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Und Gott sprach: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst-Isaac-und ziehe hin in das Land Morija. Opfere ihn dort…“

Genesis 22.

Diese Passage ist vielleicht das Paradebeispiel für jene Art Erzählung, die Menschen aus der Bibel ziehen um zu fragen, was eine Geschichte über einen Mann namens Abraham und seinen Sohn uns heute wohl noch sagen soll. Oder, um etwas genauer zu sein: Welche Art Gott würde einen Mann auffordern, seinen Sohn zu opfern?

Als Richard Dawkins vor einigen Jahren sein vielbeachtetes Buch „The God Dillusion“ veröffentlichte, fühlte es sich an, als würde vor allem diese Geschichte immer und immer wieder zitiert. Was für eine Art Gott soll das sein?

Das ist die Frage, nicht wahr?
Wir wollen uns diese Geschichte ansehen, weil es darauf eine Antwort gibt. Eine klare, schwarz-weiß-, richtig-falsch-Antwort direkt hier in der Geschichte.

Um sie zu verstehen, müssen wir allerdings einen kleinen Exkurs in Religionsgeschichte machen, daran anschließend betrachten wir einige Details der Geschichte und kommen so zu einer adäquaten Antwort. Versprochen.

Zunächst eine kurze Abhandlung der Religionsgeschichte:
Die frühe Menschheit kam irgendwann zu der Erkenntnis, dass ihr Überleben von Dingen wie Nahrung und Wasser abhängig war. Für die Nahrung brauchte es Sonne und Regen im richtigen Verhältnis: Zuviel Wasser und zu viel Regen und alles wurde weggeschwemmt. Zuviel Sonne und zu viel Wärme und alles trocknete aus. Diese Beobachtungen brachten die Menschen zu der Überzeugung, dass sie von gewissen unsichtbaren Kräften abhängig waren. Kräften, auf die sie keinen Einfluss hatten. Es entstand ein Glaube daran, dass diese Kräfte entweder auf deiner Seite waren – oder nicht (und heute ist „Das Schicksal hat sich gegen mich verschworen“ noch genauso…).

Es stellt sich also die Frage, wie man diese Kräfte auf seine Seite zieht.

Natürlich durch ein Zeichen der Dankbarkeit! Wenn wir also das nächste Mal die Ernte einholen, dann nehmen wir einen Teil der Ernte und sie diesen Kräften (Göttern?) als Zeichen opfern. Damit sind sie auf unserer Seite.
Nun stellen wir uns einmal vor, was geschähe, wenn wir opferten, aber es regnet nicht oder unsere Tiere werden krank oder bekommen keine Junge. Uns würde sich die Schlussfolgerung aufdrängen, dass wir zwar geopfert haben – aber eindeutig nicht genug.
Also opferte man mehr. Und mehr. Und mehr. Denn das, was Religion und Aberglaube in ihrer ureigensten Form erzeugt, ist Angst.
Man wusste nie genau, wie man mit den Göttern stand. Sie waren zornig und anspruchsvoll und wenn man ihnen nicht gefiel, dann wurde man bestraft.

Und was, wenn es gut lief? Wenn es genau im richtigen Maß regnete? Was, wenn die Götter sehr zufrieden mit einem waren? Na – dann musste man seinen Dank entsprechend zeigen. Aber wie soll man herausfinden, ob man „richtig“ gedankt hat? Ob man genug dargeboten hat?

Wenn es gut läuft, weiß man nicht, ob man sich auch dankbar genug zeigt und wenn es schlecht läuft, weiß man, dass man nicht genug geopfert hat. In jedem Fall geht es um Angst. (Aus diesem Grunde ist das Buch Leviticus so revolutionär – aber dazu später!)
An dieser Stelle kommen wir zu einem springenden Punkt: Denn egal ob es auf dem Hof gut läuft oder schlecht – die Götter verlangen immer nach mehr. Mehr opfern. Dankbarer sein.
Und weil die Menschen nicht wussten, wo sie mit den Göttern standen, haben sie erst einen Teil der Ernte dargebracht. Dann vielleicht eine Ziege. Vielleicht ein Schaf. Vielleicht eine Kuh. Vielleicht ein paar Kühe.
Die Grundstruktur früher Religion (früher? Jetzt nicht? Dazu kommen wir später!) lief darauf hinaus, dass alles in der Furcht eskalierte, den Göttern gefallen zu müssen – also opferte man mehr und mehr und mehr.
Und was ist das wertvollste, was man den Göttern opfern kann, um ihnen zu zeigen, wie dankbar man für den Segen ist? Ein Kind. Was sonst?
Können wir sehen, wie rechts und links vom Alten Testament Menschenopfer lauern? An diese Stelle führt Religion oft: An einen Ort, an dem man aus Angst das opfert, was einem am wertvollsten ist. Überall in der Weltgeschichte findet sich dieser Aspekt wieder.

Nun zur Abraham Geschichte.

