„Zum Glück hat von uns noch keiner einen Krieg erlebt“, sage ich im Geschichtsunterricht in der Jahrgangsstufe 12, als sich Albert meldet. „Doch, ich“, sagt er. Wir schauen ihn verwundert an.
„Wie das?“
„Als 2-Jähriger bin ich mit meinen Eltern aus dem Kosovo geflohen.“ Wir erfahren, dass Albert nach der Flucht in einem Flüchtlingsheim gelebt hat, bis seine Eltern dann nach Siegen gezogen sind. Da war er dann auch schon 5 Jahre alt.
„Naja“, sagt ein anderer, „meine Eltern sind Kurden. Die sind aus der Türkei geflohen.“
„Also wenn du so willst“, meldet sich Jana, „meine Oma ist aus Ostpreußen vor der roten Armee geflohen. Dann bin ich auch ein Flüchtlingskind.“
Wir stellen fest: von 25 Schülern haben 10 Vorfahren, die vor Krieg, Hunger, Not, Diktatur nach Deutschland geflohen sind. Alles ganz normale Deutsche: Keiner spricht gebrochen Deutsch, keiner rollt in der Mittagspause seinen Gebetsteppich aus. Flüchtlinskinder mitten unter uns, ganz normal wie jeder andere auch. Wir denken nach: Wenn in unserem Geschichtskurs schon so viele sind, wie viele sind es dann in der ganzen Schule?
Es entsteht eine Idee: Wir wollen zeigen, dass das Flüchtling-Sein ein Teil der deutschen Identität ist. Sei es als Hugenotte, Flüchtling aus den deutschen Ostgebieten, aus der DDR, aus Kriegs-bzw. Krisengebieten seit den 90ern. Man könnte einen Film machen, in dem wir Schüler mit Flüchtlingshintergrund zeigen und damit deutlich machen, dass die Flüchtlingskinder von heute schon morgen ein ganz normaler Teil der deutschen Bevölkerung sind. Wir gründen in der Jahrgangsstufe eine Whatsappgruppe zu dem Projekt „Flüchtlingskinder“ und von da an organisieren die Schüler das allein. Rund 200 Schüler werden gefilmt und fotografiert. Schließlich wird alles noch in stundenlanger Arbeit von David zusammengeschnitten.
Bitte schaut euch das Ergebnis an und teilt es mit anderen.
Und noch was: Nein. Wir sind weder blauäugig noch naiv. Nein, nicht jeder kann bleiben, und nein, ich will keinen Zaun um Deutschland, und nein, ich kenne keine einzige Frau, die von einem Flüchtling vergewaltigt worden ist. (Wer erzählt eigentlich so ne Scheiße?)
Auf jeden Fall bin ich stolz auf das Ergebnis und es zeigt auch so ein bisschen, wie wir sind.
https://youtu.be/g2smLCB-2Dc
Ein wirklich tolles Projekt. Respekt. Und beeindruckend, das die Schüler es so selbstständig getragen haben.
Applaus.
Danke 🙂
Der Film ist sehr berührend. Danke dafür! Danke für die Solidarität unter den Schülern. Danke für diese Lehrer, die ein solches Projekt unterstützen. Das macht Mut ♥
Herzlichen Dank, Frau Tellmann. Ich habe einen Eintrag bestehend nur aus dem Link zu Ihrem Beitrag geschrieben.
http://hauptschulblues.blogspot.de/2015/10/eva-tellmann-wir-sind-fluchtlingskinder.html
Das teile ich gerne. Von dieser Warte her hatte ich das noch gar nicht gesehen. Das sollten ruhig alle wissen. Es gibt nicht nur Negativbeispiele, es gibt eben auch die Positivbeispiele! (y)
Das Video findet man jetzt auch im Artikel „Flüchtlinge“ im ZUM-Wiki: http://wikis.zum.de/zum/Fl%C3%BCchtlinge#Fl.C3.BCchtlinge_und_Solidarit.C3.A4t_mit_Fl.C3.BCchtlingen_in_unserer_Gesellschaft
Die „Scheiße“ ist in Dresden passiert. Der Vergewaltiger ist aus Marokko, lebte z.Z. im Flüchtlingszelt. (!)
Das ist sehr schlimm, keine Frage. Aber es geht hier um die Behauptung, dass Asylanten generell Frauen belästigten und vergewaltigten.
Solche Typen gehören definitiv hart bestraft. Aber eben nur die, nicht die, die sich anständig benehmen.
Ich fürchte, es werden mehr Flüchtlinge vergewaltigt als umgekehrt. http://www.tagesspiegel.de/politik/sexuelle-uebergriffe-in-fluechtlingsheimen-da-haben-es-missbrauchstaeter-im-moment-sehr-leicht/12440818.html
Oh Gott, das ist grauenhaft. So etwas darf nicht passieren! 😮
Vielen Dank für die Idee, das Umsetzen und Teilen mit uns! Solche Aktionen haben eine grosse Wirkung.
Eine tolle Idee. Ich freue mich besonders über die Hassbeiträge / negativen Kommentare auf Youtube. Das ist der ideale Anker, um das Thema im Unterricht zu erweitern bzw. zu vertiefen.
Flüchtling aus Italien 1980 (oder so, jedenfalls lange nach dem 2. Weltkrieg)?! Wie das?
Habe ich mich auch gefragt. USA, Frankreich …nun gut, dafür ist es auch ein Schülerprojekt.
Stark, was deine Schüler hinbekommen!
Die jungen Menschen müssen wir zur Offenheit bekommen und da sehe ich recht gute Chancen.
Wow, hab ich geteilt und mir sind beim Anschauen wirklich die Tränen gekommen. Tolles Projekt!!!
Meine Mutter 1945 aus Ostpreußen und dann Ende der 50er aus Ostberlin.
Zweimal vertrieben, Der Yeti? Das ist grausam. Mein Gott, die Ärmste! 🙁
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