Weil es hier und da in meiner Klasse knirscht, berufe ich einen Klassenrat ein. Die ersten Wochen und Monate sind vergangen, die Kinder fühlen sich in der Schule wohl und testen Grenzen aus. Untereinander, bei den Pausenaufsichten und natürlich im Unterricht. Dies ist in jeder Klasse jeder Schule weltweit das gleiche.
Ich höre gerade „Born A Crime“ des südamerikanischen Comedian Trevor Noah und muss abwechselnd lachen und schlucken. Ein tolles Buch. Noah schreibt über seine Kindheit während der Apartheid und auch, was für ein Tunichtgut er in der Schule gewesen ist. Ob das Verstecken der Linsen aller OHP-Projektoren oder die Modifizierung des Klaviers am Tag vor einem Konzert – Noah beschreibt sich selbst als Alptraum jeden Lehrers. Dabei, so formuliert er, ging es ihm nicht darum, Dinge zu zerstören – ganz im Gegenteil: Er erschuf kreatives Chaos um zu sehen, was geschieht. Dieser Perspektivwechsel – nicht das Zerstören, sondern das Erschaffen steht im Vordergrund – hat mich sehr beeindruckt. Und es hat mich entspannt.
Im Klassenrat lasse ich meine Schülerinnen und Schüler zunächst schriftlich reflektieren, was schief läuft und wo der eigene Anteil daran liegt. Anschließend sammeln wir im Plenum an der Tafel, welche Punkte als störend empfunden werden. Bei größeren Punkten frage ich, wer sich davon angesprochen fühlt und schreibe Namen auf. Es soll nicht denunziert werden, sondern die Kinder sollen sich selbst melden. Vertrauen und Ehrlichkeit halte ich für die absolute Basis des Miteinanders und in diesem kleinen Klassenrat lernen die Schüler, dass sie mir vertrauen können. Ich schimpfe nicht, sondern halte nur fest.
Der anschließende Stuhlkreis wird vom Klassensprecher moderiert, seine Vertreterin protokolliert eifrig mit.
Typisch ist, dass die Kinder zunächst völlig auf die Konsequenzen fokussiert sind. „Wenn jemand an der Tafel steht, dann muss er die Mensa putzen.“ „Wenn jemand zum Waschbecken geht, muss er fünfzig Cent bezahlen.“ „…muss er Samstags in die Schule kommen.“ „…werden die Eltern angerufen“.
Ich habe Zeit.
Und die nehme ich mir auch.
Irgendwann sinkt die Stimmung aber merklich. Überall wird gemurmelt. „Herr Klinge, es ist langweilig“, beschwert sich Justus, „und es bringt doch nix. Keiner hört zu.“
Und genau das ist das Problem – sobald niemand von vorne mit straffen Zügeln führt, entsteht (na klar! es sind Kinder!) Unruhe. Ich muss mich selbst mühen, den Frust der Klasse auszuhalten – denn genau das will ich ja: Dass sie selbst feststellen, wie unbefriedigend die Situation ist. Justus ist zunehmend genervt und versucht auf die Klasse einzuwirken.
Und endlich, endlich, wird genau das thematisiert: Zwei, drei Kinder bemühen sich aktiv um Ruhe. Nur zwei, drei Kinder. Nur!
Ein großer Teil sitzt passiv da.
Am Ende zweier langer, sehr langer Stunden fassen die Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse zusammen. Es wird sich um Besserung bemüht, klar. Aber vor allem werden auch jene in die Pflicht genommen, die eigentlich gar nicht stören. Aber die durch ihre Passivität den Störungen Raum geben.
Kurz vor Ende des Unterrichts sind wir alle geschafft. Aber nicht unzufrieden.
Nächste Woche werden wir uns zusammensetzen und schauen, ob es funktioniert hat. Bis dahin ist es noch ein Weg.
Da fühle ich mich gleich sehr angesprochen! Bei mir wird der Klassenrat auch gerade iniziiert (großes Thema: zu große Lautstärke der Klasse) und ich hoffe, dass sich da irgendwann eben das einschleift, was du auch angesprochen hast: dass diejenigen, welche von der Lautstärke gestört sind, selbst Initiative ergreifen und den Störern vermitteln, dass so ein Verhalten nicht gewünscht ist. Aber dafür braucht man wohl einen laaaaangen Atem!