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#23: Was sollen all diese Menschen?

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Willkommen zurück zu unserer Reihe. Heute wollen wir versuchen, dem absolut schnarchnasigsten Teil der Bibel einen Sinn zu entnehmen: den Ahnentafeln.
Ich meine, wenn es einen Teil gäbe, den nun wirklich niemand vermissen würde, dann diese endlose Aneinanderreihung von Namen. (Ich gebe zu, das scheint echt ein öder Teil heute zu werden – aber ich verspreche: In diesen Chroniken steckt Hoffnung und Wertschätzung und Liebe und.. aber ich greife vor.) Fangen wir mit dem Matthäus-Evangelium an. Der Autor beginnt mit der Behauptung, dies sei die Abstammung von Jesus, dem Sohn Davids und listet eine ganze Menge Leute auf (und auch ein paar Frauen, was ziemlich untypisch für jene Zeit war) (übrigens beinhalten die Frauen, die Matthäus erwähnt ihrerseits tausend Geschichten) und beendet diese Reihe mit Jesus.

Jesus, der Sohn von David.

Das ist (ein bisschen) spannend, denn David hat den mathematischen Wert 14.

Klar?

Nein?

Okay, dann ein bisschen Hintergrund (der Hintergrund ist das eigentlich Spannende, nicht wahr? Wenn man mehr weiß. Wenn man nicht nur eine Frau in einem Bus sieht, die nicht aufsteht.)

Also, Zahlen waren im hebräischen sehr, sehr wichtig. So wichtig, dass Worte sowohl von ihrer Bedeutung her verstanden wurden, als auch von ihrem Zahlwert her. Wie kam man zu diesem Wert?

Zunächst im deutschen:

A ist der erste Buchstabe, also eine 1.
B ist der zweite Buchstabe, also eine 2.
C wäre dann 3 und so weiter.

Das Word „Bad“ hätte – im Deutschen – den Wert 2+1+4 also 7.

Im hebräischen enthält der Name DAVID die Buchstaben DVD (Es gibt keine Vokale). D ist der 4. Buchstabe, V der 6.
D-V-D ist also 4+6+4 = 14

(Diese Zahlenspielereien gibt es überall in der Bibel – wir schauen da vielleicht später nochmal drauf..)

Warum ist das nun von irgendeiner Bedeutung?

Sehen wir uns die Genealogie von Matthäus nochmal an (Langweilig, oder? Was für eine bescheuerte Art, ein Buch zu beginnen – der Herr der Ringe wäre nie ein solcher Erfolg geworden, wenn man die ersten zwei Seiten mit der Abstammung von Bilbo Beutlin verbracht hätte – aber ich verspreche, mit Hintergrund wird es spannend!).

Wenn wir einmal zählen, wie Matthäus die Namen aufführt, fällt ins Auge, dass sie gruppiert sind. Und zwar in 14er Gruppen. Warum ist das wichtig? Weil Matthäus an ein jüdisches Publikum schreibt. Ein Publikum, das darauf wartet, dass der Sohn Davids erscheint und sie errettet. Und weil jeder Zuhörer wusste, dass David gleichbedeutend mit 14 ist, ruft diese Gruppierung ihnen eben jenes 14! 14! 14! zu.

(Diejenigen, die jetzt mit den Augen rollen und befürchten, gleich komme ich mit Weltverschwörung und Illuminaten und das das doch sehr weit hergeholt sei… Weiter geht es mit Vers 17:

So sind nun alle Geschlechter von Abraham bis auf David vierzehn Geschlechter und von David bis zur Wegführung nach Babylon vierzehn Geschlechter und von der Wegführung nach Babylon bis auf den Christus vierzehn Geschlechter.

David, David, David.

14. 14. 14.

Warum schreibt Matthäus dieses Buch?

Sein ursprüngliches, jüdisches Publikum weiß es bereits nur durch diese Aneinanderreihung von Namen – ohne Wundergeschichten, ohne Auferstehung, ohne Bergpredigt. Nur durch die Genealogie.

