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#31: Kurt Cobain und die Offenbarung

A mulatto,
an albino,
a mosquito,
my libido
Yay!

Kurt Cobain

Bei unserer Reihe über die Bibel haben wir ein Buch bisher ausgelassen, obwohl es für viele Menschen (und Filme?) als ganz zentrales Element erscheint – und Fragen aufwirft. Viele Fragen.

Die Offenbarung des Johannes.

Heute also ein paar Gedanken über das Ende der Welt.

Zunächst, zwei Worte: Zukunft und Gewalt.

Zukunft.

Für einige Menschen ist der Hauptgrund, die Offenbarung zu lesen, der, dass sie von der Zukunft spricht. Von Dingen, die noch nicht geschehen sind. (Was vielleicht auch ein Grund ist, weshalb ich einmal bei einer Handleserin war.
Daraus entstehen dann viele Fragen über das Ende der Welt, welches Land die größte Bedrohung für das eigene Land darstellt und natürlich: Leben wir gerade in den letzten Tagen? (Oder wie Christen es ausdrücken: Ist die Endzeit angebrochen?)

An dieser Stelle ist ein kleiner Blick über den Tellerrand (und ins Kino) hilfreich: In den vergangenen Jahren sind unfassbar viele Filme gedreht worden, die sich mit dem Ende der Welt beschäftigen – und nicht von religiösen Leuten. Offenbar ist die Frage nach dem Ende eine, die sich viele Menschen stellen.

Nun, lasst uns noch einen Schritt zurücktreten. Einen noch weiteren Blickwinkel gewinnen. Und ein paar Fragen stellen.

Wir wollen uns vorstellen, dass ein Freund von uns in Syrien lebt. In einem Dorf, das direkt neben einem Ort liegt, der von den IS-Milizen überrannt wurde.

Was für eine Art Mail würden wir unserem Freund schreiben? Würden wir ihm von Dingen erzählen, die womöglich in tausenden von Jahren geschehen mögen?

Macht es überhaupt Sinn, dass das letzte Buch in der Bibel (geschrieben an Menschen die in einer vergleichbaren Situation lebten), von einer Zukunft in tausenden Jahren spricht?

Und – noch ein Stück weiter gedacht: Was, wenn wir eine Antwort erhielten? Was, wenn die Offenbarung uns auf magische Weise mitteilen würde, dass die Welt in 13 Monaten unterginge. Würde das etwas ändern?

Würden wir anders leben?

Wenn die Antwort „ja“ lautet („ich würde meine Träume verwirklichen“ „ich würde intensiver leben“), wirft das natürlich die Frage auf, was uns davon abhält, schon heute so zu leben.

Wenn wir tatsächlich Informationen über das Ende der Welt (und das Erwachen von Godzilla) in die Finger bekämen, welchen Unterschied würde das in unserem Leben machen?

Wissen wir nicht eigentlich schon alles, was nötig ist, um ein glückliches Leben zu führen?

Gewalt.

Ein Aspekt, der oft genannt wird (und der sich in pseudo-christlichen Endzeitromanen widerspiegelt), wenn es um die Offenbarung des Johannes geht, ist die schier absurde Gewalt. Ströme von Blut. Wehklagen.
Wir sind ein bisschen überrascht, eher schockiert aber vor allem angewidert. „Cooler Plan, Gott.“

Aber dann sitze ich mit meiner Tochter im Kino und wir schauen uns den Hobbit 3 an und all die abgeschlagenen Arme und Beine sind nicht eklig, sondern aufregend. Wir können das Erscheinen der DVD gar nicht erwarten.

Ist es nicht skurril, wie oft Menschen von Dingen in der Bibel angewidert sind und gleichzeitig Geld dafür ausgeben, mit den gleichen Inhalten im Alltag amüsiert zu werden?

Okay – zurück zur Offenbarung. Was hat es damit auf sich?

Sie wurde geschrieben von einem Pastor. Dessen Name ist Johannes (nicht zu verwechseln mit dem Evangeliums-Johannes).

Dies ist der Schlüssel, um das Buch zu verstehen.

Johannes lebt im Exil, was bedeutet, dass er von seiner Gemeinde, seinen Freunden getrennt leben. Er sitzt auf einer Insel, viele Kilometer entfernt (und ohne E-Mail und skype). Das Leben ist hart, seine Gemeinde, seine Freunde leiden unter der Angst und Gewalt, die ihre Leben bestimmen. Also schreibt Johannes ihnen einen Brief, um zu helfen und sie zu ermutigen.

Johannes ist außerdem ein Poet.

Das dürfen wir nicht vergessen, weil wir seinen Brief nicht linear und logisch wie einen Bericht über das Weltgeschehen lesen dürfen – ansonsten würde es endlos frustrierend. Man findet keinen roten Faden (egal, wie oft wir End of Days mit Arnold Schwarzenegger schauen!).

Aber wenn wir die Offenbarung lesen, wie wir ein Gedicht lesen, oder Songtexte – dann öffnet sich uns eine ganz neue Welt.

In diesem Brief befinden sich Gut und Böse in einem Konflikt.

