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#7: Das revolutionäre Buch ‘Leviticus’

Ist Leviticus nicht eigentlich das Paradebeispiel dafür, warum das Alte Testament so ein archaisches und überholtes Buch ist? Wer (mit halbwegs funktionierendem Verstand) würde ‘Leviticus’ und ‘revolutionär’ in einen Satz packen?

Also, wohlauf denn.

Leviticus beginnt mit umfangreichen (um ehrlich zu sein: langweiligen) Anweisungen wie man verschiedene Opfer darbringt: das Brandopfer, das Speiseopfer, das Dankopfer, das Sühneopfer und das Schuldopfer. Brand? Sühne? Schuld? Klingt nach einer Party, hm?

Und um das noch auf die Spitze zu treiben, folgen Vers um Vers mit genauen Instruktionen, was man mit dem Fett (der geopferten Tiere), dem Fleisch (selbiger Tiere), der Leber und dem ganzen Blut machen soll.

Zwei Anmerkungen zum Text:

Erstens beginnt das Buch damit, dass der HERR (so wird Gott stets genannt) zu Mose sagt:

Wenn ihr dem HERRN eine Opfergabe darbringen wollt…

Im hebräischen steht an der Stelle für darbringen das Wort „Korban“ (קָרְבָּ֖ן) und Korban impliziert Nähe.

Nähe?

Die Götter wurden damals als weit entfernte, distanzierte, anspruchsvolle und fordernde Wesen verstanden, deren Hunger stets gestillt werden musste. Man wusste nie so recht, wie man mit den Göttern gerade stand (in der griechischen Mythologie kann man das erahnen: Ständig gab es Streit zwischen Menschen und Göttern).

Aber an dieser Stelle kann man Gott nahe sein? Im Ernst? Das war eine neue Idee.

Ein kurzer Moment zum Innehalten: Wir sind erst einen Vers eingetaucht und schon drehen sich unsere Gedanken im Kreis: Menschen sprachen über Götter nicht auf diese Weise. Die Menschen kannten Götter nicht auf diese Art. Was bedeutet…

Dieser Gott ist anders.

Zu diesem Gott kann man eine Beziehung aufbauen.

Das führt zu einer zweiten Beobachtung: Eines der Opfer wird als „Dankesopfer“ (שְׁלָמִ֖י) bezeichnet: Man könnte auch Friedensopfer dazu sagen. Also ein Opfer, das man darbringt, um Frieden mit Gott zu haben. In einer Zeit, da man den Launen der Götter (Sonne, Regen, Sturm, Flut, Meer) ausgeliefert war (s. letzter Beitrag) und man in steter Angst leben musste, ob man diese Götter womöglich durch ein zu geringes Opfer oder irgendwelche unbedachten Taten verärgert hat – in dieser Zeit erschien es wie ein unerhörtes Angebot, Gott durch ein klar definiertes Dankesopfer zu besänftigen.

Mit anderen Worten: Man wusste plötzlich genau, wie man zu Gott stand.
Aber was, wenn man sich an die schnippische Antwort an die Schwiegermutter erinnert – hat das Gott womöglich erzürnt? Wie kann ich das wieder hinkriegen? In Leviticus finden wir ein passendes Opfer für diesen Fall. Was, wenn man unbeabsichtigt jemandes Esel mit altem Heu gefüttert hat, so dass der jetzt gestorben ist… Wie kann man..? In Leviticus findet sich eine passende App ein passendes Opfer für diesen Fall.

Aber trotzdem, wird man nun einwenden, ist das doch einfach schaurig und blutig! Muss das denn sein?

Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass dieser Text tausende von Jahren alt ist.

Aber warum all diese vielen Details?

Zu dieser Zeit lebte man in dem Glauben, dass die Götter einen für eine falsche Geste oder ein unbedachtes Wort bestrafen konnten. So sahen die Menschen ihre Götter. „Einmal falsch geblinzelt und du bist Geschichte!“ Die vielen Einzelheiten in Leviticus hatten eine zutiefst beruhigende Wirkung auf viele Menschen, weil man sichergehen konnte, sich mit Gott gut zu stellen und keinen Zorn auf sich zog.

Aber all die Wiederholungen machen es schwer, das Buch durchzulesen, ohne dabei einzunicken..

An dieser Stelle möchte ich ermutigen, einmal das Strafgesetzbuch durchzulesen. Mit all seinen Details und Ausnahmen und… Auch hier macht die Lektüre keinen besonderen Spaß – aber sie beruhigt uns. Denn das Vorhandensein von Regeln und Gesetzen sorgt für eine gewisse Ordnung.

Und warum haben sie das ganze System von Opfern nicht einfach zusammengefasst?

