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Arbeitszeiterfassung oder: Wie faul sind Sie eigentlich?

Meine jüngste Tochter ist krank. Gefühlt schleppen wir uns seit Monaten von einer Magen-Darm-Grippe zur nächsten. Diese Woche ist überdies meine Frau beruflich unterwegs, so dass ich mich in tiefster Nacht in der beklagenswerten Situation wiedergefunden habe, gleichzeitig ein kleines Kind zu duschen, den Flur zu wischen und ein Kinderbett neu zu beziehen.

Aber beklagenswert?

In solchen Nächten frage ich mich, wie die vielen Alleinerziehenden Mütter und Väter im Land das eigentlich schaffen. Wie hält man das aus? Woher nimmt man Tag für Tag die Kraft?

Arbeitszeiterfassung bei Lehrern

Meine – im Licht des Morgen betrachtet – wenig beklagenswerte Situation führt mich zur Arbeitszeiterfassung. Einige Lehrer-Blogger [bspw. Sebastian Schmidt und Herr Mess] haben exemplarisch ihre Arbeitstage vermessen. Einerseits aus Neugier – aber auch um den üblichen Vorurteilen entgegenzuwirken. Schmidt kommt auf knapp über 40 Stunden, Herr Mess in seiner Woche sogar auf knapp 60. Von meinen Kollegen weiß ich vergleichbares.

Ich selbst habe für mich keine Zeiterfassung durchgeführt und bin auch wenig motiviert, dies zu tun. Einigermaßen sicher bin ich jedoch, dass ich zeitlich unter den Genannten bleibe. Das schreibe ich, weil ich es für richtig und wichtig und fair halte, im Zuge dieser Diskussion auch die andere, vermeintlich verwöhnte Seite des Lehrerlebens zu beleuchten.

Grundsätzlich unterrichte ich ungefähr 25 Stunden pro Woche. Dazu kommen immer mal wieder die Korrekturen von Tests und Klassenarbeiten (2x Mathematik, 1x Physik, 1x WP Technik), außerdem bin ich Klassenlehrer und habe damit verbundene Aufgaben. Es bleiben also gut 15 Stunden für Vorbereitung und nachrangige Dienstgeschäfte.

Folgende Faktoren entlasten mich:

  • im Fach Mathematik arbeite ich in einer vorbereiteten Lernumgebung mit Lerntheken. Abgesehen von den Einführungsstunden muss ich keinen Unterricht vorbereiten.
  • im Fach Technik beschäftigt sich der Kurs aktuell mit Elektrotechnik – auch da steht der gesamte Unterricht. Alle Bauteile und Werkzeuge liegen in der Schule – die Stunden habe ich einmal ausgearbeitet und in ein Buch gegossen.
  • Physik läuft in jedem Jahr gleich: Die gleichen Einheiten, die gleichen Experimente. Ich habe die ersten zwei Jahre alles detailliert in OneNote aufgeschrieben. Nun variiere ich nur noch bei Bedarf.
  • ich unterrichte (normalerweise) nur in der Sekundarstufe 1

Zu beachten ist außerdem, dass ich mit Mathematik, Physik, Arbeitslehre Technik und NW Fächer habe, die sehr sequentiell aufgebaut sind. In Physik fange ich in jeder 10. Klasse mit den Grundlagen der Mechanik an – und das geht auch gar nicht anders. Ebenso sind die Themen in der Mathematik strikt vorgegeben. In diesen Fächern entwickelt sich also eine starke Routine. Insbesondere im Vergleich zu Fächern wie Deutsch (neue Literatur) oder Politik (aktuelles Geschehen).

Um alle Vorurteile zu bedienen: Ich könnte mich jetzt zurücklehnen, es die letzten dreißig Dienstjahre ruhiger angehen lassen und exakt jenem Klischee entsprechen, dass gemeinhin zu Neid und Frust führt.

