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“9 von 10 Nobelpreisträgern sind Männer. Die Chefs der wichtigsten Firmen sind Männer. Ihr kennt haufenweise Erfinder aber keine Erfinderinnen. Männer haben’s drauf – Frauen leider nicht.” werfe ich einer Klasse an den Kopf. “Eigentlich…”, füge ich herablassend hinzu, “könntet ihr Mädchen auch direkt zu Hause bleiben.”

Ich blicke in erstaunte Gesichter.
Zunächst fragt eine Schülerin mich verunsichert, ob ich das wirklich ernst meinen würde. Wir kennen uns seit sechs Jahren, haben uns gegenseitig immer mal Sprüche gedrückt und mehr als einmal habe ich ihr meine Wertschätzung darüber ausgedrückt, dass sie im Unterricht “unangenehm” sein könne, nicht nachlasse und immer weiterbohre, bis zu zufrieden sei. Das sie (sie!) nochmal nachfragt, ob ich meine, was ich da sage, irritiert mich.

Es dauert einige Zeit, bis erste Argumente kommen, um meine Stammtischparolen zu entkräften. Wir diskutieren, streiten, erzählen. Wir sprechen über Mamakinder und Papakinder, das Aufteilen von Erziehung. Ich frage nach, wie viele Schülerinnen und Schüler für Gleichberechtigung seien (“Alle”) und wie viele bei der Erziehung zukünftiger eigener Kinder eher die Frau im Vordergrund sähen (die meisten). Einige berichten, wie sehr ihre Eltern sie positiv geprägt hätten und lassen mich ein Stück weit teilhaben an ihrem Familienbild. Alle wünschen sich Gleichberechtigung – aber keiner hat ein Problem damit, wenn später die Frau zu Hause bleibt. Auf mein Nachfragen, welcher Junge sich vorstellen könnte, später Elternzeit zu nehmen, meldet sich nur ein einziger.

Gleichberechtigung im 21. Jahrhundert. Wollen die das überhaupt?

Ein Schüler erzählt von Bekannten, die sich auch deshalb getrennt hätten, weil die Frau mehr verdient habe, als der Mann. Welches Jahrhundert nochmal?

Im Gedächtnis geblieben ist mir in dem Zusammenhang der Einwurf einer Schülerin. “Herr Klinge, das Schlimmste ist doch, wenn die Mutter sagt: ‘Warte, bis der Papa kommt. Dann gibt’s Ärger!’ Dieses drohen mit dem Vater – da könnte ich ausrasten.”
Ich stimme ihr zu. Dicht gefolgt von “Warte, bis du in die Schule kommst – da weht ein anderer Wind!” Auch ein schöner Satz.

Wir sprechen über Prägung und Familie. Was wir mitbekommen haben und was wir weitergeben wollen. Welche Prioritäten wir setzen.

Disclaimer:
Abends kämpfe ich bis 21 Uhr mit meiner jüngsten Tochter, die partout entschieden hat, erstens nicht müde zu sein und zweitens die Gute-Nacht-Geschichte blöd zu finden, während meine Frau unterwegs ist und arbeitet.

Übrigens: Wer innerlich längst abgeschaltet hat, weil er fieberhaft nach weiblichen Erfindern sucht – dem sei folgendes Video ans Herz gelegt:

11 Gedanken zu „Gleichberechtigung“

  1. „Alle wünschen sich Gleichberechtigung – aber keiner hat ein Problem damit, wenn später die Frau zu Hause bleibt“
    Und? Ist das ein Problem?

    Für mich heißt „Gleichberechtigung“ auch „frei wählen können“.

    Wenn „Frau“ also freiwillig zu Hause bleibt, ist das doch mehr Gleichberechtigung als vor 100 Jahren, als „Frau“ keine Wahl hatte.

    Oder ist das Problem, dass sich Leute bei Gleichberechtigung eher für den konservativen Weg entscheiden? Dann ist das Problem ein Problem der Ideologie. Und dann ist man auch nicht FÜR Gleichberechtigung, sondern GEGEN den konservativen Weg.

