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Ausflug ins Mathematikum. (pädagogische Kniffe)

Vorgestern sind wir mit zwei sechsten Klassen nach Giessen ins Mathematikum.
Nunja.. zunächst wollten wir nur ins Mathematikum.
Denn wir waren mit unseren Reisebussen keine zehn Minuten auf der Autobahn, als uns ein Autofahrer wild anhupte und mit kreidebleichem Gesichtsausdruck wie wahnsinnig auf mich zeigte. War das Geifer in seinem Mundwinkel?

Himmel, dachte ich, war das Elterngespräch gestern doch nicht so gut? Hätte ich nicht so flapsig sein dürfen? Ist das womöglich Herr Rau, der mich umbringen will, weil der Focus mir den Fotografen geschickt hat und nicht ihm?

Um der Sache auf den Grund zu gehen, fuhren unsere Busse auf den nächsten Rastplatz.

Innerlich legte ich mir eine sorgfältige Entschuldigung für mein Verhalten bei dem Elterngespräch (“Medikamentenunverträglichkeit”) bzw. für Herrn Rau (“mehr DSA-Erfahrung”) zurecht. Ebenfalls in meinem Kopf: Welche rechtlichen Vorschriften gelten, wenn ein Schulausflug auf einem Autobahnparkplatz zu Ende geht? Tatsächlich ist das keine ganz unkritische Situation. Der Gedanke, knapp sechzig springende und hüpfende Kinder auf der Autobahn hat nichts Gutes.

Der Grund des wahnsinnigen aufmerksamen Autofahrers war jedoch ein anderer:

2012-03-01 08.19.58

Der Auspuff des kleinen Busses war abgefallen und hatte eine schöne Funkenspur hinter uns hergezogen. Nun aber hatten wir 60 nörgelnde Kinder in den Bussen sitzen. “Wasn los?” “Wann gehts weiter?”

Ein Blick zur Busfahrerin: “Der Ersatzbus ist frühestens in einer halben Stunde hier. Da ist ein Unfall direkt hinter uns gewesen und da ist jetzt Stau…”.

Na Prima!

Eine großartige Idee kam mir in den Sinn.
Um die Kinder zu beschäftigen, erzählte ich ihnen flüsternd, dass der kleine Bus irgend etwas überfahren habe und das würde jetzt unter dem Bus hängen. Wir wüßten noch nicht genau, was es wäre – aber es sei groß. (Es gibt so Momente, da redet man schneller, als man nachdenkt, oder?)
Große Aufregung unter den Schülern. Wispernd wurde die Nachricht weitergegeben. Da die zwei Busfahrerinnen und anderen Lehrer gleichzeitig unter den anderen Bus starrten und sich berieten, kam kein Zweifel auf. Kurz überlegte ich, ob ich den Kollegen erzählen sollte, was ich da angerichtet hatte.

Die nächsten zehn Minuten waren die Schüler beschäftigt.

Als erste kritische Fragen aufkamen, fügte ich weitere Details hinzu. Im Vertrauen erzählte ich einer Schülerin “Wir glauben, es hat Krallen! Aber behalt das bitte für dich!”

Klar. Wieder zehn Minuten.

Irgendwann wurde dann klar, dass ich nur Mist erzählt hatte. Aber da war die Zeit auch schon fast um und der Ersatzbus stand bereit. Endlich!

Das Mathematikum ist ein Mathematikmuseum zum anfassen. Und spielen. Die haben sogar eine extra-Etage für ganz kleine Kinder und ich muss zugeben, immer wieder muss ich dem Drang widerstehen, einzelne Schüler in genau jenen Bereich zu deligieren.

Meine brilliante ich-erzähle-euch-spannende-Geschichten-gegen-die-Langeweile-Taktik wurde mir nun um die Ohren gehauen. Denn im Vergleich zu dem Gespensterwolf unter dem Bus (“Wir glauben, es könnte noch leben…!”) ist ein Museumsgang….nunja, nicht für alle gleich aufregend.

imageSo fragten denn auch nach fünfzehn Minuten (!) die ersten Schüler an, ob sie sich in die Cafeteria setzen dürften. (In diesen Moment reicht es, wenn ich meine rechte Augenbraue hochziehe – die Schüler wissen, was gemeint ist. Ich finde, dass sollte in den Lehrplan jeder Universität aufgenommen werden: Lehrer müssen mit kritischem Blick eine Augenbraue heben können.)

Vor einigen Wochen haben wir mit unserer versammelten Referendars-Mannschaft das Mathematikum unsicher gemacht (scheint ein anderes Leben gewesen sein..) und ich erinnere mich, wie ich mit meiner Kollegin Steffi stundenlang einige Minuten vor einer Art Farb-Form-Sudoku gesessen habe. Ein 4×4-großes Quadrat soll mit vier unterschiedlichen Formen in jeweils vier unterschiedlichen Farben so gefüllt werden, dass jede Form und jede Farbe in jeder Zeile und Spalte genau einmal vorkommt.
2012-03-01 11.30.42Diesmal nahm ich mir etwas mehr Zeit, und… wie soll ich sagen… Ätsch, Steffi!
Stolz wies ich die Schüler auf dieses Rätsel hin – in dem festen Glauben, dass sie damit den restlichen Vormittag beschäftigt sein würden. Tatsächlich aber hatten sie das Rätsel in weniger als drei Minuten gelöst. Und auch noch anders als ich. Autsch!
In einer großen Glaszylinder an anderer Stelle befinden sich 999.999 weiße Glaskügelchen und eine einzige Schwarze. Meine letzte Hoffnung auf sinnfreie Beschäftigungstherapie wurde zunichte gemacht, als die gleiche Schülergruppe von eben auch jene Kugel fand.
Schön war auch, dass das Mathematikum gerade eine Sonderausstellung zu optischen Täuschungen hat. Hier gab es eine Menge verblüffender Dinge zu bestaunen.

2012-03-01 10.37.26Insgesamt ein schöner Ausflug. Die meisten Schüler waren sehr interessiert und hatten eine Menge Spaß. Das einige sich direkt verziehen wollten, kann ich ihnen nur schwer übel nehmen:
Ich erinnere mich, dass wir zu meiner Zeit einen Tagesausflug nach Maastricht unternommen haben. Und während die Mädchen die Stadt bewunderten und bestimmt viele kulturelle Dinge unternahmen, verbrachten wir Jungs den ganzen Tag bei Pizza Hut und einem hitzigen All-you-can-eat-Wettbewerb. Ich erinnere mich mit Grausen an die Rückfahrt im heißen, stickigen Bus und (m)einen zum Bersten gefüllten Magen.

5 Gedanken zu „Ausflug ins Mathematikum. (pädagogische Kniffe)“

  1. Gibt’s eigentlich noch die Phänomenta in Lüdenscheid? Die war in meiner Siegener Zeit regelmäßig Ziel mit den Schulanfängern. Ist ja eher Physik, aber auch für Mathe interessant.

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