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#38: Gott und das Hawaii-Hemd

Immer wieder werde ich, ganz pointiert, mit meiner eigenen Unwissenheit konfrontiert und erlebe anschließend einen Ausbruch aus meinen eigenen gedanklichen Grenzen. Das geht mir so, wenn mir jemand in einem klassischen Gemälde die versteckten Andeutungen und Hinweise erklärt. Oder ich bei der Besichtigung einer Kirche auf verstecke Fresken und Figuren aufmerksam gemacht werde.

Durch meine Frau habe ich das große Glück, meine mangelhafte Bildung immer wieder in Erinnerung gerufen zu bekommen und jedesmal empfinde ich im Nachgang ein kindliches Staunen über Sachverhalte, die ich vorher bestenfalls als merkwürdig bezeichnet habe, die sich aber im Nachhinein wie ein beeindruckendes Puzzlestück in ein großes Ganzes fügen.

#38: Gott und das Hawaii-Hemd 1In der Bibel findet sich die Geschichte eines Königs, der alle seine Freunde zu einem Hochzeitsmahl einlädt – aber die haben alle keine Lust und bringen sogar die Diener um. Darüber wird der König so wütend, dass er ihre Städte zerstört und anschließend jeden Hinz und Kunz von der Straße einlädt. Doch mitten auf der Party entdeckt er einen Typen, der im Hawaii-Hemd gekommen ist und darüber wird der König so wütend, dass er ihn in das dunkelste Verlies wirft. Jesus vergleicht Gottes Himmelreich mit dieser Geschichte und endet dann mit den Worten: „Viele sind eingeladen, aber nur wenige sind auserwählt.“ (Quelle)

Was für eine absurde, völlig bescheuerte Geschichte. Kein Wunder, dass keiner zu der Party kommen will – das wollte ich auch nicht. Und dann wirft er irgendeinen Kerl ins Verlies? Weshalb? Ein Verbrechen gegen die Modepolizei? Was immer Jesus da erzählt – es scheint völlig beknackt.

Vier Gedanken dazu, wie wir dieser Geschichte auf die Spur kommen.

Erstens: Partys

Der Hintergrund dieser Geschichte ist ein Hochzeitsbankett. Das ist es, was die Geschichte antreibt. Die Großzügigkeit dieses Königs. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass immer wieder, wenn Jesus davon erzählt, was Gott in der Welt vorhat, die von ihm gewählte Metapher die einer Party ist. Ein Fest, ein Bankett, eine Feier, die tagelang dauert, – das stellt sich Jesus als die Zukunft Gottes vor. Zu diesem Fest werden haufenweise Menschen eingeladen. (Eine Anmerkung an dieser Stelle: Die Metapher einer Hochzeitsfeier ist keine neue Idee von Jesus – so wurden bspw. die zehn Gebote als ein Hochzeitsbund zwischen Gott und Israel angesehen. Nicht zu einer Hochzeit zu erscheinen war schlicht ein Unding.)

Liebe, Zusammenkommen, Gelübde, Feste, Essen, Musik, Feier – das sind die Bilder, denen sich die Schreiber der Bibel immer wieder zuwenden, um zu beschreiben, was Gott in der Welt vorhat. Wenn mich jemand fragen würde, was eines der zentralen Themen der Bibel ist, würde ich dann so antworten? Dass Gott eine Party schmeißt und alle eingeladen sind?

Zweitens: Worum geht es Jesus?

So leicht sich einzelne Passagen aus der Bibel herauszitieren lassen, so ist stets der Kontext eines Textes wichtig. Was steht vorher? Was kommt danach?

In dem Abschnitt dieser Geschichte im Evangelium von Matthäus (es ist das Kapitel 22) spricht Jesus mit religiösen Führern, die ihn verhaften wollen. Dabei ist zu beachten, dass die religiösen Führer kurz vorher, am Ende von Kapitel 21, erkennen, dass diese Gleichnisse, die er erzählt hat, von ihnen und ihrer Hartherzigkeit handeln. Ihnen dämmert allmählich, wie subversiv seine Botschaft wirklich ist, und das gefällt ihnen nicht. Das ist wichtig, denn wenn Jesus diese Gleichnisse erzählt (das am Anfang von Kapitel 22 ist das dritte in Folge), dann spricht er indirekt diese Führer an. Sie sind diejenigen, die Jesus ablehnen, diejenigen in der Geschichte, die die Einladung des Königs ablehnen. Und bei jenen, die nicht hören wollen, muss man manchmal besonders deutlich sprechen.

Was uns zu einem dritten Punkt führt…

Drittens: Politik

Es ist leicht, dieses Gleichnis zu lesen und davon auszugehen, dass Jesus etwas über die gewalttätige und zerstörerische Natur Gottes lehrt, von dem man natürlich annimmt, dass er die Königsfigur in der Geschichte ist. Aber man kann diese Geschichte auch anders verstehen.

