Gestern Abend habe ich mich mit Kolleg*innen in einer Videokonferenz über die Ansätze und Ideen des Buches „Das denkende Klassenzimmer“ ausgetauscht. Das war ganz wunderbar und ich merke stets, wie sehr ich davon profitiere mich mit anderen Menschen auszutauschen und Neues zu lernen. Ganz besonders, wenn es auch noch Kolleg*innen anderer Schulformen und Bundesländer sind.
In dem Zusammenhang haben wir uns darüber ausgetauscht, was denn sinnvolle Heftaufschriebe während des Unterrichts sind. Ich denke zurück an mein Studium, als der Professor 90 Minuten lang das Skript an die Tafel geschrieben hat und hundert Studenten stumpf Zeile für Zeile in ihre Hefte übertragen haben. Was für eine entsetzliche Zeitverschwendung das war.
Außerdem habe ich erzählt, dass ich daran verzweifle, das viele meiner Schüler chatGPT zwar zum ‚cheaten‘ nutzen, aber nicht als persönlichen Tutor für ihren eigenen Lernfortschritt. Im Lernbüro werde ich mit unspezifischen Fragen konfrontiert („Ich verstehe gar nichts!“) oder solchen, die eine KI innerhalb von einer Minute beantworten könnte. Das Problem: Viele Kinder wissen weder, was sie nicht wissen noch, was sie lernen sollen.
Sie wissen vor allem: „Das ist die Aufgabe vom Lehrer. ChatGPT, löse mir das.“
Wenn ich mich heute nochmal in eine Vorlesung mit unbekanntem Inhalt setzen würde, dann würde ich mir nur noch Fragen aufschreiben:
- Wofür genau sind Chromosomen da?
- Was ist der Zusammenhang von Beschleunigung und Zeit?
- Was sind Faszien?
Solche Dinge. Und hinterher würde ich eine KI ausfragen und nach Erklärungen suchen. Je länger ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass intelligentes fragen letztlich auch ein Weg zu mehr Partizipation im Unterricht bedeutet.
Um Fragen zu stellen, muss ich über den Unterrichtsinhalt nachgedacht haben. Und wenn ich weiß, was ich nicht weiß, kann ich mich auch ganz konkret um Antworten bemühen und stochere nicht „blind“ im Nebel.
Gesagt, getan:
Schon, wenn wir die Tagesschau in 100 Sekunden geguckt haben, war die Aufgabe, zu wenigstens einem Beitrag eine Frage zu stellen – einen Begriff oder Namen oder Sachzusammenhang, den man nicht versteht. Und darüber haben wir dann gesprochen.
Heute haben wir die Tagesschau in 100 Sekunden jedoch zur Seite geschoben und nach einer kurzen Murmelphase hat jedes Kind meiner Klasse zu einem beliebigen Fach eine Frage stellen müssen.
Ich habe dann alle Fragen reihum tabellarisch an die Wand projiziert. Manche Fragen waren wirklich gut und entsprangen aus dem Unterricht „(NW | Was ist UV Strahlung?“), manche Fragen waren gut, hatten aber nichts mit dem Unterricht zu tun („Informatik | Was kann man alles mit Excel machen?“) und manche Fragen waren blöd, weil der Fragende die Antwort selbst kannte und einfach nur eine Frage gestellt hat, weil das die Aufgabe war („Mathe | Wie addiert man zwei Brüche“).
Fragen stellen will gelernt sein.
Ich habe mir vorgenommen, diesen Ansatz weiterzuverfolgen. Antworten gebe ich keine – ich will die Kinder nicht belehren, sondern ihnen beibringen, immer wieder in Fragen zu denken. Wer die richtigen Fragen formulieren kann, kann sein eigenes Lernen strukturieren. Kann später in freien Phasen auf jene Fragen zurückgreifen und sich beschäftigen.
Aber, naja, ich bin alt und altklug. Heute würde ich natürlich alles besser machen. Aber damals?
Auch eine gute Frage!
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