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Respekt vs. Affentanz in der Schule

Vor einigen Monaten erzählte eine Kollegin halb scherzhaft, sie habe mal ein Lied über die binomischen Formeln [ (a+b)² = a²+2*a*b+b² ]   mit ihren Schülern eingeübt. Und nach einmal vorsingen hatte ich die Melodie in meinem (von Unsinn zugemüllten) Kopf – und da ging sie auch nie wieder raus.
Vor zwei Wochen dann wagte ich in meiner 10 ein amüsantes Experiment: Ich erzählte ihnen von einem alten Wikingerlied, mit welchem man jene binomischen Formeln lernen könne. Man habe auf einem alten Schiff die Formeln und zugehörigen Noten eingeritzt in die Planken gefunden.

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Passend dazu: Meine Bartmütze mit gestrickten Hörnern und langem, rotem Wikinger-Rauschebart.

Ich sang.

Oder vielmehr: Ich krächzte. Denn ich bin kaum in der Lage, einen Ton zu halten. Aber für die Schüler war es ein großer Spaß.
Zweimal vorgesungen, dann konnten es alle.

Später in der Woche erzählten einzelne Schüler, sie hätten das Lied ihren Eltern vorgesungen und nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Die Formeln würden jedenfalls sitzen. Noch eine Woche später sangen wir das Lied zweistimmig im Kanon.

Solche Aktionen sind stets ein Tanz auf der Messerklinge: Ich mache mich vor meinen Schülern ein Stück weit zum Clown; es wird gelacht und gejohlt und auch wenn sie sich in zehn Jahren kaum mehr an den Inhalt erinnern: Der singende Wikinger-Lehrer bleibt haften.
Spannend ist für mich, dass die Klasse nicht den Respekt vor mir als Lehrer verloren hat. Weder muss ich mich mit lustigen Aktionen bei den Schülern anbiedern, noch gewinnen sie den Eindruck, die Schüler-Lehrer-Distanz würde fallen.
Statt dessen quengeln mich meine 8er an, sie wollten das Lied bitteschön auch lernen.

Solche Spökes-Aktionen kann man nicht mit jeder Klasse machen. Denn es geht auch um gegenseitiges Vertrauen: Ich muss darauf setzen, dass keiner meine Schüler den Auftritt filmt und online stellt. Ich muss darauf vertrauen, dass sie die Aktion als Witz verstehen, aber nicht vom eigentlichen Ziel des Unterrichts abkommen.

Solche Stunden sehen wirklich großartig aus – weil sie locker erscheinen und gute Laune hinterlassen. Aber dahinter steckt enorm viel Arbeit mit den Schülern und ich habe innerlich Blut und Wasser geschwitzt, als ich da stand und vor dreißig Schülern zu singen begann.

Aber hinterher weiß ich: Es lohnt sich.

27 Gedanken zu „Respekt vs. Affentanz in der Schule“

  1. Eine meiner Nachhilfeschüler erzählte mir auch in einer Stunde recht amüsiert, sie hätten die binomischen Formeln singen müssen. Fragte man sie später irgendwann nach den Formeln, musste sie lange grübeln, sollte sie sie singen, fielen sie ihr sofort wieder ein. Das ist bestimmt schon drei Jahre her, das Liedchen ist trotzdem immer noch in meinem Kopf… 😉
    Musikalische Grüße aus Wien!
    Ich lese den Blog wirklich gern. 🙂

  2. Ich mache jeden Morgen mit der Unterstufe Fälle-Gymnastik. Jeder Fall hat seine Bewegung und sein Fragepronomen und ein lautes Klatschen. Macht munter, macht Spaß und die Fälle sitzen – und da alle mitmachen, hat keiner Zeit, das heimlich zu filmen 😉

    1. Was für eine tolle Idee!!
      Ich wüsste gerne mehr darüber. Können Sie mir das genauer erklären, vielleicht per Mail? Mich kribbelt es gerade sehr, das mit meinen Klassen auszuprobieren! 😀

      1. Liebe Diandora, ich weiß grade nicht, ob Sie die Jans binomischen Lieder meinen oder meine Fälle-Gymnastik, aber ich werde der Einfachheit halber mal dieses Wochenende auf meinem Blog die Fälle-Gymnastik erklären und dann verlinken.

  3. In Geschichte habe ich früher in der 9. Klasse die Paulskirchenversammlung durchspielen lassen, erste parlamentarische, demokratische Sitzung in Deutschland, erste Parteien usw. Es fanden sich immer wieder schauspielerisch begabte Schüler, die die Parteiführer waren und vehement ihre Forderungen vortrugen. Die anschließenden Diskussionen waren so (aus)geartet, dass ich mir immer vorstellte, dass es original 1848/49 genauso gewesen sein muss. Jedenfalls hörte ich ab und an Klagen aus den Nachbarräumen.
    Die Schüler erinnerten sich auch nach Jahren an diese Stunde. Leider nicht an die Inhalte.
    Spaß gemacht haben mir diese Stunden aber auch immer.

