Weil es immer weniger Kinder gibt, werden überall Schulen geschlossen. Das hat zur Folge, dass die Schulen um jeden Schüler kämpfen und auch bereitwilliger Schüler aufnehmen, als sie das vor zwanzig Jahren getan hätten. Und das hat zur Folge, dass speziell den Haupt- und Realschulen die Schüler davonlaufen.
Sie werden geschlossen.
Eine, nach der anderen.
Ich unterrichte an einer größeren Gesamtschule mit etwa 1000 Schülern. Ich behaupte einfach mal, dass wir richtig gute Arbeit leisten – zumindest haben wir Jahr für Jahr weit mehr Bewerber, als Plätze und ein gutes Eltern-Lehrerverhältnis (für mich ein untrügliches Indiz für gute Arbeit). Mittlerweile platzt unsere Schule aus allen Nähten und im Zuge der Inklusion fehlen uns zahlreiche Räume für Inklusionshelfer, Förderprogramme oder Arbeitsräume (für Lehrer und Schüler). Allein die Oberstufe umfasst mittlerweile fast dreimal so viele Schüler, wie ursprünglich angedacht.
Vor knapp einem Jahr wurden wir darüber informiert, wie sich der Schulausschuss der Stadt Siegen die Zukunft vorstellt. Es wurde laut über eine weitere Gesamtschule nachgedacht und Zusammenschlüsse von Realschulen und Gymnasien zu einer weiteren Schulform (dem Realgymnasium?). Aber am Ende – so empfand ich es zumindest – kristallisierten sich zwei Optionen heraus:
- Variante 1: Die benachbarte Realschule wird mittelfristig geschlossen zusätzlich in das Gebäude eines Gymnasiums ziehen. Das freie Gebäude kann genutzt werden, um z.B. unsere Ober- oder Unterstufe zu beherbergen. Damit könnte unsere Schule dann fünf- oder sechszügig werden, weil wir dann wiederum mehr Platz haben. Wir können dem von vornherein zustimmen und der Stadt Siegen mitteilen, welche Unterstützung dabei wir benötigen.
- Variante 2: Wir wollen keine Schulerweiterung. Dann wird die Realschule trotzdem geschlossen umziehen und die Stadt Siegen beschließt unsere Erweiterung – nun aber zu ihren Konditionen. Was wir brauchen interessiert hinterher niemanden.
Aus meiner (höchst subjektiven) Sicht bin ich kein Fan einer Schulerweiterung. Weniger wegen der Größe, als der örtlichen Trennung. Wir haben an unserer Schule ein außergewöhnlich gutes Arbeitsklima und dieses wird zweifellos darunter leiden, wenn Schule in zwei verschiedenen Gebäuden stattfindet.
In den Pausen begegne ich all meinen Kollegen. Manchmal reicht es für ein kurzes Gespräch, selten für einen Kaffee aber immer für einen freundlichen Gruß. Der Gedanke, ich muss während der 20-Minuten-Pause in ein 15 Minuten entferntes, zweites Schulgebäude hasten und habe dazwischen auf meiner Agenda noch Klassenbucheinträge / Schülerfragen / Organisatorisches / Experimente aufbauen / Kopierer reparieren…. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass das unschön wird.
Gestern nun tagte der Schulausschuss und bestätigte unsere Erweiterung. Hm.
Nebenbemerkung am Rande: Die Siegener Zeitung, die bei mir noch in unschöner Erinnerung ist, weil sie einen rassistischen, hetzerischen reißerischen Artikel über die Flüchtlinge in Burbach geschrieben und behauptet hatte, die Anwohner lebten vor ihnen in Angst und Schrecken (übrigens genau das Burbach, indem zuletzt syrische Flüchtlinge vom eingesetzten Sicherheitsdienst misshandelt wurden) – jene Siegener Zeitung berichtet natürlich auch von dieser Veränderung der Schullandschaft:
ch - Chaotische Abstimmung, kontrovers-scharfe Diskussion, knallharte Vorwürfe: Wie die Schulausschusssitzung am Dienstag in Sachen Entwicklungsplanung für die weiterführenden Schulen bis ins Jahr 2018/19 hinein einmal mehr bewies, ist Siegens Kommunalpolitik derzeit in zwei Lager gespalten, die sich alles und nichts zu sagen haben.