Matthäus glaubt, dass Jesus der Sohn Davids sei, der Messias, auf den alle gewartet haben und er schreibt im Folgenden auf, warum das so ist…

(Übrigens: 14 geteilt durch 2 gibt was? 7. Genau. Und 7 ist eine sehr bedeutungsvolle Zahl in der Bibel. Und was sagt die Torah darüber, wie sich eine Wahrheit bestätigt? Es braucht zwei Zeugen. Die 14 besteht aus zwei 7’er – was nur eine weitere Schicht zu Matthäus Genealogie hinzufügt: Er sagt, dass alle diese Namen der Torah zufolge wie bei einem Gericht als Zeugen bereitstehen, um Jesus als Messias zu bestätigen. Wir müssen uns heute so etwas mühsam erlesen – für die Zuhörer damals war das völlig offensichtlich.)

Okay, von Matthäus ein kleiner Sprung zu Lukas, der ebenfalls mit einer Genealogie beginnt. Er startet aber nicht in der Vergangenheit, sondern geht von Jesus aus und arbeitet sich dann zurück in der Zeit.
Matthäus führte Jesus als Sohn von Joseph auf, wohingegen Lukas schreibt, Jesus war

wie man meinte, ein Sohn des Joseph

Und verfolgt dann die Linie zurück durch seine Mutter. Und er hört gar nicht auf, sondern geht den ganzen Weg zurück zu Adam, dem ersten Menschen.

Warum?

Sehr gute Frage.

Sie führt uns zu einer weiteren Frage: Wem schreibt Lukas?

Während Matthäus seine jüdische Zuhörerschaft vor Augen hatte, schreibt Lukas an ein breiteres Publikum. Ihnen (wie uns heute) hilft es nicht, wenn wir einen jüdischen Stammbaum vorgeführt bekommen. Für Lukas ist aber von Bedeutung, dass Jesus für die ganze Welt relevant ist.
Natürlich hat er keine Ahnentafeln im örtlichen Bürgerbüro angefragt. Das ist auch gar nicht sein Punkt.
Lukas erzählt eine große Geschichte über das Heil der ganzen Welt durch diesen jüdischen Zimmermann – entsprechend versucht er dem Publikum zu verdeutlichen, dass dieser Jesus im Ursprung von allem ist.

Aber, war es nicht unüblich, die Ahnen eines Mannes durch seine Mutter zu bestätigen?

Ja! Ja! (Nach und nach passen die Puzzleteile, oder?) Denn was tut Lukas während des ganzen Buches? Er demonstriert, dass dieser Jesus für jeden Einzelnen gekommen ist: Jesus läuft mit den Armen, den Kranken, den Huren und Ausgestoßenen umher. Er erzählt hier Geschichten über verlorene Münzen, verlorene Schafe und verlorene Söhne. Es geht um alle.

Langsam wird deutlich, wie die jeweiligen Genealogien einer bestimmten Intention folgen. Die sachliche Richtigkeit ist in beiden Fällen der theologischen Bedeutung unterzuordnen. Das ist bedeutsam – denn wenn man nur die Fakten aufzählt, sucht man etwas, das die Autoren gar nicht zuvorderst im Sinn hatten.

Puuuh.
Wenn das geschafft ist, wollen wir heute mal richtig eintauchen. Wie wäre es mit der ersten Chronik? Namen über Namen über Namen. Endlose Reihen.

Siph,

Sifa,

Zoko,

Ziklag.

Ofra,

Kenas,

Iru,

Naam,

Guni,

Anub

Und natürlich Peleg! Wer erinnert sich nicht an Peleg, in dessen Zeit die Erde aufgeteilt wurde. (Wahrhaft! Vers 19! Ihr erinnert euch an die Zeit, oder? Als die Erde aufgeteilt wurde? Gute, alte Zeiten waren das!)

image(Ich habe auch so eine Ahnengalerie – aber sogar meine eigene Herkunft begeistert mich kaum einen halben Nachmittag.) Was ist der Sinn von all diesen langweiligen Listen? Wieder eine sehr gute Frage – eine, die sich beantwortet, wenn wir fragen

Welche Geschichte wird hier erzählt?

