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Es ist auch mein Land. Berlin #1

Vor einem Jahr sprach ich im Rahmen des excitingEDU mit David Klett über meine Lerntheken im Mathematikunterricht. Er erwähnte, dass man diese Lehrmethode eigentlich mal in Aktion filmen und dann anderen zur Verfügung stellen müsse. Das sei anschaulicher, als darüber zu lesen. Wie ein absurder (und einigermaßen langweiliger) Zufall es will, stand genau deswegen der WDR heute in meinem Klassenraum. Und nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen Kollegen. Diese Lernthekennummer wäre doch mal ein spannender Bericht für die Lokalzeit und man hätte Anfang Februar zwischen drei und halb vier Uhr nachts noch eine Lücke zu füllen.

Solche Medienauftritte empfinde ich stets zwiegespalten. Ich halte mich weder für einen besonders großartigen Lehrer noch glaube ich, dass Lerntheken die Lösung (also DIE Lösung) für alle pädagogischen Probleme in Deutschland sind. Es ist ein Weg von vielen und er bereitet mir, meinen Schülern und einigen Kollegen viel Freude. Andererseits darf man so einen Unsinn vielleicht auch einfach genießen, wenn er geschieht.
Auch die Schülerinnen und Schüler betrachten solche Auftritte stets mit einer Mischung aus Respekt und Vorfreude. Besonders wichtig ist mir in solchen Situationen der Gendergedanke: Als männlicher Lehrer stehe ich vorne. Fragt der Interviewer nach Freiwilligen, melden sich haufenweise Jungs – die Mädchen halten sich zurück. Passt man nicht auf, entsteht schnell der Eindruck, ein Kurs bestünde aus mitdenkenden, mathematikbegeisterten Jungen und, naja, einigen Quoten-Mädchen. Wir haben vor den Dreharbeiten darüber gesprochen und auch im Nachhinein. So sehr ich die Zurückhaltung nachempfinden kann – ich will, dass meine Schülerinnen sich auch als Rollenvorbilder verstehen. Microsoft hat einen wunderbaren Spot dazu gemacht und Always einen noch Besseren. Als Vater zweier Töchter möchte ich, dass meine Kinder in dem Wissen aufwachsen, in diesem Land alles erreichen zu können. #Metoo
Kurz: Ich finde ja, dass wir im wunderbarsten Land der Welt leben. Ich glaube, es war Heiner Geißler, der in einem Interview erzählte, aus seiner Perspektive sei Deutschland ein ungeheuer christliches Land. Nicht in dem Sinne, dass alle Menschen in die Kirchen laufen. Sondern weil wir den Armen zu Essen geben. Weil wir die Kranken medizinisch versorgen. Weil wir uns um die Witwen und Waisen kümmern. Weil wir die Kinder in unsere Mitte holen. All das sei nicht selbstverständlich – man blicke nur in andere Länder, man drehe nur das Rad der Zeit ein wenig zurück. Ich glaube, wenn der jüdische Rabbi Jesus heute auf unser christliche Abendland blicken würde, dann würde ihm manches sicher gut gefallen.

Vor einigen Wochen hat sich ein „besorgter Bürger“ vor dem israelischen Restaurant Feinberg’s aufgebaut und den Besitzer bepöbelt, er solle gefälligst aus „seinem Land“ verschwinden, in wenigen Jahren schon würde auch er in der Gaskammer landen. Dieser widerliche Angriff wurde gefilmt und schlug medial hohe Wellen. Dazu passt der ganz furchtbare Bericht von Richard Gutjahr, der sich seit Monaten in einer Odyssee mit „besorgten Bürgern“ und absurden Verschwörungstheorien auseinandersetzen muss. Ich empfehle seinen Artikel an dieser Stelle nachdrücklich – aber es tut fast körperlich weh, das zu lesen!

Ich liebe dieses Land. Ich sehe die Probleme und Aufgaben die vor uns liegen. Ich weiß, dass nicht alles rosig ist. Aber ich liebe unsere Kultur. Ich liebe, dass man auch nachts um drei an einer roten Fußgängerampel stehen bleibt. Ich liebe unseren Sozialstaat. Die Schulpflicht. Die Krankenversicherung für alle. Ich liebe, das Mädchen und Jungen, Frauen und Männer in diesem Land gleichberechtigt aufwachsen, leben und arbeiten dürfen.

Aber mit Ausgrenzung, mit Rassismus, mit Hass kann ich nur schlecht umgehen. Grund genug, morgen Abend mit ein paar Kollegen im Feinberg’s zu essen und mit den Worten der Toten Hosen zu schließen: Es ist auch mein Land.

 

4 Gedanken zu „Es ist auch mein Land. Berlin #1“

  1. Bis auf das Stehenbleiben an der Ampel nachts um 3, was ich nicht tue, unterschreibe ich auch. Besonders wichtig finde ich geschlechtergetrennten Coding-Unterricht 4Girls. Die IT-szene braucht Frauen!

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