwei besonderen Extras ausgestattet ist: Oben über den Bildschirm sind ein Projektor und eine zweite, nach unten gerichtete Dokumentenkamera fest verbaut, außerdem gibt es eine berührungsempfindliche Matte, die als Scanunterlage oder zweiter Bildschirm vor dem Computer dienen kann. Im Rahmen des excitingEDU wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, den HP Sprout für eine Woche nach Lust und Laune zu testen.

Bitte. Gerne.

Zunächst habe ich den Sprout als normalen PC genutzt. Der eingebaute Prozessor (Core i7) schlägt mein Surface um Längen. Die Umwandlung eines Videos dauert auf meinem Tablet knapp doppelt so lang, wie auf dem Sprout – im normalen Office-Betrieb bemerke natürlich ich keine Unterschiede. Ein normaler Computer halt. Mitgeliefert werden Maus und Tastatur, die vermutlich über Bluetooth drahtlos mit dem PC verbunden sind.

Bild1Erst, wenn man die Touchmatte einbindet, offenbart der Sprout seine Besonderheit: Die Matte kann über den eingebauten Projektor als zweiter Bildschirm genutzt werden und reagiert zudem auf Berührungen. Ich kann also bspw. ein Objekt darauf ablegen und es über die Dokumentenkamera einscannen. Oder ein Collage-Programm starten und verschiedene Objekte herumschieben und verändern. Witzig: Der Sprout kann Gegenstände sowohl zweidimensional wie jeder normale Scanner erfassen, oder dreidimensional um sie bspw. in einem 3D-Drucker weiterzuverwenden. Speziell für den 3D-Scan gibt es eine Art drehbaren „Teller“, auf dem ein Objekt automatisch von allen Seiten eingescannt werden kann.

Die zwei „Bildschirme“ kann ich über einen angeschlossenen Beamer um einen dritten erweitern. Hier hat sich HP etwas ganz cleveres ausgedacht: Dem angeschlossenen Beamer kann ich sagen, er solle bitte den Hauptbildschirm zeigen oder den zweiten Bildschirm auf der Touchmatte oder die Frontkamera (also mich) oder die zweite (Dokumenten-)Kamera, wenn ich ein Objekt zeigen möchte oder eine Kombination aus den Sachen. Bei der Aufzeichnung von Lernvideos wäre das sehr hilfreich, weil ich nicht mit verschiedenen Kameras und Schnittprogrammen hantieren muss. Im Rahmen des Technikunterrichts könnte ich also ein Exponat unter die Dokumentenkamera halten und ein Video aufnehmen, indem im gleichen Arbeitsschritt mein Gefummel am Objekt und auch ich selbst in einem kleinen Kasten zu sehen sind. Praktisch.
Nicht so recht zu überzeugen wusste das Mikrofon, dass bei Videoaufzeichnungen oft die Tonspur verzögerte und überdies sehr dumpf klang. Mitgeliefert wird außerdem ein Stift, der allerdings wie die frühen iPad-Stifte nur als Fingersatz dient und keine besondere Genauigkeit aufwies. Problematisch war insbesondere, dass der Computer mit der Handflächenerkennung oft durcheinanderkam und der Stift dann Aussetzer beim Schreiben und Zeichnen hatte. Ist vielleicht meinem Demo-Modell geschuldet – schön war es trotzdem nicht.

Neben all der Spielerei muss aber nun der etwas sinnvollere Bewertungsansatz als Lehrer folgen. HP möchte den Sprout ja nicht als Seht-was-möglich-ist-Demonstrationsobjekt vermarkten, sondern sieht den Einsatz in der Schule vor. Zahlreiche Werbevideos sollen mir das schmackhaft machen. Ich bin an dieser Stelle arg kritisch, weil ich noch die Whiteboards im Hinterkopf habe: Auch sie bieten fantastische Möglichkeiten – allerdings nur für das eine Kind, das vorne steht; alle anderen müssen bitte zugucken oder warten, bis sie an der Reihe sind. Von vielen Schulen für sehr viel Geld und mit noch mehr Hoffnung in die Zukunft angeschafft, verstauben sie nun in zahlreichen Klassenräumen.

Die Frage ist also: Würde mir der HP Sprout als Computer im Klassenraum zusagen? Und wenn ja – warum?

Recht offensichtlich ist der Nutzen der zwei Bildschirme: Als Lehrer kann ich auf dem Hauptscreen meine Unterrichtsnotizen (bspw. OneNote) oder mein Notenprogramm offen halten, während ich auf dem zweiten Bildschirm (der Touchmatte) und angeschlossenem Beamer gemeinsam Arbeitsblätter bearbeiten oder die gesammelten Kastanien im NW-Unterricht präsentieren kann.