    Und…kurz…den Verlust des Respekts dabei musst du sicher nicht befürchten. Denn so wie es scheint, bist du ja weiter der Lehrer gewesen.

  4. Gesungenes bleibt immer besser haften als Gesprochenes oder Gelesenes, weil es im Gehirn „breiter verschlagwortet“ ist: im Faktengedächtnis und im Musikgedächtnis. Letzteres ist nachhaltiger weil es urtümlicher (in Evolution und in persönlicher Entwicklung) ist. Noch besser, weil noch weiter unten im Stammhirn angesiedelt, wären Gerüche als Transportmittel der Fakten. Zumindest theoretisch, denn praktisch kann ich mir nicht vorstellen wie man eine binomische Formel furzt.

    1. Furzen würde ich sie nicht gleich, aber ich habe neulich tatsächlich gelesen, wie man Gerüche fürs Problemlösen nutzen kann:

      Also wenn während einer Lernphase ein Geruch im Raum ist (z.B. Zitronenduft), der aber nicht ständig da ist, sondern nur in Lernphase, sonst ergibt es keinen Effekt UND dieser Geruch dann nachts wieder im Raum ist, dann wird das Gehirn wieder an den früheren Moment erinnert und beschäftigt sich im Unterbewusstsein damit – man übt also im Schlaf oder löst im Schlaf Probleme. Das könnte man sich für die Kreativität zu nutze machen, denn dort gibt es ja eine Inkubationszeit, und auch fürs Formellernen oder Vokabellernen. Aber hey – das ist alles Theorie und ich garantiere für nichts. Denn was im Traum so alles Verrücktes passiert…

      viele Grüße aus der Provinz von Frau Henner

  5. Da habe ich auch noch ein paar Lieder für das Bruchrechnen auf Lager:

    Addition und Subtraktion von Brüchen
    (Melodie: Eine Seefahrt, die ist lustig…)

    Das Addieren von zwei Brüchen ist ganz einfach und gelingt,
    wenn man erst einmal die beiden auf den gleichen Nenner bringt
    dann addiert man nur die Zähler, ändert nichts am Nenner mehr,
    kürzt vielleicht noch, falls es möglich. Nein, addieren ist nicht schwer…

    Hollahi, hollaho, holla hia hi, addieren ist nicht schwer.

    Aber auch das Subtrahieren ist ganz einfach und gelingt
    wenn man wieder beide Brüche auf den gleichen Nenner bringt
    subtrahiert dann nur die Zähler, ändert nichts am Nenner mehr,
    kürzt vielleicht noch, falls es möglich. Subtrahieren ist nicht schwer…

    Hollahi, hollaho, holla hia hi, subtrahieren ist nicht schwer.

    Spätestens bei Hollahi… singen alle wieder lauthals mit 🙂

    Multiplizieren von Brüchen:
    (Melodie: Viel Glück und viel Segen)

    Das Multiplizieren ist wirklich der Renner, nimm Zähler mal Zähler und Nenner mal Nenner.

    Dividieren von Brüchen
    (Meldodie: Eine Insel mit zwei Bergen)

    Dividieren durch ne Bruchzahl ist ganz einfach und gelingt
    wenn man von der zweiten Bruchzahl erst einmal den Kehrwert nimmt.

    Diesen dann multiplizieren, vorher kürzen falls es geht
    Dividieren durch ne Bruchzahl ist ganz einfach wie man sieht.

    Ratatata, ratatata, ratatata,…

    Während einer KA zum Thema Bruchrechnen, hilft es dem einen oder der anderen, wenn man nur kurz die Melodie des entsprechenden Liedes ansummt, der Groschen fällt dann meist von alleine.

    Auch schön, wenn einige Jahre später Schüler in der Kursstufe sich noch an die alten Lieder erinnern und weiterhin gerne benutzen…

    Nun wüsste ich aber auch zu gerne, wie denn das Lied für die binomischen Formeln eigentlich geht…

        1. +1 😉

          Die Lieder zur Bruchrechnung gehen leicht ins Blut. Muss ich an Kollegen der 6. Klassen weitergeben.

          Mich würde ja das Wikinger-Lied von den Binomischen Formeln interessieren. Text und Melodie!?

          1. Ach noch was … gibt es vielleicht einen Musik-Lehrer, der die Musik mal einspielen könnte?

            Vielleicht auch auf die richtige Geschwindigkeit achten. Oder verschiedene Geschwindigkeiten anbieten. Sozusagen die Karaoke-Variante … vielleicht auch mit dem Text.

  6. Pingback: Lernen mit Musik - Halbtagsblog...

  7. Bin wieder von Lernen mit Musik hierhin gelangt.
    Liedtext wär‘ schön 😉
    (evtl. auch die Melodie; ich kann zwar nicht singen, aber vielleicht singt es mir meine Frau vor 🙂

  8. Pingback: Wikinger sangen die binomischen Formeln – Halbtagsblog…

  9. Pingback: Mathematikunterricht – halbtagsblog

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