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Blogparade #8: Von der Teeküche zum Schokoladenbrunnen. Heute noch Lehrkraft werden?

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, (möglichst) alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Wer sich beteiligen möchte, aber keinen Blog hat, kann gerne einen Beitrag einreichen – er wird dann als Gastbeitrag publiziert. Dies ist die achte Runde.


Vorbemerkung 2: Mit dem aktuellen Thema zur Blogparade („Warum heute noch Lehrer*in werden?“) tue ich mich unerwartet schwer – was zuweilen gut ist, weil es mich zum Neu-Denken herausfordert und frische Einsichten verspricht.
Im aktuellen Fall ist das aber nicht so: Ich tue mich schwer, weil mich der Beruf an vielen Ecken und Enden frustriert. Es fällt mir heute deutlich schwerer als noch vor zehn Jahren, die Position zu vertreten, dass dieser Beruf auch Berufung ist. Das hängt auch ein bisschen mit…

Vorbemerkung 3 zusammen: Die Hälte meiner Dienstzeit bin ich jetzt in Funktion, also Teil einer Schulleitung. Das verschiebt die Perspektive auf den Beruf sehr. Das ursprüngliche Unterrichtsgeschehen ist nur noch Teil meines Alltags – Aspekte wie „den Laden am Laufen halten“ rücken in den Vordergrund.

Der Job ist heute herausfordernder, denn je.

In der öffentlichen Wahrnehmung (und in jedem Fernsehbeitrag über Schule) steht eine fröhliche (oder erschöpfte) Lehrkraft glücklich (oder verzweifelt) vor der Tafel und erklärt Kindern etwas. Das ist ein Teil des Jobs. Neben…

  • Anträge für Integrationshelfer stellen
  • AoSF-Anträge stellen
  • AoSF-Verfahren begleiten und „mitschreiben“
  • Briefe zu allen möglichen Gelegenheiten austeilen, einsammeln, auf Vollständigkeit prüfen
  • Bücher auf Schäden kontrollieren und dokumentieren
  • Bücherverwaltung
  • Buchführung über Fehlstunden
  • Busaufsicht führen
  • Chemie-Müll entsorgen
  • Chemikalien- Inventarisierung und ggf. beschriften
  • den Schulteich pflegen
  • Diebstählen nachgehen
  • Entschuldigungen sammeln und dokumentieren
  • Erste Hilfe bei Sportunfällen, Schwächeanfällen, etc.
  • Essensmarken verteilen, Listen dafür führen
  • Experimente vorbereiten + wegräumen (bei Schüler-Experimenten x 8)
  • Gangaufsicht führen
  • Gasflaschen nachfüllen
  • Geldforderung für beschädigte Bücher ausrechnen, kommunizieren und eintreiben
  • Geräte reinige (Spülmaschine füllen, ausräumen, wegräumen)
  • Gewaltprävention betreiben
  • Glasmüll entsorgen
  • Handouts für Elternabende erstellen
  • Hefte einsammeln und korrigieren
  • Hofaufsicht führen
  • Impfpässe kontrollieren, ggf. übersetzen lassen
  • JobCenter-Bescheide kopieren, ausfüllen, einreichen
  • Klassenarbeiten korrigieren
  • Klassenbuch führen
  • Klassenfahrten planen, buchen & durchführen, mitsamt Nachtdiensten, Krankenhausfahrten, Heimwehtelefon, trösten, Geld einsammeln, Gesetze und Bestimmungen kennen
  • Klassengemeinschaft stärken: Pflanzen, Adventskalender, Süßigkeiten kaufen
  • Kommunikation mit dem Jugendamt und weiteren Fachdiensten
  • Konflikte mit Eltern klären
  • Konflikte mit Schülern klären
  • kranke Schüler mit Material versorgen
  • Kunsträume aufräumen & putzen
  • Läusezettel ausgeben, einsammeln, prüfen, schreddern
  • Lektüre- und Bücherbestellungen organisieren
  • Lernentwicklungsgespräche mit Schülern führen
  • LRS-Förderpläne & Förderpläne für Minderleistungen schreiben
  • Maßnahmen verhängen und dokumentieren
  • Mobbing-Prävention durchführen
  • Nachteilsausgleiche koordinieren
  • Ordnungsdienste einteilen und erinnern
  • Organisation und Besuch von Schülern während Berufspraktika
  • Psychosoziale Erziehungsberatung von Eltern samt Suchtprävention
  • Sammlungspflege in Biologie/Chemie/Physik/Technik/HW
  • Schülerausweise einsammeln, stempeln, austeilen
  • schulinternes Fachcurriculum entwickeln, schreiben, lektorieren, veröffentlichen
  • schulinternte Förderkonzepte zu individuellem Lernen & Binnendifferenzierung entwickeln
  • Schullaufbahnberatungsgespräche durchführen
  • Sexualkundebriefe herausgeben
  • Sprechstunden anbieten
  • Suchtpräventionsgespräche
  • technischen Support leisten
  • Teilnahme und Organisation an / von Elternsprechtagen
  • Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen
  • Teilnahme an Konferenzen, Dienstbesprechungen und Prüfungen aller Art
  • Teilnahme und Organisation an / von Schulsportfesten
  • Teilnahme an allgemeinen Schulveranstaltungen
  • Teilnahme und Aufsicht bei Berufsberatungen
  • Telefonate mit Behören/Jugendamt/JobCenter/Schulamt/anderen Schulen
  • Theaterbesuche planen und durchführen
  • unterrichten
  • Unterricht vorbereiten & differenziertes Material herstellen
  • verlorengegangene Turnbeutel/Füller/Mäppchen suchen
  • Whatsapp-Gruppen-Knatsch auflösen der in die Schule strahlt
  • Wettbewerbe organisieren und durchführen
  • Zeugnisbemerkungen schreiben

