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Mose würde ein iPad nutzen.

TwitterVor einigen Tagen bin ich über genervten Tweet eines Lehrerkollegen bezügl. der Digitalisierung an seiner eigenen Schule gestolpert:

„Das Geile an der #Digitalisierung ist, dass wenn du in jahrelanger Arbeit den Schulträger überzeugst, die Infrastruktur auszubauen und die SL beackert hast, dass gehandelt werden muss und man Geld/Personal braucht, immer noch die KuK da sind, um alles schlechtzureden…“
(Quelle)

Ich bin an der Einschätzung hängen geblieben. Nicht so sehr, weil ich meine eigene Schule darin wiedergefunden hätte (den Prozess der Digitalisierung haben wir vor einiger Zeit abgeschlossen), sondern weil er die Geburtsschmerzen von Veränderungsprozessen grundsätzlich beschreibt.

Dies ist im schulischen Kontext genauso zutreffend (z.B. Jan Vedder in einem bemerkenswerten Artikel in der ZEIT über Prozesse, die Corona an seiner Schule angestoßen hat), wie im öffentlichen Dienst (wenn die Stadt München Linux einführt: Quelle) oder auch zu Hause, wenn meine Frau mal ein neues Restaurant ausprobieren („Wozu denn? Mit dem alten sind wir doch zufrieden..!?“) oder ein Zimmer neu streichen will („Im Ernst? Soviel Arbeit! Ich finde, es geht doch noch.“)

Tendenziell sind unsere Gehirne auf simplifizierte Strukturen, Routine und Sicherheit angelegt. Veränderungen mögen wir nicht so gerne, denn sie erfordern den Ausbruch aus der eigenen Komfortzone. Oft genug gibt es jedoch gute Gründe für die Veränderung: Digitalisierung, Klimaneutralität. Und auch im Falle des Kinderzimmers, in dem sich mittlerweile drei junge Damen mit Stiften auf den Wänden verewigt haben, gibt es gute Gründe für Veränderungen.

Im Grunde tragisch ist, dass sich unser Verhalten seit 3000 Jahren kaum verändert hat. Damals floh das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei in Richtung „gelobtes Land“. Die Situation war brutal, gnaden- und perspektivlos geworden und die Zukunft versprach Hoffnung und ein besseres Leben für jeden einzelnen und die nachfolgenden Generationen.

Ziemlich klare Sache, sollte man meinen. „Leute, es wird nicht einfach, aber wenn wir das durchstehen, dann haben wir eine Chance. Dann wartet auf uns eine glorreiche Zukunft!“

Der Witz vieler biblischer Geschichten ist nicht, ob sie sich wirklich so zugetragen haben, sondern dass sie sich immer noch so zutragen. Denn kaum haben die flüchtenden Israeliten die Sklaverei hinter sich gelassen, beginnt auch schon das Murren. Alle zwanzig Schritt halten sie an und diskutieren. „Hach, so schlimm war das doch gar nicht!“ „Ich hab schon immer gewusst!“ „Wessen Idee war das überhaupt?“

Ich bin von einem weiter entfernten Gymnasium eingeladen worden, ihren pädagogischen Tag zu begleiten und über „Digitalisierung in der Schule“ zu referieren. Eine Schlüsselerkenntnis ist für mich, dass Veränderungsprozesse jeder Art viel schneller, viel reibungsloser und viel schmerzloser abzuschließen sind, wenn alle Beteiligten am gleichen Strang und in die gleiche Richtung ziehen. Seit dreißig Jahren wird darüber gestritten, ob Tablets gut oder schlecht für die Augen sind. Ob die Handschrift darunter leidet. Ob die Kinder nicht sowieso schon zu viel an den Bildschirmen hängen. Und wie man kontrollieren wolle, das damit kein Unsinn getrieben würde.

Alle zwanzig Schritte halten die Israeliten an und diskutieren.

Mose Auszug aus Ägypten Reiseroute

Laut Google Maps dauert ein fiktiver Fußmarsch von Kairo nach Jerusalem geschlagene 148 Stunden. Das sind harte drei  oder gesunde fünf Wochen.