[…]
In der leeren Schule am Hengsberg könnte sich dann die Gesamtschule Eiserfeld breit machen. Ergo wurde gleich mit beschlossen, das Gebäude als Teilstandort der Gesamtschule zu nutzen und ab dem kommenden Schuljahr die Sekundarstufe I fünfzügig (!, das bedeutet 28 mehr Gesamtschulplätze)…
Ich möchte vorsichtig darauf hinweisen, dass wir uns dort nicht “breit machen”. (Welche Assoziationen habt ihr dabei? Ungeziefer? Unkraut? …?!) Am liebsten wäre es uns, die Realschule bliebe bestehen und würde – ebenso wie wir – aus allen Nähten platzen und viele, glückliche Schüler haben. Aber das ist nicht der Fall.
Und natürlich sind es 28 Gesamtschulplätze. Aber pro Jahr. Und weil wir die Oberstufe vergrößern könnten, landen wir bei knapp 200 Plätzen.
Eine Teilung stellt das Kollegium vor große (zusätzliche!) Herausforderungen und das letzte, worauf ich Lust habe, ist eine von der Lokalzeitung zusätzlich angeheizte Stimmung, in der gegen eine saugut funktionierende Schule geschossen wird.
Aber: 30% Rabatt auf Küchen, oder?
Dass Realschulen dicht machen (müssen) ist auch Ursache des Akademisierungswahns. Ein Realschul- oder gar Hauptschulabschluss ist von der Wertigkeit im Vergleich her nicht mehr ansatzweise so erstrebenswert wie er das vor Jahren wahrscheinlich einmal war. Das wird man wahrscheinlich nicht mehr ändern können.
Schule in zwei weiter voneinander entfernten Gebäuden ist furchtbar unschön. Ich habe das einmal an einer Praktikumsschule erleben dürfen, die benötigten fast kein Lehrerzimmer mehr.
Du lachst: Um Hauswirtschaften zu unterrichten, brauchen wir eine neue Küche. Und im Ganztagsbetrieb brauchen wir eine Mensa – zukünftig womöglich an zwei Gebäuden.
Ich habe 35 Jahre an einer Schule unterrichtet, die in 2 getrennten Gebäuden untergebracht war, so wie es oben angesprochen wird. Rs gibt sicher einen Vorteil bei der Trennung von Mitte- und Oberstufe und der liegt darin, dass den Schülern beim Stufenwechsel tatsächlich ein neuer Abschnitt in ihrem Schulleben bewußter wird. Das war’s aber auch schon. Die ständigen Wechsel zwischen den Gebäuden führen zu einer permanenten Hetze, man braucht 2 Arbeitsplätze, muss immer wieder Material umschichten, Pausen entfallen beim Wechsel und wenn man Pech hat, findet man nicht mal einen Parkplatz. Lasst euch nicht darauf ein!
An der zweiten Schule gibt es kaum Parkplätze – nicht schön für Oberstufenschüler, aber richtig blöd für Lehrer.
Aber letzten Endes haben wir gar keine Wahl.
Zweierlei Oh-je beim Lesen …
Zwei Standorte – das tut nicht gut. Wir haben nur Außenklassenzimmer in der Nachbarschule im Ort, Fußweg ca. 3 Minuten mehr. Allein das bringt permanente Verspätung und allerlei organisatorisches Kuddelmuddel mit sich. Man gewöhnt sich, irgendwie, aber gut fühlt es sich nicht an.
Schlimmer aber noch haben wir Beschuss aus der Lokalpresse erlebt. Auch wir sind eine wunderbar gut funktionierende Schule, doch eines Tages kam rufmordartiger Beschuss aus Ort und Presse. Nur dank unseres sehr deeskalierenden Schulleiters (der hat die Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation wohl mit der Muttermilch eingegeben bekommen) hat sich die Lage für uns wieder gerichtet. Aber es hat schon sehr am Kollegium gerüttelt und auch in manchen Diskussionen sehr gespalten: die „Stillhalter“ gegen die „Sichwehrer“, sozusagen, etwas platt gesprochen.
