Via Pinterest stolpere ich über einen Artikel der Brigitte „Warum Eltern ihre Kinder NIEMALS kitzeln sollten“ (oder so ähnlich). Gutgläubiges clickbaiting-Opfer, das ich bin, erwarte ich stets wissenschaftliche Erkenntnisse oder wenigstens irgendeinen Mehrwert – aber der Bericht beschränkt sich auf den Erfahrungsbericht der Autorin, sie habe das als Kind gehasst und in den Kommentaren stimmt jemand zu, das sei vielleicht so ein Männer-Ding, weil die sich behaupten müssen und eben Sadisten seien.
Ich selbst bekenne mich schuldig. Als Sadist Mann.
Gestern Abend, als meine Dreijährige wieder mal trödelte und noch dieses und jenes erledigen wollte, bevor es dann auch noch mindestens zwei (sie streckt mir drei Finger ihrer kleinen Hand entgegen) Gute-Nacht-Geschichten geben muss, hatte ich genug. Ich warf ihr den Schlafanzug auf das kleine Hochbett und drohte: „Ich zähle jetzt bis zehn, und wenn du dann den Schlafanzug nicht angezogen hast, kitzel ich dich durch!“
Amélie mustert mich einen Augenblick und kräht dann: „Nein!“ Sie greift den Schlafanzug und wirft ihn vom Bett. „Ich zähle jetzt bis zehn und wenn du mir dann den Schlafanzug nicht angezogen hast, kitzel ich DICH durch!“
Ich verliere. Natürlich! So schnell kann ich gar nicht reagieren, wie sie schon bis drölf gezählt hat und sich auf mich stürzt.
„Lehrers Kind und Pfarrers Vieh geraten selten oder nie“, spricht der Volksmund. Ich frage mich, wann in der Brigitte ein Artikel über sadistische Dreijährige erscheint, die ihre Eltern kitzeln foltern. Vielleicht ist Ungehorsam so ein Kinder-Ding.