Seit Beginn des Schuljahres hat sich mein Mathematikunterricht sehr gewandelt. Das eigenverantwortliche Arbeiten in den Lerntheken gibt es immer noch – allerdings nur noch in den Lernbüros bei uns. Mein eigener Unterricht sieht heute ganz, ganz anders aus, als noch vor einem halben Jahr. Und, ehrlich gesagt, ärgert mich das zutiefst.
Ich bemühe mich, meine Stunden mit der Ankündigung eines Problems zu beginnen. Ich gehe noch nicht in die Details, weil ich nicht möchte, dass die Schüler*innen sofort mit dem Grübeln und Diskutieren beginnen. Mit einem Kartenspiel erzeuge ich Zufallsgruppen. Meine Erwartungshaltung habe ich sehr deutlich formuliert: Es wird nicht gejammert oder diskutiert.
In der zweiten Woche läuft das alles schon extrem routiniert ab. Immer wieder neu: Zufallsgruppen. Zufallsgruppen.
Geschrieben wird auf Tische, Schränke, Fenster.
Ich betrachte das als wildes Gekritzel, um den eigenen Gedanken Form zu geben. Aufbewahrt wird wenig – das ist mir gar nicht so wichtig. Aber diskutiert und gedacht wird viel. Sehr viel sogar.
Heute habe ich mir die Zeit genommen, eine Feedbackrunde in meiner 7 zu machen und viel Begeisterung erfahren. Einige der Kommentare sind mir im Gedächtnis geblieben:
- „Ich war jedesmal in einer anderen Gruppe und, total komisch, habe mich jedes Mal in einer anderen Rolle wiedergefunden: Mal habe ich mehr gedacht und mal mehr zugehört und geschrieben.“
- „Ich hatte von Aufgabe 2 gar keine Ahnung, aber dann hat Ewgenij [DAZ-Kind] den Stift genommen und was aufgeschrieben – und dann war es einfach!“
- „Wir haben echt lange gerätselt, aber dann hat Amna ihr Regelheft geholt – und das hat uns gerettet.“
- „Das wir auf die Fenster schreiben dürfen ist wirklich… krass!“
Es ist ehrlicherweise schon eine Weil her, dass mich (mein eigener) Unterricht so mitgerissen hat. Die Partizipation ist wahnsinnig hoch – insbesondere von Kindern, die sonst mit Mathematik eher wenig zu tun haben. Die wechselnden (!) Kleingruppen geben den Kindern immer wieder den Raum, selbst in Erscheinung zu treten – das lässt sich besonders bei den stillen und zurückhaltenden Schüler*innen sehr gut beobachten.
Und gleichzeitig ärgere ich mich maßlos über mich selbst: Wieso habe ich die letzten zehn Jahre meines Lebens dahingestümpert? Wieso habe ich so unendlich triviale Dinge nicht gekannt? Es ist zum Mäusemelken.
Auch die 9er sind voll drin. Die Hoffnung ist, durch ständig wechselnde Gruppen ein permanentes Erklärung und Präsentieren zu erzwingen.
Mit den Kolleginnen der Jahrgangsstufenteams aus 7 und 9 treffe ich mich wöchentlich, um den Unterricht zu entwickeln. Sie arbeiten in die gleiche Richtung, machen die gleichen Erfahrungen.
Ich liebe es. Und ärgere mich. Aber ich liebe es!
(Die Fotos sind von heute)
Besser spät als nie 🙂 Hätte mir auch gefallen, weil Alternative zur Frontalberieselung.
Ich bin interessiert – mit welchen Problemstellungen „fütterst“ du sie? Ich will meine 7er mehr in die Verantwortung holen, aber mir fehlt die Inspiration wie. Wie werden auf diese Art Regeln und Gesetzmäßigkeiten erforscht und wie sicherst du, dass alles richtig aufgefasst wurde?
Viele Grüße
Ich bin da auch ganz am Anfang und werde sicherlich immer wieder scheitern und gewiss auch nicht alle erreichen. Ich weiß auch noch nicht, ob die Kinder es schaffen, ihr kooperatives Wissen vom „Diskussionsmodus“ auch wirklich zu verinnerlichen.
Aktuell beginnen ich mit klassischen Problemen innerhalb des Themas, die idealerweise einen modellierenden Aspekt haben und zu Dritt gelöst werden.