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#21 Babys und Mathematik

Wir haben uns schon eine ganze Weile mit der Bibel befasst. Mit Fischen und Fluten, Vätern und Stämmen und Geschichten und Entwicklungen. Mit manchen Texten seid ihr womöglich einverstanden, andere wiederum schienen euch abstrus – aber das macht nichts. Wir sind ja hier, um uns Gedanken zu machen, vielleicht etwas neues zu lernen und dazu gehört sicher auch mancher Widerspruch.
Wir sprachen zuletzt darüber, wie viele Erfahrungen wir machen und daraus entstand die Frage…

Und was ist dann das besondere an der Bibel? Was macht sie so besonders, so einzigartig? (Warum ist sie überhaupt nötig?)

Gute Fragen.

Lasst uns mit etwas offensichtlichem Anfangen, damit wir einen gemeinsamen Nenner finden:

Wir sind Menschen.

Klar – aber nicht der schlechteste Ausganspunkt, wenn man über “das Wort Gottes” diskutiert. Wir haben all diese Erfahrungen und Gefühle in uns, Wünsche und Kämpfe und Liebe und Hass und Rache und Sehnsucht – all dies sind die grundlegenden Realitäten unserer Existenz. Seit tausenden von Jahren haben die Menschen in verschiedenen Sprachen diese Wirklichkeiten beschrieben und dargelegt, wie sie uns bewegen und formen: Durch Symbole, Metaphern, Geschichten, Bilder.
Eine unstillbare Sehnsucht, die Rivalität unter Geschwistern, die Suche nach einem Schatz, die Rückkehr nach Hause – solche Geschichten wurden erzählt und wiedererzählt, seit die Menschen in der Lage sind, überhaupt etwas zu erzählen. Durch sie geben wir Ereignissen einen Sinn, durch sie sortieren wir Erlebnisse in Gutes und Schlechtes.
Nehmen wir die Wendung “er trägt die Last der Welt auf seinen Schultern”. Tut er das wirklich? Wie viel wiegt die Welt? Woher weiß man, wann man die ganze Welt trägt? Und worauf steht man, wenn man sie auf den Schultern liegen hat?
Ich führe das so kleinkariert aus, weil diese Wendung über die Last der Welt wahr ist, wenn auch nicht wörtlich.

Es ist mehr als wortwörtlich wahr.

Wir fühlen uns manchmal so. Und wir benutzen diesen Satz, weil er genau ausdrückt, wie es uns geht.

Vor wenigen Tagen bekamen wir unser zweites Kind und es fühlte sich an, als würde das ganze Leben von vorne beginnen. Alles, was wir mit der Großen erlebt hatten, würde sich noch einmal wiederholen.

Beginnt das Leben von vorne? Natürlich nicht – es schreitet voran. Und doch startet es ganz von vorn.

Aus diesem Grund brauchen wir Poesie, Geschichten, Bilder, Gedichte, Metaphern und Redewendungen. Durch sie drücken wir Wahrheiten aus, die wir nicht durch mehr Fakten belegen können. Eine Art poetische Wahrheit.
(Übrigens – ist euch mal aufgefallen, wie viele Leute nicht in die Kirche gehen, weil es sich wie eine große Show anfühlt, aber dann gehen sie auf ein Konzert oder in ein Fußballstadion und (obwohl sie die meiste Zeit keine Ahnung haben, wovon da vorne gesungen wird) plötzlich fühlt man eine Resonanz, eine Schwingung, eine Verbundenheit zu den anderen? Obwohl es nur ein Konzert ist, ist es mehr als das.)

Poetische Wahrheit.

So haben wir unsere subjektiven Wahrnehmungen festgehalten.

Aber dann ist etwas passiert. (Ihr wisst, was jetzt kommt, oder?)

Mathematik.

Die Griechen (und einige Nachbarn) begannen, sich über Mathematik zu unterhalten. Zahlen, Präzision, Formeln, Geometrie. (Natürlich vereinfache ich hier – aber es gab einen Moment, indem das mathematische Wissen darüber, wie die Dinge sind, explodierte) Es entstand so etwas wie…

Mathematische Wahrheit. Diese Evolution, Entwicklung oder Fortschritt (oder wie immer wir das nennen wollen) war ein gewaltiger Schritt in der menschlichen Geschichte. Die moderne Welt mit all den Apparaten und Maschinen basiert darauf. Alles.

Bis zu einem gewissen Punkt.

