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Vor einigen Tagen wurde meine Tochter beim Wocheneinkauf zur Umkehr aufgerufen, um nicht in der Hölle zu enden. Vor dem Supermarkt stand ein sehr überzeugter Herr auf einer kleinen Bühne und spielte mit Puppen die Jesus-Geschichte nach. Vor ihm saßen staunende Grundschulkinder auf einer flauschigen Decke und darum herum standen (mehr oder weniger) interessiert dreinblickende Erwachsene und lauschten. Begriffe wie “Sünde” und “Vergebung” und “Umkehr” und “unfehlbar” drangen dumpf in meinen Kopf.

Eine unsanfte Erinnerung daran, dass das Siegerland die NRW-Version des amerikanischen Bible Belts ist.

Ich gehöre zu den Menschen, die sich zusammennehmen müssen, wenn vor ihnen jemand eine BILD-Zeitung kauft. Oder kleine Kinder anpredigt.

Wir werden uns noch die Zeit nehmen, um über das “Wort Gottes” nachzudenken, aber heute möchte ich mich mit der “Unfehlbarkeit” auseinandersetzen. Viele Bücher gibt es darüber, die beweisen (wollen), dass die Bibel unfehlbar ist.

Meine Tochter lernt gerade Klavier bei einer sehr strengen, russischen Lehrerin. “Wir Pianisten”, sagt sie, “müssen richtige Musik hören!”
Statt den üblichen Radio-Hits (die alle 8jährigen in grausigem Englisch mitsingen) (wenn ich ehrlich bin, ist das Mitsing-Englisch als Erwachsener kaum besser) hört sie nun hin und wieder klassische Musik. Mozart und so. Nicht ihre erste Wahl, aber die Musik wirkt auf sie ein.

Nun.. ein paar Gedanken zu Mozart:

Hat Mozarts Musik sich durchgesetzt?
Würden wir sagen, dass seine Musik besonders hip ist?
Ist Mozart der (wie es neuerdings im Fußball heißt) MVP?
Ist er der Gewinner der Musikszene?

Blöde Fragen, nicht wahr?
Sie sind blöd, weil wir normalerweise nicht so von Mozart denken. Es sind die falschen Kategorien.

Warum?

Weil wir Mozarts Musik einfach zuhören und genießen.

Was uns zur Unfehlbarkeit bringt – einer weiteren Kategorie. Wenn wir bisher von Mozart stets als Gewinner gehört hätten, als derjenige, der alle Rekorde bricht und der einzig wahre Superstar schlechthin sei – dann würden wir vermutlich in diesen Schubladen denken.

Zunächst einmal: Die Bibel beschreibt sich selbst gar nicht selbst als unfehlbar. Es ist wichtig, dass wir sie nicht in Kategorien einordnen, die sie selbst gar nicht beansprucht. Die Autoren schreiben über das Wort Gottes und Inspiration und Gottes Atem und Autorität – aber an keiner Stelle erwähnen sie “Unfehlbarkeit”. Sie sprechen darüber, dass sich Gott in die menschliche Geschichte einmischt und dass er etwas vorhat. Ihre Intention ist, den Lesern (bzw. Hörern) diese Bewegung, diese Entwicklung zu zeigen.

Außerdem müssen wir uns vor Augen führen, dass wir hier kein Buch vor uns haben. Wir haben es mit einer Bibliothek von Büchern zu tun, geschrieben von vielen Menschen über eine lange Zeitperiode. Manchmal sind sie für die Scheidung, manchmal dagegen. Der eine sagt, Jesus sei aus Nazareth, ein anderer behauptet aus Bethlehem. An einer Stelle steht, das Schicksal jedes Menschen sei vorherbestimmt – an anderer Stelle, dass wir frei sind. Einer schreibt, David bezahlt soundsoviel für ein Stück Land, der nächste soundsoviel. Eine Geschichte beginnt damit, dass Gott David führt – eine andere Geschichte behauptet, Satan stiftete ihn an.

Die Liste ist lang.

Einige dieser Irrtümer lassen sich leicht auflösen – eine Rechnung wurde früher geschrieben oder in einer anderen Währung; zwischen zwei widersprüchlichen Haltungen mögen Jahre liegen.
Manchmal hat der Autor eine bestimmte Intention im Sinn und verweist mit Stil und Inhalt auf Geschehnisse in der Welt, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können.
An anderen Stellen wissen wir über die historische Geschichte Bescheid und können die Texte dahingehend analysieren und verstehen (es wurde geglaubt, dass Kaiser Cäsar am Ende seines Lebens in den Himmel aufgefahren ist und nun zur Rechten der Götter sitzt – ist das vielleicht der Grund, warum Lukas am Ende von… Wo ging Jesus hin? Christi Himmelfahrt? Wollte Lukas seinen Zuhörern vielleicht vermitteln, dass Jesus der Herr ist und nicht Cäsar?)