Ein paar Dinge möchte ich zu meiner Verteidigung anführen:

  • ich arbeite seit über zehn Jahren mit OneNote, meinem digitalen Notizbuch. Ich finde jede Aufzeichnung zu jeder Stunde binnen zwanzig Sekunden. Ich habe direkten Zugriff auf tausende Arbeitsblätter und alte, z.T. nicht mehr gedruckte Arbeitshefte. [Buchempfehlung für Kollegen, die es noch nicht kennen.]
    Wo andere Lehrer viel Zeit in die Recherche investieren, benötige ich keine fünf Minuten.
  • die „vorbereitete Lernumgebung“, also die Lerntheken, sind nicht vom Himmel gefallen. Da steckt unermesslich viel Zeit und Arbeit drin. Gleiches gilt für die Materialien im Fach Technik.

Ein kleines Gedankenspiel: Nehmen wir an, Sebastian Schmidt braucht für ein Lehrvideo zur Bruchdivision eine Stunde Zeit – ich dagegen würde für mich mindestens vier Stunden veranschlagen.
Wer von uns ist jetzt der fleißigere Lehrer?
(Man erinnere sich: Die Medienkompetenz, also hier die Fähigkeit zu Aufnahme, Videoschnitt, Upload etc. fallen ebenfalls nicht vom Himmel. Da steckt viel Arbeit dahinter.)

Böse formuliert: Bin ich ein fleissigerer, besserer Lehrer, wenn ich mich umständlicher anstelle und mehr Zeit brauche?

Und nun?

Vor Jahren hat Google seinen Mitarbeitern einen freien Arbeitstag geschenkt. Die Angestellten mussten zwar kommen, durften die Zeit aber für eigene, kreative Projekte einsetzen. Als Lehrer sehe ich mich in eine ähnliche Situation versetzt: Ich habe ein freies Stundenkontingent und das darf ich für Dinge einsetzen, die mich motivieren. Die Lerntheken bspw. sind nicht in ihrer heutigen Form so entstanden, sondern Ergebnis eines jahrelangen Prozesses. Die jetzige OER-Variante ist mindestens die vierte Überarbeitung. Viele Nachmittage denke, plane und grüble ich. Probiere aus und verwerfe wieder. Lese auf Twitter, Facebook und via RSS bei Dutzenden Kollegen wie und was sie so tun. Weil ich nicht ständig vor einem Berg Arbeit sitze, kann ich aus der Freiheit heraus mehr lernen, besser werden.

tl;dr

Durch ein hohes Maß an Medienkompetenz, den intelligenten Einsatz von Technologie und klug gewählte Unterrichtsmethoden arbeite ich ziemlich effizient. Die eingesparte, freie Zeit investiere ich in neue, bessere Projekte die letztlich meinem Unterricht zufließen. Die „Qualität“ eines Lehrers lässt sich meines Erachtens nicht über die Zahl der Stunden am Schreibtisch messen.

Wie man das letztlich beurteilt liegt wohl auch im Auge des Betrachtes.

16 Gedanken zu „Arbeitszeiterfassung oder: Wie faul sind Sie eigentlich?“

  1. Hallo Jan,
    grundsätzlich stimme ich deinen Aussagen über die Arbeitszeit von Lehrern zu, soweit sie nur den Unterricht und dessen Vor- und Nachbereitung betreffen. Leider gibt es aber, in meinen Augen, viel zu viele Dinge, die uns Lehrern zusätzlich aufgelastet werden, die eigentlich nicht unsere Aufgabe sein sollten. Gerade hier in BW ist die Schullandschaft in einer großen Umbruchphase. Viele der Veränderungen wurden aber nicht richtig zu Ende gedacht und kosten jetzt die einzelnen Lehrkräfte unglaublich viel Zeit und Kraft, die dann aber an anderer Stelle wieder fehlt. Ich merke es ja selbst in meinem Unterricht, da ist nicht mehr die Qualitätsentwicklung der ersten Jahre drin und von so tollen Projekten wie Du sie hier vorstellst kann ich gerade leider nur träumen (oder sie bei dir „klauen“ und mich darüber freuen. Danke dafür!). Aber ich bin auch zuversichtlich, dass diese Phase des Umbruchs und Überbelastung mit nicht unterrichtsbezogenen Dingen irgendwann ein Ende haben wird und dann wieder mehr als genug Zeit da sein wird tollen Unterricht erstellen zu können.

