Ich bin sehr sportlich ins Jahr gestartet – jeden Tag Kraftsport und Laufband. Bis mich die Grippe niedergelegt hat. Eine Woche ging gar nichts und obwohl ich seit zwei Wochen wieder voll diensttauglich bin, merke ich doch, dass da überall noch Kraft fehlt. Eine Weile habe ich versucht, morgens angeleitet zu meditieren – aber irgendwie gibt mir das nichts. Es heißt, dass man 100 Tage braucht, um sich eine neue Routine anzugewöhnen – aber dafür bin ich definitiv zu ungeduldig.
In den vergangenen Wochen habe ich hier und da in meinem Leben aufgeräumt. Ich bilde mir ein, schon immer recht rigoros Prioritäten gesetzt zu haben: Jedes Ja zu einer Sache impliziert auch ein Nein zu einer anderen Sache. [Die (zu) vielen Beerdigungen meines Lebens sind mir da Mahnung und Antrieb zugleich.]
Vom bloggen brauchte ich eine Pause. Musste mir selbst neu klar werden, wozu und für wen ich schreibe. Und wozu nicht.
Ich merke, dass mir ‚unterrichten‘ große Freude bedeutet. Meine Co hat heute mit unserer Klasse ein „Lehrer-Bingo“ erstellt und ich schäme mich für keine der Floskeln, die die Kinder mit mir verbinden (u.a. „Hallo Lieblingsklasse!“ „Da geht noch mehr!“). Heute habe ich einer Schülerin meiner Klasse zum Geburtstag gratuliert und kommentiert, dass sie dann ja hoffentlich gut auf den Chemie-Test vorbereitet sei, denn wir gleich schreiben würden. Woraufhin sie nur die Augen verdrehte und „Ja, ja, klar“ brummte. Meine eigene Klasse nimmt mich kein Stück mehr ernst und ich liebe es sehr.
Ich bin Beziehungslehrer.
Meine bescheidene, politische Arbeit innerhalb der Kommunalpolitik bereitet mir Freude – im Gegensatz zur großen Bundes- und Weltpolitik. Ich konsumiere seit Wochen keine Nachrichten mehr – die Gründe sind wohl offensichtlich. Ich habe gemerkt, dass mir das nicht gut tut.
Auch aus der vernetzten Lehrerwelt habe ich mich zuletzt ein wenig zurückgezogen.
Gefühlt sind wir (Community-Lehrkräfte) alle immer irgendwie auf der Suche nach dem heiligen Gral der Pädagogik: Welche Methode, welche Didaktik, welche Regeln und welche Geräte sind ausnahmslos und ganz grundsätzlich geeignet?
Dazu folgende Anekdote:
„Holt man einen Arzt aus dem Jahr 1925 ins Heute, kann der nicht mehr praktizieren. Zu viel hat sich geändert. Gleiches gilt für einen Elektriker oder Anwalt. Aaaaaber: Holt man einen Lehrer aus der Zeit, kann der einfach heute weitermachen.“
Nach längerem Überlegen gehört das für mich zu den Weisheiten, die zunächst schlüssig klingen, aber bei längerem Nachdenken ein Geschmäckle hinterlassen. Denn ist das wirklich so?
Mein Großvater war Lehrer. Schulleiter sogar. Aus der guten, alten Zeit, als man im Dorf noch gegrüßt und an der Kasse vorgelassen wurde. Aber wenn der heute vor eine Klasse träte, könnte der ganz sicher nicht einfach so weitermachen:
„Hier ist das elektronische Klassenbuch. Anträge für Reisekosten findest du dort. Videokonferenzen einmal im Monat mit dem Jahrgangsstufen-Team. AOSF-Verfahren müssen rechtzeitig in die Wege geleitet werden. Denk daran, wer aus deiner Klasse zum LRS-Kurs muss und wer DAZ-Förderung braucht. Außerdem brauchen die Beratung bzgl. WP1 und der neuen Prüfungsordnung. Arbeitsmaterialien bitte dreifach differenziert. Und was denkst du über die Einführung von iPads ab Klasse 7?“
Ich schrieb einmal über den Ministerialerlass aus dem Jahr 1900 (klick): Stockschläge gab es da für „Unaufmerksamkeit in der Rechenstunde“. Wirklich? Einfach so weitermachen wie damals? Ich bezweifle es.
Schule ist so unendlich different, dass die Grenzen zwischen passend und unpassend immer weiter verschwimmen. Ich kenne Schulen mit Handyverbot und solche, die alles offen lassen. Beides kann funktionieren. Und beides kann schiefgehen. Sogar an der gleichen Schule – abhängig von der Aufsichtsperson. Was ist jetzt gut? Was ist schlecht? It depends!
