Als meine jüngste Tochter zu dieser Familie stieß, musste sie sich ihren Platz erkämpfen zwischen einem mitteilungsfreudigen Lehrerpapa, einer redebegeisterten Pastorinnenmama, einer energiegeladenen großen Schwester und geduldigen Großeltern.
Immer wieder staunten wir, wie sie sich mit ihren kleinen Ellbogen Gehör verschaffte. Wenn sie mit dem Hund spielt, höre ich mich selbst in ihrer strengen Stimme. Dieses Kind verfügt über ein wenig zu viel Selbstbewusstsein.
Heute war ihr erster Elternsprechtag. Das erste, was ich ihrer Klassenlehrerin mitteilte war meine Dankbarkeit über ihren Unterricht – denn meine Kleine liebt Schule. Ihr Lieblingsfach ist Deutsch. Und natürlich Mathematik. Aber Sport ist so toll. Und Englisch erst! Blöd sind vor allem die Wochenenden und Ferien. Ein Traum. Wenn auch ein anstrengender.
Überrascht war ich jedoch, als die Lehrerin ansprach, meine Tochter wäre im Unterricht durchaus unsicher und zurückhaltend. Bevor sie eine Aufgabe anginge, würde sie erst noch ein-, zweimal nachfragen.
Hm. Die gleiche Tochter, die der Oma droht („Wehe, wenn du gleich schläfst oder weg bist! Ich will mit dir spielen!“). Das gleiche Kind, das so wüst mit mir tobt, dass ständig einer heult (meist sie, manchmal ich) ist im Unterricht zurückhaltend?
Natürlich ist das so. Die meisten Kinder sind so.
Wie oft habe ich selbst schon Eltern mit großen Augen vor mir sitzen gehabt, die in meinen Worten ihre eigenen Kinder nicht wiedererkannt haben. Es tut ein bisschen weh, festzustellen, dass mein kleines Mädchen ein eigenes Leben führt. Ihren Weg geht. Loslassen gehört nicht zu meinen Stärken.
Aber es tut auch gut, festzustellen, dass meine Tochter wie alle anderen ist. Zu Hause anders, als in der Schule. Zwei Gesichter.
Die Klassenlehrerin bat uns, das Kind zu ermutigen. Das Selbstbewußtsein stärken. Aber, ganz ehrlich, hier zu Hause geht das nicht. Meine Frau und ich leben jetzt schon in Angst.