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Neues Lehrerzimmer, altes Kollegium: Von Twitter, Mastodon und BlueSky

Von außen weitgehend unbemerkt hat sich in den letzten Tagen ein größerer Umzug ereignet: Das Twitterlehrerzimmer #twlz (eine online-Community von Lehrkräften/Erzieher*innen) ist im Begriff, sich aufzulösen umzuziehen – und es sieht aktuell so aus, als wäre der TippingPoint erreicht: BlueSky ist das neue Twitter.

Wie ich Social Media nutze

Instagram, Pinterest & Facebook begegnen mir nur, wenn ich entsetzliche Langeweile habe und auf etwas oder jemanden warten muss: Im Auto vor der Musikschule z.B. SocialMedia ist für mich zunächst ein stumpfer Zeitvertreib zur Bekämpfung meiner Langeweile. Ich bin passiver Konsument ohne Interaktionen oder eigene Aktivitäten.

Ein echtes Interesse an Aktionen habe ich nur dann, wenn ich Teil einer „Community“ bin, die wertschätzend miteinander umgeht und einen Austausch pflegt. Dazu braucht es eine kritische Masse von Teilnehmenden bei großer Heterogenität der Userschaft.

Mein (Das?) Ende von Twitter

Das #Twitterlehrerzimmer war in den letzten Jahren eine der größten, aktiven Communities, wenn es um die aktive Gestaltung von Unterricht ging: Lehrkräfte teilten ihre Unterrichtsideen, verwiesen auf pädagogische Artikel und in den Kommentaren wurde Rückfragen gestellt, Einschätzungen diskutiert und Ideen eingeworfen. Ein absoluter Gewinn – viele wirklich tolle Ideen habe ich von Twitter.

Im vergangenen Jahr hat sich das geändert. Ich würde das nicht nur der Übernahme von Twitter durch Elon Musk zuschreiben: Der Ukraine-Krieg, wirtschaftspolitisch schlechte Entwicklung, Künstliche Intelligenz.
An allen Ecken und Enden herrscht Unzufriedenheit, Angst vor wirtschaftlichem Abstieg und alte Werte werden in Frage gestellt. Dies überträgt sich auch in die Sozialen Medien, die Unzufriedenheiten stets noch verschärft darstellen.

Im Jahr 1 nach Musk hat die Zahl von Porno-Accounts, Hass- und Fake-Accounts und Crypto-Konten massiv zugenommen. Dazu jede Menge Empörungs-Accounts, die ihre große Reichweite erzielen, indem sie erfundene Geschichten aus dem Leben teilen: „Seht mal, wie der Mathelehrer diesen Test korrigiert hat!!!“ „Bundesjugendspiele sind die Pest und ich habe sie gehasst“.

Dies alles führte (indirekt) dazu, dass die Zahl an Tweets der Kategorie: „Frische Unterrichtsidee“ spürbar abgenommen hat. Wenn eine (angebliche) Ferien-Mail einer Lehrerin viel mehr Reichweite erzielt und hitziger diskutiert wird, als eine pfiffige Unterrichtsidee – dann spart man sich das irgendwann.

Twitter verliert für die Bildungscommunity spürbar an Relevanz. Und zwar nicht nur das #twitterlehrerzimmer, sondern Wissenschaft allgemein: Quelle.

Mastodon ist für mich gescheitert

Eine Alternative im vergangenen Jahr war das dezentrale Netzwerk „Mastodon“. Auch hier gibt es eine Bildungscommunity – die aber (für mich!!) gescheitert ist. Durch einen komplizierteren Anmeldeprozess, unterschiedliche Instanzen (häh?) und ohne jeden Algorithmus gestaltete sich der Einstieg schwer. Wer Twitter eher zum konsumieren nutzte, verspürte wenig Lust, sich in Mastodon einzuarbeiten.

Keine kritische Masse. Kein TippingPoint.

Das führte im nächsten Schritt dazu, dass es auf Mastodon überproportional viele engagierte OpenSource-Anhänger gibt: Und dies mit all seinen Vor- und Nachteilen. Die User dort sind Experten, haben Ideen und sind (zurecht) kritisch gegenüber Firmen und zentraler Steuerung. Dies führt aber leicht zu einer Rechthaberei und einem zuweilen arroganten Unterton. Anekdote: Eine bekannte Lehrerfortbildnerin kommentierte meinen Blogartikel über meine Teamspiele, sie würde mich für solch schwarze Pädagogik „gerichtlich belangen“ wollen. Yeah. Alles knusper?