  2. Liebe im-chaos-daheim,

    vielleicht haben Sie sich dazu entschlossen, zu Hause zu bleiben und genießen es. Ich nicht, aber durch Umstände war mein Abschluss in Deutschland in 1993 unbekannt (BACHELOR). Ich bin heute Sekretärin, von Anfang an in Teilzeit und verdiene nicht genug, damit mein Mann zuHause bleiben könnte. Sie sehen, es gibt die Ungerechtigkeit immer noch, und ich hoffe inständig, dass meine Tochter es besser haben wird als ich. Dazu hilft auch, dass ich meine Jungs so erziehe, dass sie sehen, dass Frauen auch arbeiten können und Männer erziehen. Was, wer, wie, wählt, ist dann hoffentlich wirklich freiwillig und nicht notgedrungen wie bei mir. Ich bin dankbar, dass durch die wirtschaftliche Lage und veränderte Denkweisen, keine Lesebriefen mehr in der Zeitung erscheinen in denen Frauen , die arbeiten und Karriere und Familie haben wollen, als „Rabenmutter“ verunglimpft werden (was mir auch noch passiert ist).
    Als Niederländerin wurde ich, was dies angeht, in eine Gesellschaft geworfen, die mindestens 10 Jahre hinterher hinkte. Frauen meines Alters (fast 50) hatten auf jeden Fall vor 10 Jahren in den Niederlanden das, was junge Frauen hier jetzt bekommen (manchmal). Nämlich, Väter die auch gerne 1 oder 2 Tage zuHause bleiben, Mütter die 2 oder 3 Tage arbeiten und vielleicht Betreuung (oder Opa/Oma) für einen Tag für die Kinder. Arbeitgeber, die sowohl Frauen als Männer fördern, Karriere zu machen trotz Teilzeit. Und dies alles ist selbstverständlich, dies alles geschieht, ohne das die Kinder, die Männer, oder auch die Frauen darunter leiden. Ich hoffe, das meine Kinder dies für sich beanspruchen können in ihr Leben, wenn sie es wollen. Ich habe nichts dagegen, wenn Frauen zuHause bleiben wollen und dies wirtschaftlich möglich ist, wohl aber was gegen die „Unfreiheit“ das andere Modell wählen zu können (auch wenn die Barrieren sich nur in den Köpfen befinden). Wenn Sie meinen, ich erzähle Unsinn, dass Kindern nie glücklich und zufrieden sein könnten bei diesem Modell in den Niederlanden, dann schauen Sie sich doch bitte diesen Link: „http://www.oecdbetterlifeindex.org/de/topics/life-satisfaction-de/“ an.

    1. Esther, die NL haben eine Frauenteilzeitquote von 75% und eine Männerteilzeitquote von 25%. Und die Frauen machen wie gehabt den großteil der Familienarbeit. (http://www.genderkompetenz.info/genderkompetenz-2003-2010/gendermainstreaming/Strategie/Gleichstellungspolitik/laenderstudien/Niederlande/entwicklung.html) Wir haben also hier nicht das gleichberechtigte Wunderwuzziland, wo alles voll arbeitet und trotzdem glückliche Kinder großzieht. Anscheinend sind die Löhne höher und Teilzeitarbeit salonfähiger – „Gleichberechtigung“ im Sinne von „Mutti geht arbeiten, bis die Schwarte kracht“ , naja….sieht mir nicht danach aus.

  3. Lieber Jan, klar können wir Botschaft und Botschafter unterscheiden, aber gerade das Hochglanzvideo zeigt ja das Problem: es ist schließlich nicht so, dass wir diese Lücke im männlich zentrierten Weltbild noch nie entdeckt hätten und sich jetzt – heißa – alles ändern wird.
    Wir Frauen haben viel erreicht – aber die gläserne Decke ist für die Mehrheit noch immer da. Ich freue mich über alle Errungenschaften, ärgere mich über mich selbst, wenn ich mal wieder zu bescheiden mich selbst unter Wert verkaufe, und könnte platzen vor Wut, wenn Frauen in meiner Umgebung ganz elegant und häufig verkappt zweitklassig behandelt werden. Das passiert täglich – und weißt du was mich daran besonders erschreckt – häufig stellen sich sogar wir Frauen anderen Frauen selbst in den Weg.
    Schön, wenn wenigstens noch die kleinen Mädchen gemeinsame Ziele haben.