    LG Sascha

  2. Ich kann meinem Vorredner nur zustimmen. In BW ist gerade einiges im Umbruch, was leider sehr viel Zeit (manchmal auch sinnlos) verschlingt. Zudem bin ich bei uns an der Schule für die Wartung der PCs zuständig. Und da der Sch*** nicht läuft, weil allein schon die Software, in meinen Augen, Mist ist (sage ja auch nicht schon seit 8 Jahren, dass es hier bessere Lösungen geben würde), habe ich allein die letzten 2 Wochen gut 20 Stunden in die Wartung und Pflege unseres IT Systems gesteckt. Dies ist für mich wirklich tote Zeit die ich viel sinnvoller mit der Vor- und Nachbereitung meines Unterrichts verbracht hätte, auch wenn die Kollegen jedesmal sehr dankbar sind, wenn ihr PC wieder läuft.
    Häufig hat man leider nebenher soviel zu tun, dass das eigentliche Kerngeschäft, der Unterricht, zur Nebensache verkommt. Solche Tage und Wochen stimmen mich dann nachdenklich, denn eigentlich bin ich ja Lehrer und nicht IT-Manager, Schulpsychologe, Sozialarbeiter, Eventplaner, Handwerker, etc.

    1. Bei aller Begeisterung für Technik – von dem Rolle des Schul-IT-Spezialisten halte ich mich aus genau diesem Grund fern. Toll, dass du das machst! 🙂

  3. Hallo Jan,
    wieso hast du so einen relativ geringen Korrekturaufwand (zumindest wirkt es so)? Schreibt ihr in Mathe nur 2 Schulaufgaben im Jahr oder hast du 2 Matheklassen? Und wie kommst du mit der oben genannten Klassenanzahl auf 25 Wochenstunden?
    Grüße aus Bayern…
    Susi

    1. Hallo,
      ich habe nur die Korrekturfächer genannt. Religion, Technik in der 7 und Physik in der 10 laufen ohne Korrekturen.
      Die Korrekturen sind zwar anstrengend (4-6 Arbeiten pro Schuljahr) aber kein Vergleich zu den Kollegen mit Deutsch/English/etc. Daher will ich mich da gar nicht beschweren.

      1. Das klingt immer noch nach sehr wenig Korrektur. In Baden-Württemberg sind in einem Hauptfach mindestens 4 Klassenarbeiten im Schuljahr vorgeschrieben. In einem Nebenfach hat es sich zumindest bei uns eingebürgert, 2 Arbeiten im Schuljahr zu schreiben. Man kommt so im Schnitt auf etwa eine Klassenarbeit pro Deputatsstunde, d.h. ich komme bei mir (Mathe, Physik) auf etwa 25 Klassenarbeiten im Jahr.

        Was man beim Dach Physik meiner Ansicht nach auch noch dazusagen sollte: Der Stoff mag jedes Jahr der gleiche sein; die Experimente müssen aber dennoch jedes Jahr neu auf- und abgebaut werden. Physik finde ich von der Vorbereitung her daher doch aufwendiger als Matrhematik.

        1. Aber die Arbeiten in einem Nebenfach sind doch eher „schriftliche Übungen/Tests“ und keine 45minütigen Klassenarbeiten, oder?
          Ich stimme dir zu, dass Physik aufwändiger ist. Ich will auch gar nicht behaupten, dass ich gar nichts zu tun hätte – aber im Vergleich möchte ich mich auch nicht wichtiger machen, als es nötig wäre. Und die Deutsch-Kollegen korrigieren weit mehr als ich – und müssen letzten Endes auch mehr vorbereiten (dass man mit anderen Fächern noch leichter fährt, will ich aber nicht bestreiten).

