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Das Drama des begabten Kindes.

„Papa, wenn du keine Lust hast, musst du nicht zu meiner Zeugnisverleihung kommen.“ Der Vorschlag meiner ältesten Tochter, ihre Abschlusszeremonie zu schwänzen, hat mich nachdenklich gemacht und erinnert mich an Alice Millers „Das Drama des begabten Kindes“.

Einer meiner Lieblingsblogs ist der von Roland Kopp-Wichmann, der immer wieder von Beratungsgesprächen erzählt und diese für den Leser Stück für Stück darlegt.  Ich lese (und lerne) überaus gerne mit. In seinem letzten Artikel erwähnte er Alice Millers „Das Drama des begabten Kindes“ und machte mich neugierig.

Das Drama des begabten Kindes

Alice Miller beschreibt in ihrem Buch (Amazon-Link) die These, dass Eltern die eigene Kindheit reflektieren müssten, um das eigene Verhalten zu verstehen. Wer das nicht tue, laufe Gefahr, Muster der eigenen Vergangenheit zu wiederholen. Ihre Sicht erscheint mir sehr problemorientiert (und das empfinde ich als problematisch), aber einzelne Aspekte empfand ich sehr treffend:

Ein begabtes (sensibles) Kind unterdrückt die eigenen Gefühle, um von den Eltern akzeptiert zu werden.

Das Kind einer alleinerziehenden, gestressten Mutter beginnt vielleicht den Haushalt zu machen und Essen zu kochen, damit die Mutter nicht so erschöpft ist. Das Kind eines strengen, leistungsorientierten Vaters wird sich in der Schule umso mehr um gute Noten bemühen, um die Anerkennung des Vaters zu erhalten.

Die Kinder dürfen keine Kinder mehr sein, nicht mehr sie selbst sein, sondern werden zu passenden Gegenstücken ihrer Eltern.

Familienleben

Das Drama des begabten Kindes. 1„Papa, wenn du keine Lust hast, musst du nicht zu meiner Zeugnisverleihung kommen.“ Das wird nichts besonderes: Einzug, ein paar Reden, wir bekommen die Zeugnisse und fertig.“

Ich frage mich, ob sie das sagt, weil es ihr wirklich nicht so wichtig ist – oder ob sie das sagt, um mir keine Umstände zu machen. Und, gewissermaßen auf einer Meta-Ebene, könnte sie das eine vom anderen überhaupt unterscheiden?

Ich weiß es nicht.

In den letzten Wochen habe ich mich das an vielen Stellen unseres Familienlebens still gefragt. Welche Entscheidungen treffen meine Töchter, weil sie sind, wie sie sind – und welche, um meinen Erwartungen zu entsprechen? Basierend auf dieser Erkenntnis: Wie sehr soll und darf und muss ich eine Erwartungshaltung an meine Kinder haben und wie sehr soll und darf und muss ich sie ihren eigenen Weg gehen lassen?

Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.

Ist es verwerflich, jemandem den Hunger auf Lernen beizubringen? Die Lust auf „produzieren“ statt „konsumieren“?

Trauma! Trauma!

Ich würde immer gerne einmal zu einem Psychiater gehen, und meine Persönlichkeit analysieren lassen: Warum mag ich die Dinge, die ich mag? Warum bin ich, wie ich bin? Ich bin eher neugierig als problemorientiert – allerdings skeptisch: In meiner Vorstellung kann alles zu einem Trauma werden, wenn man nur lange genug daran herumknabbert. „Oh, ich habe keinen Haken im Kindergarten gehabt? Ach herrje…“

Ähnlich wie meine von Narben zerfurchten Knie kann ich mit meiner Vergangenheit ganz gut leben. Im Alltag bemerke ich das gar nicht. Aber klar, zwei Nachmittage mit Heidi Klum („Oh je! Das sieht leider gar nicht schön aus!“) und mein Selbstbewusstsein („So kannst du dich eigentlich nirgendwo blicken lassen!“) würde zerstört („Das ist leider das Ende deiner Reise!“).

Am Ende sind meine Kinder vermutlich einfach glücklich, so wie sie sind. Es gibt gute und blöde Tage, aber am Ende geht das alles in die richtige Richtung.

Und klar: Zur Zeugnisverleihung bin ich natürlich gegangen – meine Frau hat mich gezwungen.

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