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I’m with stupid

Für meine Tochter gibt es ein Zauberwort – es heißt “Wissenschaftler”. Wissenschaftler sind Leute, die unglaubliche Dinge vollbringen können. Als wir vor einiger Zeit Kristalle erschufen…

I’m with stupid 1…da waren wir echte Wissenschaftler. Mit Schutzbrille und allem, was dazugehörte. Und aus popligem Salz und etwas warmem Wasser wurde – wie durch Zauberhand – ein roter, großer Kristall.
Für Carolina ist völlig klar, dass Wissenschaftler die klügsten Menschen auf der Welt sind. Noch klüger als Mama. (Ja, Papa ist ein Wissenschaftler :-D) Und obwohl ich die Wissbegier meiner Tochter sehr schätze, bin ich doch nicht mehr als ein Scharlatan. Ein Wald- und Wiesenphysiker. Denn so richtig verstanden habe ich gar nichts.

Wieso wird aus dem roten Salz plötzlich ein fester Kristall? Ich meine, jeden Morgen schütte ich mir haufenweise Kakaopulver in meine Milch – trotzdem ist daraus noch nie ein großer Kakao-Kristall geworden.
Neulich las ist, dass sich extrem kaltes Helium in ein Suprafluid verwandelt und sich dadurch, platt formuliert, der Schwerkraft entziehen kann: suprafluides Helium fließt die Wände hoch. Verblüffend, oder?
Die Heisenbergsche Unschärferelation bedeutet für mich vor allem: Je genauer ich hinsehe, desto weniger Ahnung habe ich:

Warum fällt das (negativ geladene) Elektron eigentlich nicht in den (positiv geladenen) Atomkern1? Und überhaupt – warum ist das Elektron “negativ geladen”? Was ist denn eine “Ladung”? Und warum hat das winzig kleine Elektron die gleiche Ladungsstärke wie der Kern, obwohl es im Vergleich zum Proton so leicht ist?

Aber mit den Worten von Mehmet Scholl: Ich will hier nicht mit Fremdwörtern imprägnieren, sondern eine Geschichte erzählen. Obwohl ich so wenig weiß, bin ich durchaus wissbegierig. Aber mir fehlen Zeit, Lust und Intelligenz um mich wirklich ernsthaft mit so Sachen auseinanderzusetzen.
Vor einiger Zeit fragte Herr Rau nach sinnvoller Lektüre für verschiedene Schulfächer – und ich habe ein Buch. Ein großartiges.

“Die Ordnung der Dinge” von Sam Kean.

2012-07-17 12.11.24Darin beschreibt Kean auf überaus amüsante Art die Geschichte (und zahlreiche Nebengeschichten) aller Elemente des Periodensystems. Und bei allen möglichen Stellen denke ich mir “Uhhh… das musst du dir merken!”.
Aber natürlich vergesse ich alles.
Für den Chemieunterricht der Oberstufe ist es aber sicher ein geeignetes Buch. Es ist nicht so wissenschaftlich, dass ich es nicht verstehen würde, kommt aber auch nicht völlig ohne Begrifflichkeiten aus. Es erinnert sehr an zwei Bücher von Bill Bryson, die ich an dieser Stelle ebenfalls sehr empfehlen kann – auch (und besonders) jenen, die mit Wissenschaft einfach gar nichts am Hut haben.
Eine kurze Geschichte von fast allem” & “Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge” beschäftigen sich… nun… irgendwie mit fast allem. Bryson verknüpft ganz geschickt alltägliche Informationen mit amüsanten Anekdoten dahinter. Zum Beispiel verbindet er die Geschichte des Schlafzimmers mit der Entwicklung der Matratzen, kommt zur berühmten Geschichte der Mary Toft (einer analphabetischen Kaninchenzüchterin aus 2012-07-17 12.11.35Godalming in Surrey, die 1726 über mehrere Wochen hinweg große ärztliche Kapazitäten, darunter zwei Hofmediziner, davon überzeugte, dass sie Kaninchen gebären konnte. Das Ganze wurde landesweit zur Sensation. Mehrere Ärzte waren bei der Geburt zugegen und bekundeten ihr äußerstes Erstaunen…) und anschließend über Hölzchen und Stöcken zur Entwicklung der Gynäkologie (Noch im Jahre 1878 konnte das British Medical Journal eine angeregte, lange Leserdebatte darüber bringen, ob ein Schinken verdürbe, wenn ihn eine menstruierende Frau berührt habe…), erzählt beiläufig, dass (mangels Betäubung) die Entfernung eines Blasensteins im siebzehnten Jahrhundert nur etwa 50 Sekunden dauerte und bei all den Geschichten denke ich mir: “Wooow! Das ist verrückt. Musst du dir merken!”

In allen drei Büchern gibt es sicher Unstimmigkeiten – zumindest wenn man der ein oder anderen Amazon-Rezension folgt. Hier und da und dort ist die Übersetzung falsch oder die virtuellen p-Orbitale sind gar nicht von den µ-Bosonen beeinflusst und schon gar nicht Dienstags wenn der Mond scheint.
Solche Spitzfindigkeiten sind sicher richtig – aber in meinen Augen irrelevant. Sie erinnern mich jedoch an (und jetzt folgt eine jener amüsanten Geschichten) Gilbert Newton Lewis, der wie niemand sonst zur Klärung der Frage, warum sich Elektronen verhalten, wie sie sich verhalten und Bindungen zwischen den Atomen herstellen, beigetragen hat. Ursprünglich aus Nebraska lebte er kurze Zeit in Deutschland bei dem Chemiker Walther Nernst. Schüler von Nernst zu sein erwies sich für Lewis jedoch als so unerträglich, dass er bald darauf floh und viele Jahre auf den Philippinen lebte. Ein einziges Buch nahm er in sein Exil mit: „Theoretische Chemie“ von Walther Nernst und er verbrachte die nächsten Jahre damit, wie besessen Artikel über jeden noch so winzigen Fehler seines Intimfeindes zu veröffentlichen.

Ja. Auch damit kann man seine Zeit verbringen.

Entgegen anders lautenden Gerüchten haben Lehrer übrigens keine sechs Wochen Ferien. Ich sortiere und sammle gerade Unterrichtsmaterial für meinen kommenden Oberstufenkurs Physik. Dem sehe ich schon sehr freudig entgegen. Außerdem bereite mich schon ein wenig auf meine neue 5. Klasse vor, die ganz besondere Herausforderungen für mich bereithält – aber dazu schreibe ich später mehr.

Und – natürlich! – verbringe ich die Zeit mit meiner Tochter. Wir arbeiten daran, einen ordentlichen Kakao-Kristall zu erschaffen. Natürlich mit Schutzbrille!

1 Dazu gibt es eine sehr anschauliche Erklärung von Professor Lesch auf youtube.

Ein Gedanke zu „I’m with stupid“

  1. DAs hört sich doch sehr gut an. Mit Wissensdurst fängt es an und wenn man dann noch solche Vorbilder wie Papa hat 🙂 Ist alles perfekt! Hat mein Chemiestudium auch angeregt, bis ich es abgebrochen habe… Aber immer versuchen!

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