BlueSky macht aktuell das Rennen

Neues Lehrerzimmer, altes Kollegium: Von Twitter, Mastodon und BlueSky 1

Eine Alternative zu Twitter ist aktuell BlueSky, das Twitter sehr ähnlich ist, aber umfangreiche Filtermethoden erlaubt. Größte Hürde ist aktuell, überhaupt hineinzukommen: Jeder aktive User erhält alle ~10 Tage einen Code, um einen Freund einzuladen. Ich vermute, dass dadurch ein langsames Wachstum gesteuert werden soll, bevor ein kurzfristiger Hype entsteht (siehe „Threads“) der schnell wieder abebbt.

Ich glaube, dass der TippingPoint trotzdem schon erreicht ist.

Zunächst ist BlueSky Twitter so ähnlich, dass der Einstieg wirklich leicht ist. Außerdem gibt es dort sogenannte „Feeds“, also kuratierte Gruppen (siehe Screenshot). Eine der Gruppen heißt schlicht ‚Lehrer:innen‘ und jeder Beitrag, der irgendwie mit #twlz oder #bluelz oder #lehrerzimmer gekennzeichnet ist, findet sich dort wieder. Abonniere ich diesen Feed, habe ich das neue #Twitterlehrerzimmer immer direkt dabei. Eine gewaltive, kostenlose Fortbildung ohne Zeitdruck mit engagierten, tollen Lehrkräften aus ganz Deutschland.
(Auf dem Screenshot zu sehen: Auch das ‚Wow der Woche“ #wowdw lässt sich so anpinnnen, wenn man nur highlights lesen will)

Es gibt Feeds, die wie Filter funktionieren: Mit wenigen Klicks kann ich so Crypto-Porno-Nazi-Accounts für mich stilllegen.Diese kuratierten Listen werden sorgsam gepflegt – es herrscht großes Interesse, den Laden für sich sauberhalten zu können. (Wer Bock auf Pornos, Crpyto, Nazis hat, kann ja entsprechend Feeds abonnieren, in denen linksgrünversifte woke Lehrer*:_innen und Gutmenschen stummgestellt sind. Alles cool.)

Aktuell sind schon knapp 100 Kolleg*innen des alten Twitterlehrerzimmers dort, bekommen Codes und reichen die an interessierte Kolleg*innen auf Twitter weiter. Der Laden wächst rasant.

Im Laufe der Jahre habe ich bei Twitter über 9000 Follower angesammelt – das aufzugeben ist nicht ganz leicht. Und doch fühlt sich die Zeit bei BlueSky gerade leicht und gut an: Es herrscht wieder jene wertschätzende Atmosphäre, die ermuntert, Lust auf Unterricht macht, nicht so sehr auf Selbstvermarktung abzielt (die negativen Seiten des Insta-Lehrerzimmers) und zum Diskutieren einlädt. Macht gerade richtig Laune.

37 Gedanken zu „Neues Lehrerzimmer, altes Kollegium: Von Twitter, Mastodon und BlueSky“

  1. Pingback: BlueSky ist das neue Twitter | digithek blog

  2. Wir sind viel mehr als hundert Leute im twlz. Das wird noch dauern, bis ich endlich abgeholt werde. Ich stehe auf der Warteliste und winke, wenn jmd. Codes vergeben will. Aber wenn es länger als 8 Wochen dauert, zu Bluesky zu kommen, dann höre ich eben komplett auf. Dann stöber ich einmal im Jahr in diesem und jenem Blog und das war’s.

  3. Pingback: Denselben Fehler sollte man nur einmal machen – Boris Blog

  4. Ich finde ja, die Tatsache, dass hier alle um Einladung bitten müssen wie die SuS weiland am Lehrerzimmer um ein Gespräch mit den Lehkräften macht schon deutlich, dass BlueSky eigentlich kein geeignetes Heim ist. Es ist exklusiv, es ist wahrscheinlich nicht dezentral, und letztlich kann es damit auch von den Elons dieser Welt zerschossen werden. Dann lieber ein wenig zu viel OpenSource-Euphorie bei Mastodon. Denn auch wenn ich z.B. keine Nextcloud-Hymnen mehr getrötet bekommen mag, haben die Verfechter dessen in der Sache recht.

    1. Nun, auch GMail war mal nur mit Einladung verfügbar – kräht heute auch kein Hahn mehr nach. Als Möglichkeit des langsamen Wachstums finde ich das in Ordnung.

      1. Ja, aber mit langsamem Wachstum geht hier ja eine Einschränkung/Beschränkung/Exklusivität des Diskurses einher. Das ist IMHO anders gewesen bei Gmail, weil es ja letztlich nur ein weiterer Maildienst war/ist, aber keine in sich geschlossene Plattform.

