Vor einigen Monaten erfuhr ich durch Zufall, dass eine wunderbar geschätzte Kollegin in einem Musical mitsingt. Klar wollte ich und natürlich ist ein solcher Abend eine Gelegenheit, mit meiner Frau mal wieder etwas zu unternehmen. Also wurden die Karten gekauft und genau vier Wochen habe ich mich auf das Event gefreut: Bis mir klar wurde, dass am gleichen Abend das DFB-Pokalfinale stattfinden würde.
Mit Freunden habe ich in zahlreichen Gesprächen und Rollenspielen immer wieder geprobt, wie ich das meiner Frau erkläre. „Aber Schatz! Es ist doch mein geliebter BVB! Echte Liebe, weißt du?!“
In jeder Simulation durfte ich am Ende das Pokalfinale gucken – zusammen mit meinem Scheidungsanwalt. Meine Freunde waren da gnadenlos.
Die Realität sah ganz anders aus: Durch einen glücklichen Zufall bin ich an Karten für das Finale gelangt und die wunderbarste Ehefrau von allen pfeift auf das Musical und fährt mit nach Berlin. Wie wunderbar!
Die Karten fürs Musical haben wir an meine Tochter und eine Freundin weitergereicht. Sie werden einen schönen Abend genießen und wir – hoffentlich – auch. Heute Nacht geht es los.
Innerlich bin ich jedoch zwiegespalten.
Ich merke, dass der Terror der vergangenen Monate mich unsicher hat werden lassen. Sicher – die statistische Wahrscheinlichkeit eines Autounfalls oder plötzlichen Herztodes ist ungleich größer. Und doch fühle ich mich unwohl. Ich erinnere mich an Thomas De Maizière, der nach dem Anschlag auf den Bus des BVB davon sprach, sich nicht unterkriegen zu lassen. „Ich selbst habe […] als Zeichen der Solidarität mit dem BVB das Spiel im Stadion verfolgt.“
Die Nummer erschien mir damals schon wie Hohn – heute aber noch viel mehr. Eskortiert von zahlreichen Polizisten zeigt sich unser Innenminister solidarisch – welch mutige Leistung. Ich finde schon, dass er recht hat. Es gibt keinen absoluten Schutz vor diesen Verbrechern und ich bewundere die Menschen in Paris, in Ankara, in Manchester die sich aus Trotz und „jetzt erst Recht“ in öffentliche Cafés setzen und das Leben feiern.
Aber morgen stehe ich in einem vollbesetzten Stadion. Und morgen wird meine Tochter in einer vollen Arena stehen und jubeln und tanzen und singen.
Ich frage meine Kinder jeden Abend, was das Schönste am Tag gewesen ist. Bei Amy waren es die frechen Hühner, die ihr heute beim Füttern in die Hände gepickt haben. Für Carolina der Nachmittag mit Freunden in der Sonne.
Ein Teil von mir möchte sich nur noch verkriechen und die Tür zweimal abschließen.
Ich habe Angst und ich genieße und feiere und wertschätze jeden Tag.
Oh welch traurige Wendung in diesem Beitrag. Bis zum TV mit Scheidungsanwalt und dem Durchspielen vor Freunden war ich sehr amüsiert. Aber ja… auch ich schrecke vor Menschenansammlungen zurück. Und ich kann nicht mal schreiben ‚momentan‘. Denn ich kann mir nicht vorstelle, dass sich das wieder absehbar ändert. Aber es kann jederzeit und überall passieren. Ich drück die Daumen für reichlich schöne Erlebnisse- an den verschiedenen Orten.
Ja, hin und hergerissen zwischen beiden Extremen.
Wahrscheinlich sinnlos zu sagen, dass die Terroristen damit dann ja ihr Ziel erreicht haben. Das weißt du wahrscheinlich selber…
Als jemand, der in letzten Jahren hautnah mit viel Krankheit und Tod konfrontiert war, kann ich bei so abstrakten Bedrohungen wie Terrorismus nur müde mit den Achseln zucken. Das Leben kann so schnell auch in jungen Jahren vorbei sein, dass ich keine Lust habe meine Lebensfreude ans Angsthaben zu verschwenden.
Möglicherweise ändern sich diese Ansichten, wenn man Kinder hat.
Keep calm and watch football 😉
Kann das sehr gut nachempfinden – bedauerlicherweise auch die Krebs- und Krankheitsschiene. Aber Herz und Hirn sind zwei paar Schuhe…