          1. Doch, die Arbeiten in Physik gehen auf jeden Fall auch 45 Minuten (und manchmal auch länger). Mir fällt an meiner Schule auch kein Kollege in anderen Nebenfächern (abgesehen natürlich von Kunst und Sport, wo es in der Unter- und Mittelstufe keine Klassenarbeiten gibt) ein, der kürzere Arbeiten schreibt.
            Klar ist der Korrekturaufwand immer noch deutlich geringer als in Deutsch und den Fremdsprachen, das ist klar. Aber ob ich beispielsweise zwei zweistündige Physikklassen habe oder eine vierstündige Matheklasse, macht für die Korrekturzeit quasi keinen Unterschied.

            1. Ich bin ebenfalls Lehrer (für Mathe und Physik) an einem Gymnasium in BW und kann Dorn bestätigen. Pro unterrichteter Stunde ist es eine Klassenarbeit, und viele schreiben in Nebenfächern sogar 90min. Davon bin ich nun abgekommen, gerade wegen des Korrekturaufwandes. Ich schreibe nun in Physik 45min. Die ersten Jahre habe ich sogar 3 Arbeiten geschrieben, falls ein Ausrutscher dabei wäre… Oh war ich da (über)motiviert.

              Der Vorbereitungsaufwand in Mathematik hält sich auch bei mir in Grenzen. In Physik jedoch, gerade in der Kursstufe, geht viel Zeit für das Aufbauen und Abbauen(!) von Versuchen drauf. Letzte Woche wollte ich sowohl in der J1 als in der J2 etwas Neues ausprobieren. Im Endeffekt war ich jeweils 2h in der Vorbereitung bis alles funktionierte…

              Ich unterrichte in Physik unheimlich gern im Schülerpraktikum. Dies entlastet (bei eingespielten Klassen) den Unterricht sehr, da ich nicht mehr 100% präsent in der ersten Reihe stehen und alles leiten muss. Allerdings benötigt es ebenfalls viel Zeit ein passendes Praktikum sich auszudenken, die Arbeitsblätter zu erstellen und die Gegenstände für die Versuche zusammenzuklauben…

              Ich habe meine Arbeitszeit noch nie erfasst, weil mich das selbst zu viel Zeit kosten würde. Bin mir aber sicher, dass ich über 40 Stunden bin, und in harten Wochen mit viel Korrekturaufwand, Konferenzen am Nachmittag, und dann noch einem Elternabend, sprenge ich bestimmt auch die 60…

      2. btw
        Man munkelt, dass OneNote nicht mehr Bestandteil von Office 2019 sein wird …
        Bleiben wird die kostenlose App unter Windows, die, so Gott will, dann auch Desktop-OneNotedateien öffnen kann. #aufsfalschepferdgesetzt
        Danke, Microsoft!

      3. Zu „Schülerpraktikum“: Schüler machen ihre eigenen Versuche, entwickeln ihre eigenen Projekte. War eine von einem Physikkollegen bevorzugte Arbeitsform.
        Zu „fleißiger“: Wer weniger effizient arbeitet, muss notgedrungen fürs selbe Ergebnis fleißiger sein.
        Der „Lehrer meines Lebens“ (https://fontanefan.blogspot.de/2018/01/blogparade-ein-wunderbarer-moment-im.html) hätte vermutlich mit 5 Minuten Vorbereitungszeit pro Stunde wesentlich besseren Unterricht gehalten als ich. Vermutlich hat er aber deutlich mehr gearbeitet als ich, weil er sich nie gestattet hätte, so tief unter sein Niveau zu sinken.
        Viel Zeit zu brauchen ist gewiss kein Beweis für Fleiß. Das gilt allenfalls für – aus welchen Gründen auch immer – überforderte Schüler, die trotzdem nicht aufgeben.

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