  5. Pingback: Blue Sky vs. Mastodon - Herr Mess

  6. Moin Jan-Martin!

    „Durch einen komplizierteren Anmeldeprozess, unterschiedliche Instanzen (häh?) und ohne jeden Algorithmus gestaltete sich der Einstieg schwer. Wer Twitter eher zum konsumieren nutzte, verspürte wenig Lust, sich in Mastodon einzuarbeiten.“

    Spannend. Ein Anmeldeprozess mit E-Mailregistrierung ist deinem Empfinden nach komplizierter als einer mit Invitelink, Telefonnummer und E-Mailadresse. Weiter: Föderierte Netzwerke bzw. deren Pendants gibt es in unserem Alltag schon sehr lange und wir nutzen Sie ganz selbstverständlich – z.B. ist der Strom- und Gasmarkt ein föderierter. Im Strombereich streben wir eine Dezentralisierung sogar an, um mehr Kontrolle von großen Konzernen wegzubekommen. Die Struktur kennen wir eigentlich. Das „Einarbeiten“ kann es für mich daher eigentlich nicht sein – aber man muss immens mehr Arbeit in den Aufbau des eigenen Umfeldes stecken – da gehe ich mit.

    Bluesky läuft mit dem üblichen „kapitalistischem Betriebssystem“ ohne ein für mich bisher erkennbares Geschäftsmodell. Das Kapitalisierungsinteresse eines Elon Musk ist für mich ein weiterer Grund für die Veränderungen auf Xitter. Kann bei Bluesky gutgehen – der Blick in die Geschichte zeigt, dass das nicht zwingend gutgehen muss. Kann auch ein Clubhouse-Revival werden – muss aber nicht.

    „Es herrscht wieder jene wertschätzende Atmosphäre, die ermuntert, Lust auf Unterricht macht, nicht so sehr auf Selbstvermarktung abzielt (die negativen Seiten des Insta-Lehrerzimmers) und zum Diskutieren einlädt.“

    Jetzt kommt ein typischer, begeisterungsbefreiter Maik: Jedem Anfang liegt ein Zauber inne. Daher ist das Neue natürlich immer spannend – aber eben keine Garantie dafür, dass nicht ähnliche Mechanismen einsetzen, die bei Xitter auch schwierig wurden – wir sind ja Menschen mit Bedürfnissen, die da interagieren. Das ist bei Mastodon natürlich gar nicht anders. Diese von dir beschriebenen Dinge werden auf jeder Plattform passieren – das war in den Newsgroups der 90er so und es wird auch auf Bluesky / Fediverse so sein.

    „Das führte im nächsten Schritt dazu, dass es auf Mastodon überproportional viele engagierte OpenSource-Anhänger gibt: Und dies mit all seinen Vor- und Nachteilen. Die User dort sind Experten, haben Ideen und sind (zurecht) kritisch gegenüber Firmen und zentraler Steuerung. Dies führt aber leicht zu einer Rechthaberei und einem zuweilen arroganten Unterton.“

    Ja, die gibt es. Kann man ausblenden. Arroganz ist ja auch kein harter Marker. Aus der M$-Eduszene gab es z.B. wenig bis gar nichts dazu, dass über einen Zeitraum von 3 Jahren im Prinzip alle Tenants dieser Welt offenlagen – durch einen schweren Fehler bei der Konzeption des Schlüsselsystems von O365. Dazu so gar nichts zu sagen hat für mich z.B. auch etwas Schwieriges – da geben sich beide „Szenen“ m.E. jetzt nicht so viel … Kann man machen. (Ich sage dazu nichts, weil ich dann wahrscheinlich auch arrogant rüberkomme und das werden eh andere Fachpersonen einschätzen).

    An Bluesky ist für mich bisher nichts anders als an Twitter zu Anfangszeiten. Ich wünsche wirklich, dass die Menschen und Communities es diesmal anders machen, ihre Erfahrungen der teilweise letzten Jahre einbringen.

    Ich persönlich halte es mit Rilke:
    Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
    so müd geworden, daß er nichts mehr hält.

    … und schaue dann ggf. vorbei, wenn die Anmeldung einige Zeit mal offen war.

    Gruß

    Maik

  7. Pingback: Blue Sky vs. Mastodon - Herr Mess: ein Vergleich

  8. Würde auch gern eingeladen werden. Bis dahin könntest du deine „Tweets“ (wie nennt man das bei bluesky?) vielleicht an einer Stelle deines Blogs veröffentlichen? Wäre z.B. interessiert an deiner Sicht auf KI und Schule.

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