Aufgaben die mehr oder weniger Zeit beanspruchen.

In den letzten Monaten ist noch das Thema „Künstliche Intelligenz“ auf den Zug der Aufgaben gesprungen.
Schüler*innen erstellen mittlerweile binnen Sekunden perfekte Präsentationen, liefern makellose Aufsätze ab und lassen sich von chatGPT jedes Aufgabenblatt lösen. Sie ‚cheaten‘ an allen Ecken und Enden und Schule muss darauf schnell eine Antwort finden.

Der Job erfordert eine maximale Flexibilität. Denn was da oben nur mit der Zeile „unterrichten“ kurz und knapp aufgeführt wird, beinhaltet eine hochkomplexe Anforderung an einen Menschen. Wer einmal Kindergeburstag organisisert hat, gewinnt eine Ahnung davon, wie es ist, nachmittags vor 28 desinteressierten Kindern zu stehen und sie davon zu überzeugen, dass das Hebelgesetz nun wirklich spannend und lebensnotwendig sei.

Ach ja: Weil in einem Kollegium, umgeben von hunderten Kindern mit Rotznasen, stets 15-20% aller Lehrkräfte krankheitsbedingt ausfallen, ist Mangelwirtschaft der Normalfall. Allenthalben müssen Lücken gestopft werden.

Der Job ist (je nach Schulstandort) tough und ich tue mich (mittlerweile) sehr schwer, Menschen zu empfehlen, diesen Beruf zu ergreifen. Man muss schon wissen, worauf man sich einlässt.

Von der Teeküche zum Schokoladenbrunnen

Blogparade #8: Von der Teeküche zum Schokoladenbrunnen. Heute noch Lehrkraft werden? 1Vor drei Wochen hat mir meine siebte Klasse morgens einen Vorschlag unterbreitet: Sie wollten gerne eine kleine Teeküche im Klassenzimmer einrichten. Jeder würde 1 € mitbringen, dazu Tee und eine Tasse von zu Hause.

Wir besprachen das Thema in unserem morgendlichen Beratungsband (ich liebe, liebe, liebe unsere Beratungsstunden). Wir sprachen über die Gefahren eines Wasserkochers; darüber, wie man verhindert, den Lehrern auf den Zeiger zu gehen (schmatzen, ständig aufstehen, erst Tee trinken, dann pinkeln gehen, etc.). Die Lernatmosphäre ich für mich die Basis jedes gelingenden Lernens: Am Liebsten hätte ich auch Sitzsäcke, Bilderrahmen und jede Menge Lernorte im Klassenraum.
Der Euro war schnell eingesammelt und den Wasserkocher habe ich besorgt. Das Lehrerpult, welches einsam (und in meiner kreisförmigen Sitzordnung ungenutzt) unter der Tafel versauert, biegt sich inzwischen unter den Teespezialitäten, die die Kinder mitbringen.