Aber egal, wie wir mit den Widersprüchen der Bibel umgehen – wenn wir sie verleugnen oder ignorieren oder so tun, als seien sie leicht aufzulösen – dann werden die Menschen entweder ihr Gehirn ausschalten oder die Bibel auf den Müll werfen.

(Trifft das auf mich/dich/euch zu?)

Entweder schluckt man den ganzen Christentum-Kram und gibt sein Gehirn an der Tür ab
oder
man verlässt die Party?

Was mich zu einem dritten Punkt führt – Unfehlbarkeit und dergleiche Phrasen haben eine außerordentliche Kraft, Leute von der Bibel abzuschrecken.

Immer wieder zu beobachten, nicht wahr?

Zuletzt bei mir. Auf dem Supermarktparkplatz.

Es geht nicht darum, dass Mozart der Beste von allen ist – es geht um Genuss und Schönheit. Falsche Kategorien zu wählen ist immer ein Schuss in den Ofen. Was mich zu einer letzten Frage führt: Wenn etwas außergewöhnliches und großartiges in der Welt geschieht – wir könnte man anders darüber schreiben, als es die Bibel tut?

Oder anders: Wenn es um die Bibel geht – was erwarten wir eigentlich?

Oder noch anders: Woher kommt die Idee, dass Unfehlbarkeit die höchste Form der Wahrheit ist?

Ist Mozart fehlerfrei?

Ist ein Sonnenuntergang fehlerfrei?

Ist meine/deine/eure Ehe fehlerfrei?

Ist das beste Essen, was wir je zu uns nahmen, fehlerfrei?

Im Mathematikunterricht ist Fehlerlosigkeit fantastisch – genauso, wenn man ein Auto entwirft oder ein Haus baut. Aber in der Bibel geht es um Bedeutung. Hoffnung. Mut. Inspiration. Freude. Erlösung.

Die Bibel handelt von Musik.

Musik, die wir nicht analysieren oder für die wir streiten müssen.

Musik, der wir zuhören können.

Und genießen.

(und nächstes Mal beschäftigen wir uns mit “Gottes Wort”)

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Ein Gedanke zu „#19 Musik“

  1. Der Mathematikunterricht lebt wie der Glaube davon, dass wir zu dem „Fehlerfreien“ streben und unsere Fehlerbehaftung dabei anerkennen. Aber uns quasi das Paradies bzw das mathematische fehlerfreie Modell visualisieren.
    Oder wie mir ein Sechstklässler letzten Donnerstag sagte: „Niemand kann wirklich zwei parallele Geraden zeichnen, ein bißchen schief sind sie immer, auch wenn man es nicht sieht!“.
    Eine weitere Ähnlichkeit:
    Man spricht von wahren und falschen Aussagen. Von Gut und Böse. Und weiß doch, dass die Wirklichkeit eher Fuzzy-Logik gleicht und selten etwas nur Gut und nur Böse ist. Wie schon die Psychologen sagen: Das Gegenteil von Gut ist „gut gemeint“. Wer denkt nicht beim Korrigieren von Klassenarbeiten hin und wieder: „Zu wie viel Prozent trifft die Bezeichnung Dreieck auf diese Zeichnung zu?“ Dabei müssten wir als Jünger der Aussagenlogik klar sagen können ob die Aussage „Das ist ein Dreieck“ wahr oder falsch ist, oder?
    Ansonsten würde ich bei der Klavierlehrerin noch mal ernsthaft nachfragen ob Mozart unter die Kategorie „gute Musik“ fällt? Ich empfinde es so, dass es zumindest von seinen Klavierwerken wenig inspirierend Einspielungen gibt. Am ehesten vielleicht „Mozart: Klavierkonzerte 20 & 21“ von Jan Lisiecki. Über den man das Kind auch ganz tolle Berichte auf Youtube schauen lassen könnte (http://www.youtube.com/user/lisieckijan).
    Sonst habe ich den Eindruck, die Kinder können mehr mit Goldbergvariationen anfangen, weil die so quirlig und lebhaft sind.

    LG
    Coreli

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