Johannes zufolge befindet sich das Böse in der Welt und bekämpft die Menschen. Das Böse ist keine Fantasygestalt oder eine Idee oder ein abstraktes Konzept – sondern eine reale Bedrohung seiner Freunde. Sie werden ermordet und verschleppt, wie wir es heute in vielen Ländern der Welt auch erleben. Johannes benutzt einige Bilder, um dieses Böse zu skizzieren, es fassbar zu machen (Vor wenigen Tagen hat eine Frau in Colorado eine 26-jährige Schwangere niedergestochen, ihr das ungeborene Baby aus dem Leib geschnitten und  ist damit geflohen. Welche Bilder würden wir nutzen, um diese Tat zu beschreiben?)

Johannes benutzt eine ganze Reihe von plastischen, brutalen Bildern und Szenen in seinem Brief, weil das Leben oft genauso ist.

Stellen wir uns für einen Moment vor, in einem Krankenhausbett zu liegen. Wir erholen uns von der Chemotherapie und fragen uns, wie viel Zeit uns wohl verbleibt.
Der Krankenhauspfarrer kommt vorbei, lächelt uns an und erklärt uns, dass das Leben wie eine Schachtel Pralinen sei: Man wisse nie, was man bekommt.

Wie ätzend wäre das? Wir würden mit unserer letzten Kraft den Pfarrer schütteln und ihm seine verdammte Schokolade dahin stecken, wo…

Wenn Menschen an Krebs erkranken, dann sprechen sie übers Kämpfen und über ihre Kräfte und darüber, wie sehr sie am Leben hängen.

Wenn wir in einem Land lebten, in dem militärische Banden durch die Dörfer zögen, Häuser anzündeten, Frauen vergewaltigten und die Männer umbrächten – dann bräuchten wir Ermutigung. Und zwar Ermutigung, die der Gewalt entspricht, die wir jeden Tag erfahren.

Johannes nutzt diese Bilder, weil der daran glaubt, das Gott durch Jesus diesem Bösen entgegen getreten ist.

Er glaubt, dass in dieser neuen Realität von Christus, seine Gemeinde (seine Freunde) beschützt sind und sicher und geliebt. Er schreibt ihnen über eine tiefere Wahrheit, die über ihren brutalen Alltag hinaus geht. Eine Wahrheit, die in Gottes Liebe für die gesamte Schöpfung begründet ist. Er erzählt von einem neuen Leben, das sie durch Christus haben, auch wenn sie jetzt leiden und vielleicht sterben. Johannes will, dass seine Freunde innere Ruhe und Zuversicht finden, unabhängig von dem Sturm um sie herum und er ist davon überzeugt, dass diese Zuversicht in Jesus gefunden werden kann.

Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich Smells Like Teen Spirit von Nirvana gehört habe. Ich behaupte, die meisten von euch werden das Lied kennen und mitsummen können.

Ein Song, den man unwillkürlich voll aufdrehen muss. Den man in den Knochen spürt. All das Gefühl und die Verzweiflung und der Herzschmerz.. alles in dem einen Song. Und dazu der Text:

A mulatto,
an albino,
a mosquito,
my libido
Yay!

Wenn wir uns nun fragen, was diese Worte eigentlich bedeuten sollen: Albino? Mosquito?

Wir würden zu dem Schluss kommen, dass die wörtliche Bedeutung nicht der Punkt sei. Das ist schließlich Poesie, eine Reihe von Fragmenten die man besser fühlt als sie zu analysieren.

Oder?
Die Kraft von Musik – vielleicht aller Musik – kommt daher, wie sie unsere Herzen anspricht. Wie sie uns daran erinnert, nicht allein zu sein. Wie sie Gefühlen, die wir vielleicht gar nicht richtig benennen können, Form und Gestalt gibt. (Ich meine.. wir waren alle Teenager und für uns alle gab es da dieses eine Lied, nicht wahr?)

Bedeutet das nun, dass es keinen geschichtlichen Kern in der Offenbarung gibt?

Nein. Das ist ein echter Pastor, der wirklich gelebt hat, unter einem Herrscher, der echte Menschen einer echten Gemeinde angeschrieben hat, die unter realen Problemen und Ängsten litten.

Es ist nur so, dass Poesie zuweilen genauso real ist, wie wir auch.

Ein Gedanke zu „#31: Kurt Cobain und die Offenbarung“

  1. Vielleicht meint Johannes das, vielleicht aber auch nicht.
    Ich fände für eine Exegese eines fast 2000 Jahre alten (kontrovers in der Kirchengeschichte diskutieren) Textes den Konjunktiv besser. Vielleicht verarbeit Johannes ja auch seine traumatische Kindheit oder hat bewusstseinserweiternde Drogen eingeworfen oder in stimuliert das Fantasieren von Gewaltorgien sexuell…
    Die ewige Neuauslegung der Bibel ergibt für mich keinen Sinn. Letztendlich wird immer versucht alles so umzudeuten, dass die Bibel auch noch dem aufgeklärten modernen Weltbild entspricht. Das erinnert an die Geschichtsklitterung der Kirchen, die das Christentum retrospektiv als Hort der Nächstenliebe darstellen wollen. Ständig wird das christliche Erbe des modernen „Abendlandes“ proklamiert ohne zu erwähnen das demokratische und humanistische Werte insbesondere gegen die Kirche verteidigt werden mussten (man bedenke nur die höchst demokratische Struktur der kath. Kirche).
    Die Bibel ist vor allem ein Missionierungswerkzeug und Produkt einer Gesellschaft, die 2000 Jahre weniger „Entwicklungszeit“ hatte.

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