  4. Pingback: Pfingsten 2: Vier Frauen – ein Problem | Viele Grüße aus der Provinz

  5. Ehrlicherweise müsste man den Schülerinnen folgendes sagen:
    „Es geht überhaupt nicht um Karriere und Nobelpreise und was man euch sonst noch gerne als Karotte vor die Nase hängt. Steile Karrieren sind ein Minderheitenprogramm, Nobelpreise noch viel mehr.
    Es geht darum, dass die Politik Carearbeit schlicht als wenig wichtig und fördernswert sieht. Das ist kein Naturgesetz, sondern das ist die Folge politischer Entscheidungen. Und die Politik hat momentan so entschieden, dass ihr mit groben Nachteilen rechnen dürft, falls ihr eurem Wunsch, Kindern und Familie mehr Zeit zuzumessen, nachgebt. Das Ziel deutscher Familienpolitik ist es, möglichst viele Frauen möglichst lange und mit möglichst vielen Stunden in die Erwerbstätigkeit zu bringen bzw. sie dort zu halten. Zeit für Kinder ist euer Privatvergnügen; was sich die deutsche Politik von euch wirklich wünscht ist, dass ihr die Steuerquellen nur so sprudeln lasst.
    Ihr habt also wenige Optionen.
    Option 1: Ihr sucht euch einen Partner, mit dem ihr 50/50 Familienarbeit aufteilt und dann beide (fast) in Vollzeit erwerbstätig seid. Das bedeutet viel Stress für euch und ist mit relativ geringen Erfolgschancen verbunden -> „verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“.
    Option 2: Ihr seid erwerbstätig und bleibt erwerbstätig, auch wenn ihr Kindr habt, und zwar mit möglichst vielen Stunden. Sonst seid ihr im Fall einer Trennung oder auch im Fall eures Alters mit großer Wahrscheinlichkeit arm. Tipp zusätzlich: macht bloß nichts „mit Menschen“, das fällt unter Carearbeit und bringt nicht viel Geld ein. Maschinenbau wäre toll. Interessiert euch nicht? Tja, da müsst ihr wohl über euren eigenen Schatten springen.
    Option 3: Ihr nehmt euch Zeit für die Kinder, indem ihr eure Erwerbstätigkeit zurückschraubt, und seid einfach später mal arm. Es gilt in Deutschland halt als wichtiger, „irgendwas mit Medien“ zu machen, als dafür zu sorgen, dass kleine Menschen ihren Weg in die Welt behütet und stressfrei antreten können (aber wenn ihr Männer wärt und diesen Weg wählen würdet, dann würde man euch als irrsinnig progressiv feiern. Seid ihr aber nicht, Pech gehabt.)
    Übrigens, wo wir schon dabei sind, stellt euch darauf ein, dass man euch trotzdem vorwerfen wird, alles falsch zu machen, egal, wie ihr entscheidet.“

    Jedes Jahr befrage ich meine Schülerinnen und Schüler über ihre gewünschte Zukunft in einer eigenen Familie, und die Mädchen möchten ALLE Teilzeit arbeiten, „weil sie selbst es so schön gefunden haben, wenn ihre Mütter Zeit für sie hatten.“ Das mag ökonomisch unvernüftig sein, aber ist es nicht eigentlich ein Zeichen von Klarsicht, wenn Teenager (die an ihrer Kinderzeit ja noch nah dran sind), erkennen, dass Reichtum an Zeit für die Qualität von Familie(nleben) von großer Bedeutung sind? Vielleicht wäre es sinnvoll, das zu ermöglichen, statt ins Horn der „Nur eine Vollzeitarbeitsmutti ist eine gute Motti“-Fraktion zu blasen…

    1. Ich hätte umgekehrt gerne ein paar Jungs, die das so sehen.
      Bei den Mädchen möchte ich vor allem, dass sie tun, was sie glücklich macht. Und das heißt nicht unbedingt, in (finanzieller) Abhängigkeit vom Freund/Mann zu leben – auch wenn man vielleicht nichts anderes kennt.

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