Als Gott Abraham auffordert, seinen Sohn zu opfern, ist der nicht besonders geschockt:

Da machte sich Abraham früh am Morgen auf und belud seinen Esel.

Abraham legt direkt los. Er streitet nicht mit Gott, er protestiert nicht einmal. Er weiß ganz genau, was er zu tun hat und legt los.

Was sonst? Denn so funktionierte Religion. Seit Urzeiten. Die Götter verlangten, was am wertvollsten im Leben war. Und wenn man es ihnen verweigerte, dann würde man den Preis bezahlen. So war die Welt seinerzeit.

(Und ja – das ist ohne Zweifel furchtbar)

Also zieht Abraham los und

erreichte den Ort am dritten Tag.

Drei Tage lang mit seinem Sohn unterwegs zu sein, in der Gewissheit, dass er stirbt, klingt entsetzlich. Ich bin einigermaßen froh, dass ich in einem Land lebe, in dem so etwas nicht mehr üblich ist.
Aber Abraham steigt auf den Berg, bereitet sich vor seinen Sohn zu opfern – aber Gott hält ihn im letzten Moment auf und statt des Sohnes opfert er einen Widder. Ende der Geschichte.

Naja.. Fast.

Ein Engel taucht auf und verkündet Abraham, dass er gesegnet wird und durch seine Nachkommen viele Nationen der Erde.

Zurück zur ursprünglichen Frage: Welche Art Gott verlangt von einem Mann, seinen Sohn zu opfern?

Die Antwort: Nicht dieser Gott.
Andere Götter mögen nach den Erstgeborenen fragen, aber nicht dieser.

Aber wenn Gott nicht nach dem Blut des Sohnes fragt, warum dann dieser ganze Zirkus?

Mehrere Antworten.
Zuerst: Das Drama ist der springende Punkt. Abraham weiß, was zu tun ist, weil es so üblich ist. Zunächst erscheint dieser Gott wie alle anderen Götter und die Geschichte über ein Opfer wie alle anderen Opfergeschichten. Die ersten Zuhörer dieser Geschichte werden sie gekannt haben, weil die Entwicklung bekannt war.
Aber dann ändert sich etwas.
Die Geschichte nimmt einen anderen Verlauf, der nicht vorauszusehen war. Dieser Gott zerbricht die Tradition, die schon seit Generationen üblich war. Man kann sich das Erstaunen der Zuhörer seinerzeit bildlich vorstellen: Gott hat ihn davon abgehalten, seinen Sohn zu opfern?

Zweitens: Der Gott in dieser Geschichte bietet etwas an. Opferung und Anbetung sind Dinge, die man zu Gott bringt. Eine Geschichte über einen Gott, der Abraham etwas gibt, ist.. skurril.

Drittens: Diese Geschichte handelt nicht davon, wie treu Abraham Gott ergeben ist oder was er für Gott tut. In dieser Geschichte geht es darum, was Gott für Abraham tut. Atemberaubend! Neu! Revolutionär. Ein Gott, der nichts verlangt, sondern der gibt und segnet.

Viertens: Abraham bekommt zu hören, dass Gott mit ihm eine Geschichte beginnen will. Nämlich, dass soviel Liebe und Segen erfahren wird, dass durch ihn jedermann Segen erfährt. Dieser Gott ist nicht wütend oder fordernd – dieser Gott will jeden lieben. Abraham wird eingeladen, ihm zu vertrauen. Glauben zu haben. Und in diesem Versprechen sein Leben zu gestalten.

Können wir an dieser Stelle erkennen, wie viele fantastische Ideen in diese Geschichte eingebunden sind? Können wir erkennen, warum dieser Geschichte nicht in Vergessenheit geraten, sondern immer weitererzählt worden ist?
Fällt uns eventuell noch eine andere Geschichte über einen Sohn ein, der drei Tage lang so gut wie tot war aber dann doch in einer Art und Weise gelebt hat, dass es die üblichen Werte und Glaubensgrundsätze über einen zornigen, fordernden Gott seiner Zeit mit einer Botschaft eines liebenden, segnenden Gottes konfrontierte?

Eventuell.

Wir haben also etwas über die Flut und einen Fisch und Türme und Söhne gelernt. Und ich glaube, wir sind immer noch erst am Anfang.

Nächstes Mal: Das revolutionäre Buch Leviticus.

Dank geht an Rob Bell.
Alle Teile der Serie.

7 Gedanken zu „#6: Sohn“

  1. Wahnsinn!!! Immer hatte ich diese Geschichte als Beispiel eines grausamen Gottes im Kopf, dabei fehlte mir nur die historische Perspektive. Du solltest meiner Meinung nach eine Neuausgabe der Bibel schreiben, ganz im Ernst! Jan-Martin „Luther“ 🙂

  2. Pingback: #7: Das revolutionäre Buch ‘Leviticus’ - ...ein Halbtagsblog...

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