Denn als mein Baby geboren wurde, schrieb ich meiner Familie zunächst über ihre Größe und ihr Gewicht und die Uhrzeit – aber dann darüber, wie es uns ging und wie es sich anfühlte, als würde mein ganzes Leben noch einmal von vorne beginnen. Ich wechselte die Sprache.

Metaphern. Symbole. Redenwendungen.

Ich begann mit mathematischer Wahrheit aber bin zur poetischen gewechselt.

Wie kommt das?

Die mathematische Wahrheit ist begrenzt.

Es gibt Dinge, die tiefer, weiter, größer als wir sind. Und wir brauchen Ruhe und Zeit, um sie zu erfassen. Der Moment, wenn ich meine kleine Tochter im Arm halte. Zu sehen, wie meine große Tochter mit dem Fahrrad zur Schule fährt. (Vor kurzem sah ich dieses Video auf der Seite “I fucking love science”, das sich wissenschaftlich damit auseinandersetzte, was schmerzhafter sei: Die Geburt eines Kinder für die Frau oder ein Tritt in die Weichteile für den Mann. Es begann mit mathematischer Wahrheit – und endete in blumiger, poetischer Sprache.)

Manche Dinge lassen sich nicht mathematisch ausdrücken (was vielleicht auch der Grund ist, warum wir mehr Musik als je zuvor hören. Und mehr Serien als je zuvor schauen. Episch ausgebreitete Filme aus anderen Orten und Zeiten – aber mit den gleichen Geschichten. Obwohl die mathematische Wahrheit unsere Kultur dominiert und nahezu jeden Bereich durchdrungen hat, blitzt die poetische Wahrheit hier und da mal auf.

Was tun nun fromme Christen, die in einer mathematischen Kultur aufwachsen?

Etwas durchaus tragisches.

Sie versuchen die Bibel mit mathematischer Klarheit zu legitimieren (was vielleicht ein Grund ist, warum so viele Menschen die Bibel als verstörend und.. naja.. langweilig empfinden).
So etwas begegnet uns bei Fragen darüber, ob der Teufel eine echte Person ist oder nicht, ob man der Bibel in Bezug auf das Ende der Welt vertrauen kann, ob Jona wirklich von einem Fisch verschluckt wurde (wir sprachen darüber) und ob oder ob nicht Ananias und Saphira wirklich von Gott wegen Lügens niedergestreckt wurden.

An diesen Fragen ist grundsätzlich nichts falsch – aber der Rahmen, in dem sie gestellt werden, ist von Bedeutung. Geht es um Fakten? Um Präzision? Mathematische Wahrheit?

An dieser Stelle stehen wir heute.

Auf der einen Seite sitzen aufgeklärte, wissenschaftsbegeisterte Europäer, die das neueste Buch von Richard Dawkins im Regal stehen haben und sich darüber aufregen, dass dieses Hirngespinst “Religion” immer noch in den Köpfen der Menschen spukt. Die sich fragen, was sie mit einem so alten Buch wie der Bibel anfangen sollen und die alle möglichen Fragen stellen.

Und auf der anderen Seite steht das religiöse Volk, dass kreationistische Museen baut, die Kinder nicht in die Schule lässt und vor dem Supermarkt den Menschen zu beweisen versucht, wieso die Bibel in Genesis 1 doch recht hat.

Was uns zum entscheidenden Punkt bringt: Die Bibel ist zuallererst eine Bibliothek von Büchern über Poetische Wahrheit. Sie dreht sich um tiefere Wahrheiten, um Zweifel und Schmerz und Glück und Schönheit und alles, mit dem wir jeden Tag zu kämpfen haben.

Ich habe keine Ahnung, ob ein Fisch Jona verschluckt hat oder nicht. Aber darum geht es in der Geschichte auch nicht.

Ich weiß nicht, ob irgendein Typ irgendwo eine Arche gebaut hat. Aber deshalb wurde die Geschichte auch nicht erzählt.

Wen heiratete Adam und Evas Sohn, wenn es doch sonst niemanden auf der Welt gab? Kein Schimmer – niemand weiß das, denn es ist kein Ereignisprotokoll.

Die Autoren der Bibel hatten andere Dinge, größere Dinge im Sinn. Er ging ihnen um poetische Wahrheiten. Um die tiefsten Sehnsüchte und Wünsche und Fragen und Hoffnungen in einer Welt, in der manche Menschen schon mit 30 an Krebs sterben, während andere im Krankenhaus ihre neugeborene Tochter im Arm halten und sich fühlen,

als

würde

das

Leben

neu

starten.

Hui. Da liegt noch ein wenig Arbeit vor uns.
Morgen schon was vor?

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