In ein paar Wochen habe ich Geburtstag und trete dann in jenes Lebensjahrzehnt ein, das für große Teile meiner Familie vom, letztlich erfolglosen Kampf gegen den Krebs geprägt war. Zehn Jahre. Das beschäftigt mich gerade.
Kein guter Start, um in ein aufregendes Wochenende zu starten, bei dem man vielen Menschen begegnet – altbekannten und neuen. Aber vielleicht doch gerade der richtige Anfang.
#twlz? Kassel? Was?
Via Twitter sind tausende an Bildung interessierte Menschen miteinander verknüpft und tauschen sich unter dem Hashtag #twlz aus, einzelne Fächer haben eigenständige Hashtags, damit sich die entsprechend interessierten Lehrkräfte leichter finden.
Weil Kontakt und Austausch überaus intensiv sind und von vielen Teilnehmenden als wertschätzend empfunden werden, entstand irgendwann der Gedanke, sich einmal im richtigen Leben zu begegnen. Von der erste Idee bis zu konkreter Planung sind wir am Ende bei diesem Wochenende gelandet und jeder, der sich dem #twlz positiv verbunden fühlte, war eingeladen, zu kommen. Und so war es auch: Kolleg*innen aus allen Bundesländern und allen Schulformen, Lehrkräfte, Schulleiter*innen und solche, die die Bildung eher begleiten trafen in Kassel zusammen um gemeinsam Kaffee zu trinken.
Alles kann, nichts muss.
Auf der Fahrt habe ich dem Hörbuch „Was bleibt?“ zugehört, indem die Autorin Louise Brown von ihrer Arbeit als Trauerrednerin erzählt. Spannend. Deprimierend. Manchmal lustig. Oft traurig. Wer ist man am Ende seines Lebens?
Wie jeder andere Mensch verhalte ich mich meiner Umgebung entsprechend: Zu Hause mit meinen Kindern bin ich als Vater ein anderer Mensch als der Lehrer im Klassenraum. In meiner Rolle als Mitglied der Schulleitung ist meine Rolle im Kollegium eine andere, als wenn ich meinem (bescheidenen) politischen Engagement nachgehe oder mit meiner Tochter fluchend Fußball gucke.
Auf dieses Wochenende habe ich mich sehr gefreut. Es gab keinerlei Programm außer „alles kann, nichts muss“. Und das trifft mein Empfinden des Tages ziemlich gut. Ich war herausgerissen aus jenen Umgebungen und Erwartungen, in denen ich mich normalerweise bewege.
Ein Programm gab es bewusst nicht – das hätte nur zu Arbeit für die Macher, schlechtem Gewissen für die Schwänzer und letztlich Traurigkeit bei geringer Würdigung geführt. Ich gehörte zu jenen, die eigentlich nur von Café zu Café gepilgert sind. Auf den Wegen dazwischen wurde Kassel bestaunt (viel schöner, als ich es erwartet hatte) und zwischendurch geredet, gelacht und diskutiert.
Ich habe mich wahnsinnig gefreut, nach acht Jahren Bob Blume wiederzutreffen, der jüngst als „Blogger des Jahres“ ausgezeichnet wurde und ein herausragendes Buch geschrieben hat. Wir ticken ähnlich und hatten beide weiche Knie und schwitzige Hände, unserem Idol Herrn Rau zu begegnen, der schon vom Spiegel zu seinem Lehrer-Blog interviewt wurde, als wir beide noch in die Grundschule gingen. Ein Punkt auf der Löffelliste abgehakt.
Und das Maik Riecken (der auch schon gebloggt hat, bevor es das Internet gab) sich neben seiner Arbeit für das Medienzentrum in Cloppenburg viele Stunden in den Zug gesetzt hat, um mit uns einen schnellen Kaffee zu trinken, sagt ganz viel über die gegenseitige Hochachtung aller Teilnehmenden an diesem Wochenende aus.
Eine Lehrerin direkt aus Kassel verteilte eine Kasseler Blumensamen-Tüte als Willkommensgeschenk. Ich kam in den Genuss, anderen Schulleiterinnen (Liebe Elke, ich werde auf ewig ein schlechtes Gewissen haben!) zuhören zu dürfen und ein wenig Einblick in ihre Arbeit zu gewinnen; Lehrerratsmitgliedern und Fachreferentinnen auszufragen und einem Sechzigjährigen mit zauberhaftem französischen Akzent zuzusehen, der morgens, mittags, abends nichts anderes zu tun schien, als mit fremden Leuten Boule zu spielen. (Vielleicht die charmante Kasseler Variante des Berliner Hütchenspielers?)
Was bleibt.
Das Wochenende liegt hinter mir, die lange Rückfahrt ist geschafft und mein Hörbuch gehört. Was bleibt denn nun?
Ich vergesse viel. Die Namen und Gesichter der Schülerschaften vergangener Jahre sind weg. Ganze Jahre verschwimmen im Rückspiegel wie Bäume in dichtem Herbstnebel.
Es sind die Highlights, die bleiben.
In tiefer Nacht mit völlig fremden, sehr vertrauten Menschen zwischen Tennisplätzen und Wildrosensträuchern zu campieren. Im Biergarten über Anekdoten und Lebenspläne zu sprechen. Im Café in eine Hochzeit zu geraten. Bei aller Erschöpfung eine wahnsinnige Liebe zu diesem Beruf zu spüren und in kürzester Zeit Einblicke in Lebensläufe, Schulen und Visionen zu erhalten. Ich habe an diesem Wochenende ganz wunderbare Menschen kennenlernen dürfen und dafür bin ich wahnsinnig dankbar. Das hat mir mehr bedeutet, als ich in Worte fassen kann.
Gewiss wird es ein weiteres Treffen geben. Vielleicht in zwei oder drei Jahren – und ich blicke ihm jetzt schon entgegen.
Dieses Internetz – so schlimm ist das gar nicht.
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Ich wusste es: Ich werde es bedauern, nicht dort gewesen zu sein. Aber es wäre trotzdem nicht möglich gewesen – der Tag hat schließlich und wirklich nur 24 Stunden.
Aber ich freue mich für euch, dass ihr euch getroffen habt. Danke für den Bericht!
Besten Dank für den stimmungsvollen Bericht! Das Lehrerzimmer hatte ich längst verlassen, als ich über Twitter ins #twlz geriet. Dort habe ich über manche mehr erfahren als sich bei vielen Kollegen im Schullehrerzimmer ergeben hat, weil ich da mithören kann, hoffentlich ohne zu stören. Ein Glück für die Schüler, dass so viel Engagement – trotz aller Skepsis im Blick auf die Kultusbürokratie und Regierungen in Sachen Klimawandel – möglich ist und durchgehalten wird.
Toller, stimmiger Bericht! Ich hab es einfach nicht hinbekommen. Es ist einfach zu viel los gerade. Aber vielleicht gibt es ja mal eine Wiederholung
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