Der Einsatz der Dokumentenkamera stellt sich in der Praxis als problemlos heraus – was immer ich auf die Matte zum Einscannen lege, wird sofort digitalisiert. Dabei entsteht oft genug ein Wow-Effekt: Scanne ich ein Objekt ein und nehme es anschließend weg, wird es augenblicklich auf die Matte projiziert – ist also als digitale Kopie vorhanden und kann nun beliebig verändert, kopiert oder bearbeitet werden. HP hat es geschafft, hier eine nahtlose Schnittstelle zwischen echter und digitaler Welt zu schaffen und meine Kinder waren sehr begeistert davon. Das Objekt wandert von der Realität direkt in den Computer. Hervorzuheben ist auch, dass eingescannte Objekte stets als solche erkannt und ohne Hintergrund und Rand ausgeschnitten werden. Scanne ich einen Apfel ein, schiebe ich später den nur Apfel umher und nicht eine weiße Fläche, der auf der ein Apfel abgebildet ist. Es bleibt jedoch die relevante Frage, wie oft ich im Unterricht Collagen erstelle.

Die Möglichkeit, 3d-Objekte einzuscannen funktioniert bisher nur suboptimal. Mit schwarzen oder weißen Objekten und glänzenden Oberflächen hat die Kamera ihre Schwierigkeiten, runde Objekte rollen vom Drehteller herunter – das ist noch nicht optimal. Richtig spannend könnte diese Funktion ab Februar werden, wenn Microsoft sein Creativity Update veröffentlich. Ab dann werden 3D-Inhalte von Windows nativ und mit mehr Software unterstützt und man kann losgelöst von der HP-Software arbeiten.

Insgesamt denke ich, dass HP hier ein imposantes Stück Technik abgeliefert hat – den Einsatz im Klassenraum sehe ich trotzdem kritisch.
Der Grund liegt nur zum Teil bei HP. Computer, Projektor und auch die Touch-Matte liefern hervorragende Ergebnisse – aber es fehlt an vernünftiger Software und durchdachten Unterrichtskonzepten. Im HP-eigenen Sprout-App-Shop gibt es knapp zwei Dutzend Programme, die konkret auf den Sprout zugeschnitten sind. Analog zum iPad gibt es auch hier eine Piano-App, die auf der Matte Klaviertasten simuliert – aber wer würde ernsthaft darauf Klavier spielen? Eine DJ-App ermöglicht.. Naja – schon klar. Die Apps sind nette Gimmicks, aber nichts davon überzeugt mich wirklich.

Am deutlichsten wird das Problem bei einem Programm namens „Anatomy 4D“: Man kann vorgefertigte Arbeitsblätter auf die Matte legen und der Sprout erweckt diese dann zum Leben (s.Video).

Das ist schon sehr geil – aber warum kann ich solche Dinge nicht mit den Kindern selbst herstellen? Wie großartig wäre ein einfacher Editor, der jedem Schüler ermöglichen würde, eigenständig Augmented Reality-Bilder und Videos herzustellen. Ein Referat über Dinosaurier und das vorbereitete Plakat erwacht plötzlich zum Leben? Auf einer Mathematik-Hilfskarte steht plötzlich ein miniaturisierter Mitschüler und erklärt den Satz des Pythagoras? Ein Arbeitsblatt zu radioaktiver Strahlung bietet ein dreidimensionales Modell eines Atoms, frei schwebend im Raum. Das wäre großartig! Das wäre ein Alleinstellungsmerkmal!

Letztlich fällt der Abschied vom Sprout nicht allzu schwer. Der Rechner hat unglaubliches Potential, das leider nur in Ansätzen abgerufen wird (klingt wie mein eigenes Zeugnis nach der 5. Klasse). Die Einsatzmöglichkeiten sind zu begrenzt, als dass sich der hohe Anschaffungspreis von über 2200 € ernstlich rechtfertige ließe. Ich behaupte, HP täte sich einen Gefallen, wenn sie eine Handvoll Lehrer mit einer Gruppe Softwareentwickler zu sich holen würden. Es erschließt sich mir nicht, wie man Millionen Dollar in die Entwicklung und Produktion eines solchen Computers stecken und dann bei der entscheidenden Komponente, der Software, so zurückstecken kann. Denn mit den richtigen Programmen würde aus dem HP Sprout ein fantastischer, nicht mehr wegzudenkender Schulcomputer.


Disclaimer: Für diesen Artikel erhalte ich weder Geld noch irgendwelche anderen Gegenleistungen. Ich habe den Sprout aus reiner Neugier und Lust an technischem Fortschritt zur Verfügung gestellt bekommen – mir geht es um den Spieltrieb und HP um meine Einschätzung aus Lehrerperspektive. Es wurde kein Einfluss auf den Artikel genommen (außer von meinen Töchtern, die wollten den PC behalten).

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