Aber in der Bibel lesen wir, dass die Israeliten 40 Jahre durch die Wüste ziehen. Das erscheint zunächst völlig absurd – die Interpretation ist aber spannend: 40 Jahre entsprechen einer Generation. Eine Generation von Menschen, die murrt und sich nicht anpassen kann, anpassen will. Eine Generation, die den Klimawandel aussitzt. Die die Digitalisierung ausblendet. Die Veränderungsprozesse nur widerwillig mitträgt.

Eine Generation von Menschen, die das Ziel der Reise nicht mehr miterlebt.

Als im 14. Jahrhundert die Lieder in Klöstern zunehmend komplexer wurden, ward es auch mühevoller, sie auswendig zu lernen. Zur Freude der jüngeren Mönche konnte man die Texte bei Kerzenschein jedoch einfach ablesen. Man könnte sagen: Künstliches Licht – eine Technologie – erleichterte den Jüngeren den Zugang. Aber.. Aber: Die älteren Mönche waren skeptisch: Diese „Kerzen-Technologie“ könnte das Gedächtnis schwächen. (Quelle)

Ist es nicht verrückt, dass eine dreitausend Jahre alte Geschichte, über die ich heute den Kopf schüttle, immer noch so aktuell ist?

Mose würde ein iPad nutzen. 1Mose würde heute ein iPad nutzen, um den Marsch zu organisieren – und viele fänden das richtig blöd. „Gemeinschaft vor Technik“ hätte es vielleicht geheißen.

Die eigentliche Frage ist: Zu welcher Generation gehöre ich? Gehe ich auf der langen Wanderung verloren oder erlebe ich das Ziel der Reise?

4 Gedanken zu „Mose würde ein iPad nutzen.“

  1. Hallo,
    als Religionslehrer und von Ihnen karikierter Digitalisierungsskeptiker möchte ich mal in dem von Ihnen gebrauchten Mose-Bild antworten. Die Digitalisierung wird ja von ihnen als das Land dargestellt, in dem Milch und Honig fließen. Erstmal dort, wird alles paradiesisch. Auf dem Weg dorthin ist man mit Manna von Google gut versorgt und den Weg weist die Bertelsmannstiftungs-Feuersäule.
    Immerhin haben die sich Blasen gelaufen habenden Bedenkenträger Israels eine gesellschaftliche Rahmenordnung erkämpft, wie das in dem neuen Land laufen soll. 10 Gebote immerhin, die als Verfassung ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen sollten.
    Es geht ja bei den Bedenken zur Digitalisierung nicht nur um etwas personalisierte Werbung und höheren Stromverbrauch sondern darum, dass unsere Gesellschaft und Wirtschaft grundlegend umgebaut werden wird. Hierfür bräuchte es ein paar Gebote, die klar machen, wie wir uns diese Veränderung wünschen und nicht wie wir sie als alternativloses Schicksal noch als das neue Jerusalem verkaufen.
    Als die Israeliten das Land Kanaan erreichten, erwies es sich nicht als das Traumland, das man sich erhofft hatte. Es war vieles glänzend und verheißungsvoll, aber davon eine gesellschaftliche Utopie zu erreichen, war man noch sehr weit entfernt.
    Anstatt mir von amerikanischen Konzernen vorschreiben zu lassen, was ich unter Demokratie zu verstehen habe, würde ich lieber eine breite Diskussion sehen, welche Rolle Digitalisierung in unserer Gesellschaft spielen soll. Felix Stalder ist für mich da eine interessante Lektüre gerade.
    Mit freundlichen Grüßen
    Martin Wedler

    1. Sie hören keinen Widerspruch von mir. Diskussionen sachlicher Natur sind wichtig und Teil des Prozesses.

      Aber, um im Bild zu bleiben, es wurde nicht diskutiert, sondern „gemurrt“. Es wird vergangenes verklärt.

      Nüchtern betrachtet war der Aufbruch als solcher unumgänglich.

      1. Des einen Utopie ist des anderen Hölle.
        Wichtig scheint mir die uns Lehrern häufig anhängende Defizitorientierung zu überwinden und konstruktiv einen gemeinsamen Weg zu finden.
        Grüße vom weit entfernten Gymnasium

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