Es geht um einen Stamm, eine neue Art Stamm, der nicht umherzieht und die anderen Stämme vernichtet, sondern sie segnet. Wir erinnern uns: Jeder Stamm hatte seine eigenen Götter – so waren die Dinge nun einmal. Und wenn man umherzog, dann erkundigte man sich stets nach den örtlich zuständigen Göttern – denn jeder Ort hatte seine eigenen Götter.
Dieser Stamm jedoch war anders. Er glaubte, dass es nur einen einzigen Gott gäbe, der die Quelle allen Lebens sei. Ein Gott, der gut sei und der jeden segnen will. Diese Vorstellung auszuleben war seinerzeit durchaus herausfordernd gefährlich – aber sie waren nicht davon abzubringen.
Diese Geschichte begann mit einem Mann namens Abraham, der einen Glauben hatte (so wird es berichtet). Einen Glauben daran, dass eine bessere Welt möglich sei, dass Gott in dieser Welt etwas verändern wollte und dass er, Abraham, eine Rolle in dieser Veränderung zu spielen habe.

Wer war dieser Abraham noch gleich?

Ah ja… ein Niemand.

Im Nahen Osten der Antike waren aufgezeichnete Ahnentafeln so etwas wie eine V.I.P.-Karte, um der Welt zu zeigen, dass man der Erste, Beste, Stärkste und Wichtigste war. (Sumerische und Ägyptische Chroniken waren eine gigantische Blase über die eigene Großartigkeit.)

Aber Abraham… Abraham war ein Niemand.

Und diese langen Listen über Leute, die Leute zeugten, die Leute zeugten?

Niemandes. Max Mustermanns. Oder vielleicht eher Max Irus, Gunis, Anubs.

Die Menschen, die diese endlosen Listen aufschrieben waren der Überzeugung, dass der eine Gott, der Ursprung allen Lebens, mitten unter ihnen am Werk war – durch völlig normale Menschen.

Diese Listen sind eine Art zu sagen

und er war treu

und seinen Sohn gab es wirklich,

und dessen Sohn behielt den Kurs bei,

und dessen Sohn tat das Richtige,

und dessen Sohn war treu…

(Okay, an dieser Stelle zwei Randnotizen für die besonders Eifrigen:

Zunächst: In der Torah steht, dass, wenn der eigene Bruder stürbe, man dessen Frau heiraten solle, um die Blutlinie fortzuführen. Aus diesem Grunde scheinen manche Genealogien unstimmig, weil sie merkwürdige Arrangements beschreiben – oft sind Familienmitglieder gestorben und es wurde weiterverheiratet.

Zweitens: Wir dürfen nicht vergessen, dass das antike Verständnis von Biologie spärlich war. Man wußte, dass eine Frau erst schwanger wird, wenn sie mit einem Mann zusammen war – also ging man davon aus, dass der Mann im Besitz des – platt gesagt – Samens des Lebens war. Entsprechend folgerte man, dass der Mann für die Blutlinie verantwortlich sei – so kommen wir zu der langen Liste von Männernamen.)

Denn ursprünglichen Zuhörern schien diese langen Liste von Namen in keinster Weise langweilig (naja, vielleicht ein wenig) – sie war inspirierend. Gott wirkt durch Niemandes.

Und wie hält man die Rolle eines Niemands bei der Versöhnung aller Dinge fest?

Man schreibt seinen Namen auf.

Man erinnert sich seiner.

Man dankt Gott für diesen Niemand.

Und man verspricht, seinen Teil beizutragen, um die Tradition weiterzuführen.

Wir können diese Namen also überspringen, und uns fragen, warum sie in der Bibel stehen, und sie zerpflücken, weil ihnen die wissenschaftliche Genauigkeit fehlt – aber für die ursprüngliche Zielgruppe waren diese Listen – je länger, desto besser – ein Zeichen der Hoffnung.

Hoffnung, dass niemand vergessen ist. Hoffnung, dass ganz normale Menschen in normalen Berufen, die keine Helden waren oder besonders reich oder einflussreich waren – dass all diese Max Mustermanns Teil eines größeren Ganzen sind.

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