Ich glaube, deswegen habe ich mich auch aus der Fortbildungs- und Beratungsschiene zurückgezogen: In mir ist zuletzt eine gewisse Müdigkeit eingetreten, wenn ich an einen „Wettbewerb der Methoden/Didaktiken/Geräte“ denke. Ob Heft oder iPads oder BYOD – je mehr Erfahrung ich (inzwischen mit allen Varianten) sammle, umso weniger scheint es eine Rolle zu spielen.
Stattdessen lande ich – Hattie lässt grüßen – fast ausschließlich bei der Lehrkraft: Hier braucht es nicht nur viel Fortbildung, sondern auch (und vor allem!) Bereitschaft und Willen, sich fortbilden zu lassen. Als Lehrerpersönlichkeit zu wachsen. Körpersprache. Auftreten. Methoden. Beziehungspflege. Deeksalierende Gesprächsführung. Feedback einholen.
Aber wer weiß – vielleicht sehe ich das in zehn Jahren auch anders.
Vielen Dank, dass du deinen Blog doch wieder reaktiviert hast. Deine Sicht auf Schule, deine Haltung(en) und Ideen waren mir seit Jahren ein wichtiges Vorbild.
Vielen Dank für die freundlichen Worte 🙂
>Hier ist das elektronische Klassenbuch. Anträge für Reisekosten findest du dort. Videokonferenzen einmal im Monat mit dem Jahrgangsstufen-Team. AOSF-Verfahren müssen rechtzeitig in die Wege geleitet werden. Denk daran, wer aus deiner Klasse zum LRS-Kurs muss und wer DAZ-Förderung braucht. Außerdem brauchen die Beratung bzgl. WP1 und der neuen Prüfungsordnung. Arbeitsmaterialien bitte dreifach differenziert. Und was denkst du über die Einführung von iPads ab Klasse 7?
Ja, vielleicht stimmt es, dass man als Lehrer von 1900 heute nicht einfach einsteigen könnte. Aber erstens muss das ja, anders als bei der Medizin, nicht die positive Entwicklung sein, die durch diese Analogie nahegelegt wird. Und zweitens bin ich mir nicht sicher, ob das in zeiten des Lehrkräftemangelds überhaupt so ganz stimmt, zumindest gibt es schul- und schulart- und landesspezifische Unterschiede insofern, als man teilweise überraschend weit kommt, wenn man viele der Punkte einfach ignoriert. Der Unterricht kann dennoch ein Gewinn für die Klasse sein. Zur Belastung des System uns des Kollegiums führt das auf jeden Fall, klar, aber viel mehr als das Kommunikationsportal nutzen muss man nicht, und das kann man schnell lernen. Ich kann mir durchaus eine Lehrkraft vorstellen, die vor allem deine Aufgaben im letzten Absatz ernst nimmt, die sich tatsächlich nicht so sehr verändert haben in den letzten zweihundert Jahren wie die digitalen Skills in dem vorher zitierten Absatz.
Aber stimmt natürlich schon.
Aber trifft das – so vereinfacht – nicht auf die allermeisten Berufe zu? Pastorin, Zimmermann, Maurer, Anwältin, Bäcker, Uhrmacher – überall habe sich die Vorschriften geändert und die Technik ist was komplizierter – aber davon ab tun die immer noch das gleiche.
Es ist aber auch nicht nur das Digitale; auch fachlich hätte ein Lehrer aus dieser Zeit doch einige Schwierigkeiten. In Mathe mag es noch am ehesten gehen, weil der heutige Schulstoff damals schon bekannt war. Aber ein Geschichtslehrer, der nichts über den Nationalsozialismus weiß… ein Politiklehrer, der kaum Zeit in einer Demokratie verbracht hat, ein Biologielehrer, der von moderner Genetik keine Ahnung hat. Wissen über Klimawandel wäre nicht schlecht. Da gäbe es schon einige Baustellen.
Herzlich willkommen zurück auch von mir!
Ja, schon. Ich denke, die Technik ist die Haupthürde. Beim Lehren spielt die eine gewisse Rolle, bei Automechanikern eine viel größere. Beim Lehren an einer Schule kann man ein oder zwei Ausnahmen auch verkraften (weil wir ein Team sind oder weil wir es nicht sind?), in anderen Zweigen wird das schwieriger.
Ich freu mich so, dass du wieder da bist!
Wollte ich nur mal loswerden!
Danke! Die Pause war aber dringend nötig.
Ich kann mich den anderen nur anschließen: Es ist eine Freude, dass du wieder bloggst.
Vielen Dank 🙂