Nun, wir sind heil herausgekommen damals. Euch wünsche ich auch das Beste – mögt Ihr stark genug sein, um eine gute Schule zu bleiben, auch wenn es von außen heftig weht.
Das mit den zwei Schulgebäuden ist sicher schwieriger, muss aber nicht schlimm sein. Ich habe das auch schon mal an einer anderen Gesamtschule mitgemacht.
Wichtig erscheint mir eher, dass wir weiterhin die gleiche, gute Arbeit leisten. Dass wir uns „breit machen“, liegt daran, dass die Eltern mit den Füßen resp. mit den Anmeldungen ihrer Kinder abgestimmt haben. Und bitte: Wenn von 40 angemeldeten Realschülern 19 abgelehnte Gesamschüler sind, dann spricht das ja in der Tat für sich bzw. für uns.
Wie war der Spruch mit den Zitronen und der Limonade? Wir machen das Beste draus 🙂
Und so lange sich Lehrer vor Klassen stellen, und mit ihnen Formeln singen, habe ich keine Zweifel, dass das gelingen wird. 🙂
Oh Mann! Letztens hast du uns gefragt, was uns an Schule am meisten nervt: Genau das!!! Diese „Von-oben-herab-Entscheidungen“ aus rein politischer/finanzieller Motivation heraus ohne Rücksicht auf pädagogischen Menschenverstand.
O jemine. Nanus Kommentar stimme ich voll und ganz zu.
Wegen Klassenraummangel mache ich seit 10 Jahren das Wandern zur Außenstelle mit – uns wurde ein Anbau versprochen, aber Provisorien halten am längsten, Versprechungen der Politiker dagegen… Hmpf.
Bei uns müssen auch die ausgelagerten Klassen wandern, ins Hauptgebäude zu den Fachräumen, in die Aula usw. Eine enorme Herausforderung für die Stundenplanmacher, dass man nicht 3x am Tag hinundher muss, und ein Wunder, dass in der unbeaufsichtigten Zeit (nur mit Beamen könnte man es in der 5Min.-Pause schaffen) noch nichts Gravierendes passiert ist.
Etwas Entlastung brachte zumindest die Einrichtung eines zweiten Sekretariats in der Außenstelle – das als Tipp.
Sehr interessant, wie Schulpolitik in verschiedenen Städten funktioniert – unsere Schule funktioniert auch sehr gut, aber wir bekommen einfach mal die Anweisung, die Schüler nicht aufnehmen zu dürfen, damit wir nicht zu groß werden. Also bleibt unser Gymnasium klein und unbedeutend…
Richtig ärgerlich ist die Pressemeldung, aber diesen Trend beobachte ich auch in großen Medien. Anstatt richtig und facettenreich zu recherchieren, wird einfach ein Aufreger platziert. Und soooooooo viel falsch vermittelt. Das ärgert.
Und mich ärgert auch der Akademisierungswahn. Wir brauchen die Realschüler!
viele Grüße aus der Provinz und euch viel Erfolg, dass ihr mit den Veränderungen so weit klar kommt, dass ihr noch gerne und gute Lehrer bleibt!
Vor allem interessant, wie Schulpolitik in verschiedenen Ländern funktioniert – in BaWü sind die Gymnasien (wo ich selbst unterrichte) natürlich weiterhin die beliebteste Schulart, gleich danach kommen aber die Realschulen.
Die neu eingeführten Gemeinschaftsschulen sind zwar nach neuem Lernkonzept ausgerichtet (individualisiertes Blabla, faktisch ein Mix aus Waldorfschulkonzepten und Wochenplanarbeit), greifen aber zumindest in meiner Region weiterhin vor allem die ehemaligen Hauptschüler ab.
Wie weit entfernt ist denn das bisherige Realschulgebäude von eurer Gesamtschule?
Etwas über einen Kilometer.