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Faktenwissen und Kompetenzen (Part II)

Bei Maik Riecken habe ich heute einen Hinweis gefunden auf ein Interview bei fr-online.de. Der interviewte Didaktikprofessor Hans Peter Klein wird dort zitiert:

Ich werde heute eine empirische Untersuchung vorstellen, nach der wir in der neunten Jahrgangsstufe eines nordrhein-westfälischen Gymnasiums eine Abitur-Leistungskursarbeit Biologie haben schreiben lassen – ohne jede inhaltliche Vorbereitung. Das Ergebnis war erschreckend, denn zwei Drittel Schüler hätten die Abiturarbeit bestanden, einer sogar mit einer Eins.

Auch Herr Rau hat sich dieses Themas angenommen, wägt zwischen Faktenwissen und Kompetenzen ab und kommt zu dem Schluß, dass Faktenwissen bedeutsam ist, die Kompetenzorientierung aber in den Fremdsprachen durchaus vernünftig ist.

Ich würde beides sogar noch schärfer formulieren: Faktenwissen ist unabdingbar! Nicht unbedingt um Scherze und Andeutungen in Filmen und Büchern zu verstehen (was bedeutet 42?), sondern weil das Ziel der Schule sein muss, unsere Schüler zu mündigen Bürgern heranzuziehen. Mündigkeit aber setzt eine Allgemeinbildung voraus. Ich muss wissen welche Privilegien eine Demokratie mit sich bringt. Ich muss wissen welche Partei für welches Programm steht.

Ich vertrat früher auch die Meinung es reiche “zu wissen, wo es steht” – heute nicht mehr. Als Lehrer kann ich die Entwicklung an einzelnen Schülern beobachten, angefangen bei der Verweigerung, die einfachsten Dinge auswendig zu lernen bis zu der Beschwerde über die “unglaublich komplizierten Aufgaben”, weil sie die 81 nicht als Quadratzahl identifizieren können, was einen unendlichen Rattenschwanz an Problemen nach sich zieht.

Und erst wenn ich weiß, welche Auswirkungen der dauerhafte Konsum von Internet und Fernsehen auf meine Bildung und meinen Verstand haben, kann ich angemessen damit umgehen. Man muß einfach viel wissen. Erst wenn ich weiß, was ein Handy samt Vertrag kostet, kann ich angemessen über Kauf oder Nichtkauf entscheiden.

Aber.

Smile

Aber: Die Kompetenzorientierung ist ebenfalls unabdingbar.
Kompetenzen sind im Bildungsjargon “Fähigkeiten und Fertigkeiten um etwas zu beherschen”. Der Inhalt rückt dabei in den Hintergrund, die Kompetenz in den Vordergrund. In der Mathematik geht es heute nicht mehr so sehr darum, dass die Kinder die Rechenregeln des Logarithmus beherrschen, sondern darum, die Kompetenzen Modellieren, Problemlösen und Argumentieren zu beherrschen.

Was uns zu der Leistungskursarbeit in Biologie zurückführt. Wenn zwei Drittel der Schüler die Arbeit bestanden hätten, lässt sich daraus schließen, dass die Arbeit viel zu leicht war.

Oder.

Smile

Oder dass die Abiturarbeit Kompetenzen abfragt und kein Wissen, also Fertigkeiten und keine Fakten. Aus dem Ergebnis kann man auch zu dem Schluss kommen, dass die Schüler offenbar die nötigen Kompetenzen erworben haben, um die Aufgabenstellungen zu lösen. Ich finde das großartig – denn es impliziert, dass die Schüler nachdenken können. (Kritisch wäre es nur, wenn auch Nicht-Biologen die Abiturarbeit bestehen könnten – aber hier fehlen weitere empirische Daten (“jede Statistik” und so…))

Ich jedenfalls bin ein großer Anhänger von beidem: Faktenwissen und Kompetenzen. Ich setze schon bei meinen 6ern voraus, dass sie bestimmte Definitionen im Kopf haben aber ich bin um einen kompetenzorientierten Unterricht bemüht. Mir ist es langfristig wichtiger, dass die Schüler allgemein Probleme analysieren und in ihre Bestandteile zerlegen können, als dass sie die Antwort auf ganz spezielle Problemstellungen auswendig kennen.

4 Gedanken zu „Faktenwissen und Kompetenzen (Part II)“

  1. „(Kritisch wäre es nur, wenn auch Nicht-Biologen die Abiturarbeit bestehen könnten – aber hier fehlen weitere empirische Daten (“jede Statistik” und so…)) “

    Schüler der neunten Klasse sind Nicht-Biologen. Die Tasache, dass sie in diesem Alter (drei Jahre jünger) Abituraufgaben lösen können kann man eindeutig nicht zu Gunsten der Schüler, sondern ausschließlich zu Lasten eines zu einfachen Abiturs bewerten.

    Gruß, Winni.

  2. […] dass die Abiturarbeit Kompetenzen abfragt und kein Wissen, also Fertigkeiten und keine Fakten. Aus dem Ergebnis kann man auch zu dem Schluss kommen, dass die Schüler offenbar die nötigen Kompetenzen erworben haben, um die Aufgabenstellungen zu lösen. Ich finde das großartig […]

    Ich nicht. In jedem Curriculum ist für die Sek. II sowas in Richtung „Wissenschaftpropädeutik“ und Erweiterung(!) von Kompetenzen zu lesen. Wenn ich in der neunten Klasse bereits die Kompetenzen für die Lösung von Abituraufgaben besitze, kann man durchaus auch schließen, dass die in dieser Arbeit abgefragten Kompetenzen(!) nicht dem Anspruchsniveau eines Abiturienten entsprechen.
    Nicht nur Inhalte müssen meiner Meinung nach komplexer werden, sondern auch die überprüften Kompetenzen.
    Welchen intrinsischen Sinn hat nach dieser Erfahrung für den „Einserkandidaten“ der Besuch des Biologieunterrichts in der Oberstufe? Ich würde mir als Schüler v******** vorkommen…

  3. Was für theoretische Kompetenzen kann man denn im Oberstufenunterricht Biologie noch erwerben, die man vorher nicht hat? Typischerweise lernt man doch nur noch mehr Fakten, da neue Themengebiete angesprochen werden bzw. „Fähigkeiten und Fertigkeiten[,] um etwas zu beherschen“, die auch Faktenwissen voraussetzen, so benötigt man um gentechnische Verfahren anzuwenden ja auch das zugrundelegende Faktenwissen.

    Oder auch die Kompetenz eine Sprache zu sprechen ist an das Faktenwissen Vokabeln und Grammatikregeln gebunden. Und selbst wenn man noch weiter geht und das Erlernen einer neuen Sprache als Kompetenz ansieht, so greift man da ja auch auf das Wissen über andere Sprachen zurück.

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