Guter Punkt. Warum nicht alles über eine Klinge scheren. Ein endgültiges Opfer für alle Sünden und dann ist alles wieder okay. Einmal den Tempel abreißen. Einmal verkünden, dass alles… Moment… wir sind schon ein bisschen voraus, oder? (Bitte – diesen Abschnitt muss man genießen 😉 )

Okay – das wirft die Frage auf, warum sie diesen Schritt mit den zahlreichen Opfern nicht übersprungen haben?

Nun… wie verändern sich Sachen? Wie ändert man das Bewusstsein eines ganzen Volkes? Wie ändert man Rituale und Bräuche, die seit Urzeiten von den Vätern und Großvätern weitergegeben wurden?

Kann man sich einfach hinstellen und sagen: „Sorry, Freunde! Die Zeit ist um – jetzt kommt etwas neues..“?

Ende des letzten Jahres schlug ein Politiker vor, man könne in deutschen Kantinen doch einen vegetarischen Tag in der Woche einführen.

Was ein Aufschrei!

Wir alle wissen, dass der Fleischkonsum den Planeten zugrunde richtet. Wir wissen, dass der Regenwald abgeholzt wird und Abermillionen Tonnen Medikamente in der Fleischindustrie missbraucht werden. Wir alle wissen das. Und wir wissen seit letztem Jahr auch, dass die NSA jeden unserer Schritte überwacht. Das zahlreiche Konzerne uns ausspionieren und mit unseren Daten handeln. Kein Mensch wehrt sich dagegen – aber einen vegetarischen Tag in der Woche einzuführen, das sei ein nicht zu akzeptierender Eingriff des Staates in unser Leben. Das ruft die Boulevard-Medien auf den Plan!

Um Dinge zu ändern, braucht es Zeit. Man holt Menschen da ab, wo sie stehen, spricht in der Sprache, die sie sprechen, zu ihnen und führt sie Schritt für Schritt zu neuen Ideen und Einblicken.

Leviticus ist also ein Schritt vorwärts?

Leviticus war seinerzeit ein revolutionärer Schritt nach vorn im menschlichen Bewusstsein, der die Menschen einlud, eine völlig neue Vorstellung des Göttlichen zu entwickeln.

Meinte Paulus das, als er schrieb, das Gesetz sei ein Lehrmeister?

So langsam passen die Teile, nicht wahr? Ein Lehrer holt dich an der Stelle ab, an der du stehst und begleitet dich zum nächsten Ort. Man braucht ihn für eine gewisse Zeit und mit ihm und durch ihn wächst man, entwickelt sich und entdeckt schließlich, dass man nicht mehr der Gleiche ist wie früher.

Nun, da wir schon sieben Teile in dieser Reihe vollbracht haben, fühlt es sich an, als würde ein roter Faden all diese Erzählungen und Geschichten verbinden – nämlich eine wachsende und zunehmend differenzierte Betrachtung Gottes.

Als nächstes wollen wir uns ansehen, was Jesus in den Staub schrieb, als die Meute die Frau steinigen will.

Dank geht an Rob Bell.
Alle Teile der Serie.

10 Gedanken zu „#7: Das revolutionäre Buch ‘Leviticus’“

  1. Ich finde deine Artikel echt interessant – nicht weil ich so oft neues lese, sondern vor allem, weil ich merke, ich bin nicht der einzige, der das AT deutlich positiver sieht als viele andere …

  2. Auch wenn du nächstes Mal ins Neue Testament wechseln willst, würde ich zu gern eine „Bestellung“ aufgeben :). Meine persönliche „Nee, son Gott nicht“-Horror-Bibelgeschichte ist die, in der Gott Davids Schwarm mit dem Blitz erschlägt.

  3. Bevor David König wurde, noch in seiner Hirtezeit, war er in eine Frau verliebt, auch vom Lande. Das war aber wohl kein passender Umgang und so erschlug Gott sie halt ohne Vorwarnung, David musste es mit ansehen. Die Geschichte ist aus meiner Kinderbibel, deshalb kann ich dir die richtige Stelle leider nicht nennen. Wäre ja ein Witz, wenn sie in der echten Bibel gar nicht vorkäme..

  4. Unglaublich, wie kommt denn sowas? Entschuldige bitte die viele Arbeit. Ich habe mich aber auch vor einiger Zeit mit einer. Religionslehrerin über diese Geschichte unterhalten, die frage ich noch mal. Bisher war mein Jugend-Bibelwissen immer korrekt 🙁

  5. Nein, leider nicht. Seit Tagen grübel ich jetzt über diesem Rätsel, fast hätte ich mir schon selbst eine Bibel gekauft… Ich kanns mir nicht erklären und habe in meiner Umgebung jeden ansatzweise gläubigen Menschen befragt, doch keiner hat je von der Blitz-Geschichte gehört. Ich fühle mich wie in der 2. Klasse, als ich im Brustton der Überzeugung verkündet habe, braune Kühe gäben Kakao 🙁

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