Morgens, wenn wir jetzt die Tagesschau in 100 Sekunden gucken, wabert nun der aromatische Geruch einer Teestube durch meinen Klassenraum. Alles fühlt sich noch etwas wohnlicher an. Es liegt kein Müll herum. Es wird nicht genervt. Kein Unsinn getrieben. Es ist nur schön.

„Herr Klinge“, grinst mich eine Schülerin über ihrer Teetasse an, „wenn das gut läuft hier… Dann gibt’s ab der 8. Klasse einen Schokoladenbrunnen.“

Oscar-Verleihung

Freitag war der WDR bei uns im Haus und hat unsere Oscar-Verleihung begleitet. Ein schöner Fernsehbeitrag ist daraus geworden, der hier zu sehen ist. Auf der Bühne standen Kinder, mit Tränen in den Augen und kopfschüttelnd vor Freude. Prämiert wurden, wie auch in den letzten Jahren, die leistungsstärksten Kinder und jene, die den größten Sprung nach vorne gemacht haben oder deren Entwicklung wir würdigen wollten.

Abends wurde in der Schule kollegiumsintern ein Oktoberfest gefeiert. Laut und gut gelaunt.

Team-Sitzungen

Zweimal pro Woche sitze ich mit Kolleg*innen des Jahrgangs zusammen und wir planen gemeinsam unseren Mathematik Unterricht. Die Stimmung ist gelöst, produktiv und ungemein zielführend. Jeder von uns hat Lust, jeder erlebt die Sitzungen als Entlastung.

Heute Nachmittag habe ich mit einer Handvoll engagierter Lehrkräfte zusammengesessen, um unseren Tag der offenen Tür im November zu planen. Alles Leute, die Freude am Beruf haben, die unsere Teamstrukturen wertschätzen und genießen.

Fazit

Teeküche. Oscarverleihung. Teamarbeit.
Dieser Beruf ist unendlich herausfordernd. Er ist nicht, wie er vor zehn Jahren war. Und er wird in zehn Jahren wieder anders sein. Wer sich darauf einlässt, benötigt die persönliche Charakterstärke, vor pubertierenden Kindern bestehen zu können. Braucht die Flexibilität, mit immer neuen Aufgaben und Herausforderungen umgehen zu können.

Aber man wird (neben Gehalt, Beihilfe und Ferien) mit einer unglaublichen Beziehungstiefe entlohnt: Mit Teams, die gemeinsam Projekte entwickeln und verfolgen. Mit dem Geschenk, Kinder beim Aufwachsen begleiten zu dürfen.

Ich habe bei bluesky gefragt, wer aus meiner Bildungsblase sich vorstellen könne, auch nach dem Erreichen der Pensionsgrenze weiterzuarbeiten.

Der allergrößte Teil sagt: „Ja, klar.“

Denn am Ende hält einen die Arbeit mit Kindern nicht nur jung und geistig fit – sie macht auch wirklich, wirklich großen Spaß. Und darum sollte man auch heute noch Lehrkraft werden.

 


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7 Gedanken zu „Blogparade #8: Von der Teeküche zum Schokoladenbrunnen. Heute noch Lehrkraft werden?“

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  4. Sehr treffend beschrieben. Ich finde es ein bisschen traurig, wie du mittlerweile doch ganz anders vom Beruf schreibst wie noch vor ein paar Jahren. Da sprühte aus jedem Beitrag noch die Begeisterung raus. Aber mit Schulleitung gewinnt man doch bestimmt eine ganz andere Perspektive auf die Schule. Der Laden wird halt auf einmal irgendwie „mein Laden“. Und damit kommt das ganze Drumrum dazu, von denen der Normalsterbliche keine Ahnung hat.
    Kopf hoch! Halt durch!

    1. Ja, das ist mir an mir selbst auch aufgefallen. Die Verantwortung lässt sich mit der (positiv formuliert) kindlichen Naivität, einfach Projekte zu starten, nicht mehr so leicht vereinbaren.

  5. Pingback: Blogparade #8 – Warum sollte man Lehrkraft werden? – K(n)öpfchenkunde

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