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„Das war zu wenig.“ Verlieren lernen.

"Das war zu wenig." Verlieren lernen. 1

Eine meiner zahlreichen, sinnfreien Ferientraditionen besteht darin, meinen Bart abzurasieren und nur noch einen Schnauzer stehen zu lassen. Meine Frau verdreht jedes Jahr die Augen und lässt mich so lange unter der Treppe bei den Hunden schlafen, bis ich „wieder wie ein normaler Mensch“ aussehe.

Heute in der Schule habe ich – mit passendem Jersey – den ganzen Tag Fußballturnier verpfiffen gepfiffen. Ein Spiel nach dem nächsten, Gruppenphasen wie in der EM, jahrgangsübergreifende Halbfinals und Finale. Da kamen einige Spiele und jede Menge Lautstärke zusammen.

Leider hat der Schnauzer und mein Geschiebe nichts genutzt: Meine eigene Klasse ist sang- und klanglos untergegangen. Im historischen Verzeichnis unserer Schule findet man unter dem Eintrag „desaströse Niederlagen“ ein Foto meiner Klasse und mir mit Schnauzbart.
Vielleicht, weil sie in diesem Jahr Schwimmen anstelle von Sport haben. Vielleicht auch, weil ich in der Vorbereitung keine Sekunde auf Spietaktiken oder Absprachen vergeudet habe. Kurzum: Es war beschämend.

Spannend ist bei so einem Sporttag, dass die Kinder (und nicht nur meine eigene Klasse) ein unmittelbares und unerbittliches Feedback erhalten: „Das war zu wenig. Das genügt nicht.“

Im regulären Unterricht erhalten die Kinder immer noch eine Chance und noch eine. Hier ein Referat, dort wird ein Auge zugerückt. Irgendwie kann man sich mit etwas Anstrengung auf eine halbwegs passable Note retten.

Nicht so im Sport. Obwohl der Tag insgesamt ausgesprochen fair ablief und in insgesamt 5 Stunden Spielzeit nur zwei (!) Fouls pfeifen musste, waren Frust und Missmut bei den Verlieren auf Platz und Tribüne spürbar.

Ich finde das interessant: In meiner Wahrnehmung versuchen wir als Gesellschaft, die Möglichkeit des „verlierens“ an vielen Stellen auszublenden. „Alle sind Gewinner.“ „Dabei sein ist alles.“ „Hat sich redlich bemüht.“ Bloß niemandem auf die Füße treten.
Ist das vielleicht auch ein Grund, dass viele Kinder (und Erwachsene) mit Feedback nur schlecht umgehen können? Verlieren wir die Möglichkeit, Verlieren zu lernen?
Der Umgang mit Frust, das Heben dieser Frustationszoleranz, bilden von Resilienzen und ein solches „Aushalten“ zu schulen, halte ich für eine Kernkompetenz im Leben.

„Das war zu wenig.“
Wann habe ich das zuletzt gehört?
Wann habe ich das zuletzt auf dem Sachohr gehört und war danach nicht persönlich beleidigt?

Ich freue mich darauf, morgen mit meiner Klasse zusammenzusitzen und diesen Tag auszuwerten. Vielleicht nicht, dass man es schön redet oder nach Ausreden sucht. „Ach, wir wollten ja gar nicht gewinnen.“ „Wir hatten ja auch einen Sportunterricht.“ „Ihr Schnauzbart hat mich total verängstigt!“
Das wird ein schwieriger Balance-Akt, denn immerhin standen da Leute auf dem Feld und haben sich nicht auf der Tribüne verkrochen. Aber das Fazit am Ende bleibt:

Das war zu wenig.

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