In den kommenden Wochen steht bei uns eine spannende Entscheidungsfindung an, was die Zukunft unseres Mathematikunterrichts in den höheren Jahrgangsstufen angeht.
Für jene, die nicht ganz im Thema sind, eine kurze Randbemerkung zum Konzept „Gesamtschule“ wie es in NRW praktiziert wird: Während eine Klasse Sport, Geschichte und Reli etc. gemeinsam hat, werden in einigen Fächern (u.a. Deutsch, Mathe, Englisch) Kurse in unterschiedlichen Niveaustufen gebildet: Wer gut ist, kommt in den E-Kurs, wer nicht so gut ist in den G-Kurs.
Der Schulabschluss ergibt sich am Ende aus der Zahl der E-Kurse: Je mehr, desto besser.
Diese Differenzierung kann äußerlich stattfinden: Der Grundkurs geht in Raum A01, der Erweiterungskurs in A02.
Die Differenzierung kann aber auch als Binnendifferenzierung umgesetzt werden: Die Klasse bleibt zusammen und die Lehrkraft unterrichtet beide Kurse gleichzeitig mit vorbereitetem, differenziertem Material.
Ich habe beides schon erlebt:
Eine früher (oder späte) äußere Differenzierung erzeugt einen homogenen Erweiterungskurs mit Kindern, deren erklärtes Ziel (oft) die Oberstufe ist, und das macht richtig Laune. Da sitzen Kinder, denen ich nicht erst erklären muss, was lernen ist.
Das genaue Gegenteil entsteht aber leicht in einem Grundkurs: Wenn 25 Kinder zusammensitzen, von denen ein signifikanter Teil dort aus Gründen wie Unlust, Faulheit, Desinteresse sitzt, dann ergibt das eine gefährliche Mischung: Es entsteht im schlimmsten Fall eine Verwahrgruppe. Das macht letztlich weder den Kindern noch den Lehrkräften Spaß.
Aktuell werden die Klassen bei uns in Mathematik binnendifferenziert, d.h. ich habe in meiner 9. Klasse sowohl Grundkurs als auch Erweiterungskurs in einer bunten Mischung zusammensitzen. In den kommenden Wochen findet Fachkonferenz und Schulkonferenz statt und beschäftigt sich mit der Zukunft dieser Entscheidung: Wie soll es weitergehen?
Ich habe zunächst die Klasse gefragt.
Deren erster Impuls war, außereinanderzugehen. Insbesondere die Jugendlichen aus dem Grundkurs empfinden die permanente Überforderung durch den Unterricht als anstregend. Die Themen überschneiden sich weitgehend und ich binde auch die Leistungsschwächeren immer wieder aktiv ins Geschehen ein. Das nervt.
Erst beim zweiten Gedanken wurden sie zögerlich: Mit wem sitzt man denn da womöglich zusammen? Und welche Auswirkungen hat das auf mich? Und: Welcher Lehrer unterrichtet diesen Kurs dann womöglich?
Mit dem dritten Gedanken wendet sich das Blatt: Man möchte doch lieber zusammenbleiben. Das sei zwar anstrengend, aber das Miteinander in der Klasse funktioniere und man wisse ja jetzt auch, was ich so wolle.
Einmal in der Woche treffen wir uns als Jahrgangsteam und vergangene Woche haben auch wir diskutiert: Was wollen wir denn eigentlich, wenn es nächstes Jahr in die 10. Klasse geht? Zusammenbleiben? Oder trennen?
In solchen Diskussionen mühe ich mich um Zurückhaltung: Ich kann mich von der Rolle der Schulleitung nicht ganz trennen. Was ich denke und sage wird anders wahrgenommen.
Ich selbst grüble schon eine ganze Weile darüber und bin zuletzt zu einer recht eindeutigen Antwort gelangt:
Die Gesamt-Entwicklung in dem Kurs ist positiv. Insbesondere der Grundkurs profitiert extrem davon, sich ständig strecken zu müssen. Die Methode, viel mit Zufallsgruppen und Denkaufgaben zu arbeiten, sorgt dafür, dass alle Schüler*innen immer wieder lernen zu erklären, nachzufragen, mitzudenken.
Nach vielen Jahren, davon bin ich überzeugt, geht es für viele Kinder in der Schule weniger um Fördermöglichkeiten und differenzierendes Material: Es geht auch darum, gefordert zu werden. Sich anstrengen zu müssen. Und davon profitieren die Schwächeren viel, viel mehr, als wenn man sie in einen großen Kurs steckte.
Eine äußere Differenzierung erleichtert der Lehrkraft allerdings das Arbeiten: Ein homogener Kurs macht weniger Arbeit, als eine heterogene Lerngruppe.
Am Ende geht es, spitz formuliert, also um die Frage:
Geht es darum, was für die Lehrer das Beste ist? Oder darum, was für die Kinder das Beste ist?
Richtige Gedanken, die vor allem die leistungsschwächeren Kinder in den Vordergrund heben. Was ist aber mit den Leistungsstärkeren?
Sie werden evtl. immer wieder in ihrer Leistung ausgebremst, könnten sich bei äußerlicher Differenzierung voll fokussieren und schneller weiterentwickeln. In unserer Schule sind diese Kinder in der Minderheit.
Viele unserer Schützlinge kämpfen mit Deutsch als Zweitsprache, kommen aus bildungsfernen Haushalten, in denen Schule, Bildung, Hausaufgaben nicht wichtig sind und wenig Beachtung finden/ gefördert werden. Ich erlebe es, dass gerade in den getrennt unterrichteten E/A-Kursen die Leistungsbereitschaft wächst. Die Kinder erleben es als „Ruheoase“, wo sie ungestört lernen können. In den Grundkursen können sich die Kinder nicht mehr hinter den Leistungsstärkeren verstecken, sind vielleicht gezwungen nun selbst mitzudenken. In den binnendifferenzierten Kursen, schalten die meisten Leistungsstarken nicht nur einen Gang zurück. „Warum soll ich mich mit schwereren Aufgaben beschäftigen, wenn andere auch mit den leichteren durch die Stunde kommen“, ist nur eine Aussage, die dann zu hören ist. Abgesehen davon, dass Unterrichtsstörungen es manchmal garnicht zulassen, sich um die Leistungsstärkeren zu kümmern. Ich habe Angst, sie über ihre Schulzeit hinweg irgendwann in der Masse zu verlieren.
Ich freue mich, dass es bei euch anders zu sein scheint, dass der Trend positiv aussieht. Für unsere Schule würde ich zu 100% für die äußere Differenzierung plädieren, einfach um zu versuchen, auch den Leistungsstärkeren vielleicht gerechter werden zu können. Man kann auch in getrennt unterrichteten Kursen die Leistungsschwächeren mit Denkaufgaben herausfordern.
„Eine äußere Differenzierung erleichtert der Lehrkraft das Arbeiten, ja bestimmt“, manchem Kind vielleicht auch. 🙂
Danke für diese Sichtweise!
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