Am Abendbrottisch gibt es regalmäßig Gespräche, in denen ich versuche meinen Erzeugern ein wenig über die Chemie des Alltags beizubringen. Leider scheitert dieses Unternehmen meistens an der Komplexität der Themen oder an der fehlenden Vorstellungskraft meiner Gesprächspartner. Faszinierenderweise wissen die meisten Menschen nicht, wie viel Chemie sie täglich zu sich nehmen und wie viel Chemiker in jedem von ihnen steckt. Ob man sich einen Kaffee kocht oder ein Brot backt, die meisten Unternehmungen in Sachen Nahrungsmittelzubereitung könnte man als Laborarbeit bezeichnen. Wenn ich Ihnen zum Beispiel ein Gemisch aus Trigonellin, Chinasäure, Chlorogensäure, Polysacchariden, Furanen, Pyrazinen, aliphatischen und nicht-Heterocyclen Pyrrolen, Thiophenen und Thiazolen zubereite, würden Sie dieses mit Genuss trinken? Ja! Würden Sie. 3 Tassen am Tag (im Durchschnitt). Auch die Aussage der Lebensmittelhersteller „Ohne Chemie“ ist der absolute Blödsinn. Alles ist Chemie! Egal was sie in die Hand nehmen, alles besteht aus einem wilden Gemisch von 92 Elementen.
Schauen wir uns das Espressokochen doch einmal an. Sie mahlen die Bohnen, um eine größere Oberfläche zu schaffen, die die Extraktion der Inhaltsstoffe begünstigt. Anschließend machen Sie eine Hochdruckflüssigkeitschromatographie, bei der ein Lösungsmittel (Wasser) unter Hochdruck eine stationäre Phase (Kaffee) durchläuft.
Oder das Backen eines Brotes. Saccharide, (2R,3S,4R,5R)-2,3,4,5,6-Pentahydroxyhexanal, Natriumchlorid, Dihydrogenmonoxid und ein paar Eukaryoten werden vermischt und über einen längeren Zeitraum erhitzt. Je nach Backtriebmittel (Natrium(hydrogen)carbonat, Ammoniumcarbonat …) erzeugen Sie bei dieser Reaktion Kohlenstoffdioxid oder Ammoniak.
Das Hauptproblem liegt in der Angst der Bevölkerung vor den so schrecklich klingenden Namen der chemischen Verbindungen. Oder?
- 2-Methylbutylacetat – Apfelaroma in vielen Lebensmitteln
- 5-Methyl-2-(propan-2-yl)-cyclohexan-1-ol – Minzgeschmack in Zahnpasta
- 2-Hydroxy-1,2,3-propantricarbonsäure – Zitronensäure…
Die Welt ist ein riesiges Chemielabor und Sie stecken mittendrin. Ob Sie nun ein Weißbrot toasten und somit Acrylamid synthetisieren oder einfach die Golden-Gate-Bridge besuchen, die mit einer höchstgiftigen Bleiverbindung gestrichen ist, machen Sie sich klar, dass Sie in einem Reagenzglas leben. Und sollte Ihnen das jetzt Kopfschmerzen bereiten, nehmen Sie einfach etwas (RS)-2-[4-(2-Methylpropyl) phenyl]propansäure, N-(4-Hydroxyphenyl) acetamid oder etwas 2-Acetoxybenzoesäure 🙂