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Perikope: Töte deinen Sohn.

Im Rahmen eines fest vorgegebenen Zyklus werden bestimmte Bibeltexte an bestimmten Sonntagen gelesen und durchdacht – Perikope nennt man diese Liturgie.
Ich will aus dem Blog nun wirklich keine umherwandernde Zeltmission machen, aber der heutige Text drängt sich in mir auf: Denn heute ist einer der herausforderndsten Texte dran, die mir je untergekommen sind: Abraham wird von Gott aufgefordert, seinen Sohn zu töten, um seinen Glauben zu beweisen (1.Mose 22, 1-13).

2 Und er (Gott) sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 

Seinen einzigen Sohn, den er liebt. (An dieser Stelle wird das Wort “Liebe” zum ersten Mal in der Bibel benutzt.)

3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte

Und dann, in der letzten Sekunde greift Gott ein, sagt “Halt, halt! Lass es doch! Nimm dir lieber das Schaf dort im Gebüsch und opfere mir das Schaf!”

Kein Wunder, dass Richard Dawkins da zum großen Schlag ausholt. Wenn Menschen diese Geschichte zum ersten Mal lesen, dann kommen sie oft zu dem Schluß, dass diese Geschichten der Grund dafür sind, dass Religionen so zerstörerisch sind. Seinen Sohn opfern um einem Gott zu beweisen, dass man treu ist? Ja?
Und wann immer mir die Geschichte in Predigten, in Bibelstunden oder frommen Texten begegnete, lautete das Fazit, die Pointe: “Siehst du, Abraham ist so ein guter Mann!”
Erm… Tut mir leid. Abraham ist gut, weil er seinen Sohn töten will? Ich sehe darin vor allem einen idiotischen Abraham. Und einen idiotischen Gott. Jemand sollte das Jugendamt anrufen, anstatt Abraham zu loben. Diese Geschichte ist scheiße, kann man sie nicht rausnehmen? Sie sagt mir gar nichts. Aber ich muss mich regelmäßig dafür rechtfertigen, dass sie in der Bibel steht.

Ein paar Beobachtungen zu dieser Geschichte.
Ist es nicht merkwürdig, dass Abraham, als er den Auftrag erhält Isaak zu opfern, nicht sagt: “Nein.” Er sagt auch nicht “Wie?”. Offenbar weiß er (und die Zuhörer damals) genau, was zu tun ist und wie es zu tun ist. Warum ist Abraham nicht schockiert darüber, dass er seinen einzigen, geliebten Sohn opfern muss?

Weil die Götter so sind. Sie fordern. Und sie fordern stets das wertvollste, das man besitzt. Das war damals jedem Zuhörer völlig klar. Und Abraham, als Kind seiner Zeit, tut, was üblich ist (vielleicht so wie wir heute ohne nachzudenken Schuhe kaufen, die von Kindersklaven gefertigt wurden). Er wandert auf den Berg und ist bereit, sein Opfer zu bringen, als Gott ruft: “Stop”.

Der Knackpunkt der Geschichte ist nicht so sehr der Glaube Abrahams. Die Geschichte endet auch nicht mit dem starken Glauben Abrahams. Das die Menschen ihren Göttern etwas anboten war üblich. Nein, hier geht es um etwas anderes: Der Gott in dieser Geschichte bietet Abraham etwas an. Und das war eine absolut revolutionäre Idee in der Geschichte der Menschheit. Niemand hat jemals von einem Gott wie diesem erzählt.

Heute lesen wir die Geschichte eines Mannes, der bereit ist, seinen Sohn zu töten. Aber damals, vor hunderten und tausenden Jahren – da hörten die Menschen die Geschichte von einem Gott, der diesen Kreis durchbrach. Der keine Menschenopfer wollte. Das waren gute Nachrichten.
Am Ende bleibt, dass diese brutale, archaische Geschichte für die Menschen damals eine unfassbar gute Botschaft darstellt. Und in diesem Licht liest sich die Geschichte ganz anders.

4 Gedanken zu „Perikope: Töte deinen Sohn.“

  1. Diese Geschichte habe ich heute im Film-Schinken „Die Bibel“ gesehen (mit Peter O’Toole als „die drei Engel“ 🙂 ). Aus meiner Sicht ist der Film recht nah an der Vorlage.

    Was Du hier schreibst, kommt im Film so nicht rüber. Ich stimme Dir aber zu.

  2. Pingback: Sommergeschichten « …ein Halbtagsblog…

  3. Das ist ja nun schon ein älterer Eintrag, aber ich will trotzdem etwas dazu schreiben.

    Die Geschichte, dass ein Kind geopfert werden soll, dann aber von der Gottheit gerettet wird, geht auf ein antikes Wandermotiv zurück, das weit verbreitet war.

    Die bekannteste Parallelgeschichte ist die von Agamemnon, der seine Tochter Iphigenie opfern soll – als Strafe dafür, dass er mal die Göttin Artemis nackt gesehen hat, was allerdings ein echtes Versehen gewesen war.

    Auch in diesem Fall wird, als das Mädchen schon auf dem Altar liegt, ein Tier als Ersatz angeboten und Iphigenie von der Göttin gewissermaßen entführt; sie findet sich später in einem berühmten Artemis-Heiligtum wieder und wird dort Oberpriesterin.

    Bis auf die vertauschten Geschlechter – weibliche Göttin, weibliches Kind und weibliches Ersatztier (Hirschkuh) – sind die Geschichten also annähernd deckungsgleich.

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