Vielen Menschen zu Jesu Zeiten war es ein Bedürfnis, sich gegen das Römische Reich auf gewaltsame und zerstörerische Weise aufzulehnen. Es gab eine Reihe von Bewegungen, die die Menschen drängten, sich der Sache anzuschließen und die Waffen gegen Rom zu erheben (Kenner denken natürlich an die Volksfront von Judäa und ihre Schwesterorganisation, die judäische Volksfront).

Jesus beharrt immer wieder darauf, dass Rom sie vernichten wird, wenn sie zum Schwert greifen und rebellieren. Er ist der Meinung, dass es einen anderen Weg gibt, Israel zu sein. Einen Weg, der Gewaltlosigkeit und Großzügigkeit und die Liebe zum Feind einschließt.

Aber: Einige seiner Zuhörer werden diesem Weg nicht folgen. Seine Warnungen in diesem und anderen Gleichnissen beziehen sich auf die (im Nachhinein sehr realen) Folgen eines Aufstands gegen Rom. Indem sie Jesus ablehnen, bringen sie ihre eigene Zerstörung mit sich. Ja, er will sie retten, aber diese Rettung hat eine sehr reale weltliche Dimension: Er will sie davor bewahren, den Zorn Roms auf sich zu ziehen.

Was natürlich geschah, ungefähr eine Generation nach Jesus. Die Israeliten erhoben sich und rebellierten und Rom vernichtete sie, zerstörte den Tempel und alles darin. Jesu Warnungen erwiesen sich als wahr.

Um diesen Punkt noch weiter zu vertiefen, muss man sich nur daran erinnern, dass das Matthäus-Evangelium nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer zusammengestellt und verbreitet wurde, was seine Warnungen den zeitgenössischen Lesern umso deutlicher machte.

Was uns zu dem Teil über die Robe führt.

Viertens: Das Hawaii-Hemd

Auf der Party des Königs sind gute und böse Menschen gleichermaßen eingeladen. Was ein unerhörter Gedanke ist – nicht nur in der damaligen Zeit. Ein Partygast jedoch trägt kein passendes Hochzeitsgewand, so dass der König ihn fragt: „Freund, wie bist du hier ohne Hochzeitsgewand hereingekommen?“ Doch der Mann ist sprachlos.

Also wirft der König ihn raus. Was herzlos erscheint, aber im historischen Kontext bedeutsam ist.

Es gibt die Theorie, dass der Gastgeber einer Party Kleidung für alle Gäste als Geschenk zur Verfügung stellte. Dieses Geschenk nicht anzunehmen und diese Kleidung zu tragen, war, gelinde gesagt, unhöflich und beleidigend. Es bedeutet, dass man sich zwar über Speis und Trank freut – aber im Grunde wenig Interesse an Feier und Feiernden hat. Es geht also nicht darum, dass der König die Leute willkürlich wegen etwas so Trivialem wie dem, was sie tragen oder nicht tragen, rauswirft, sondern darum, dass dieser Gast nicht die Energie aufbringen kann, dem Gastgeber, der sich all diese Mühe macht, um eine Party zu schmeißen, auch nur den geringsten Respekt zu zollen. Anselm Grün schreibt dazu: „Nichts wird ausgeschlossen, auch das Böse nicht. Das ist eine tröstliche Botschaft. Die einzige Bedingung, die Gott uns stellt, besteht darin, dass wir achtsam mit seiner Einladung umgehen, und dass wir alles, was in uns ist, in Beziehung zu ihm bringen.“

Angesichts der Geschichte, die Jesus erzählt, ist das überhaupt nicht belanglos. Er richtet dieses besondere Detail auf die religiösen Führer, die vor ihm stehen. Sie bestehen darauf, dass sie Gottes Torwächter sind, aber sie haben nicht das geringste Interesse daran, sich anzuhören, was Jesus über die neue Sache zu sagen hat, die Gott durch ihn tut. Das Brillante an der Geschichte ist, dass Jesus mit diesem kleinen Detail endet und ihnen im Wesentlichen sagt: „Ihr habt völlig aus den Augen verloren, worum es eigentlich geht!“

Fazit

Die Botschaft für die Zuhörer?

Wir können die Einladung zur Party ablehnen.

Aber sie wird trotzdem stattfinden. Ohne mich. Deshalb kann sich viel Gerede über Gottes Liebe nach einer Weile matschig anhören, wenn sich keine sehr realen Bezüge zu Liebe, Freude, Frieden, Hingabe oder Großzügigkeit finden. Meine Entscheidungen sind wichtig. Mein Verhalten zählt. Meine Absichten sind wichtig. Meine Überzeugungen darüber, wer ich bin und was ich hier tue, sind von Bedeutung. Gott schmeißt eine Party, und alle sind eingeladen.

Es ist für mich immer wieder spannend zu erleben, wie mir völlig unverständliche Texte oder Bilder plötzlich zugänglich sind, wenn ich einen größeren Kontext kennenlerne. Ich genieße das.

Dank an meine Frau, Rob Bell und Anselm Grün.

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Ein Gedanke zu „#38: Gott und das Hawaii-Hemd“

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