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Politik und Inklusion und Entlastung und Ärger. Vor allem Ärger.

Brennpunkt Inklusion

Politik und Inklusion und Entlastung und Ärger. Vor allem Ärger. 1Seit zehn haben Kinder mit Förderbedarf in NRW das Recht am Unterricht mit anderen Kindern teilzunehmen. „Förderbedarf“ kann bedeuten, dass ein Kind im Rollstuhl mit einer Assistenz am regulären Unterricht teilnehmen kann. Ich habe sechs Jahre zwei Mädchen mit Glasknochen unterrichtet und genau diese Teilhabe hat ihnen einen weitgehend normalen Schulbesuch ermöglicht.
„Förderbedarf“ meint aber auch Kinder, denen das Lernen schwer fällt. Und jemand, der kognitiv nicht in der Lage ist, dem Mathematikunterricht der zehnten Klasse zu folgen, kann aber trotzdem in Kunst oder Sport oder Biologie mit den anderen Kindern gemeinsam lernen. Insbesondere, wenn dieses Kind einen Erwachsenen hat, der mit Zeit und Ruhe Dinge nochmal erklärt und bei der Organisation des Lernens hilft.
„Förderbedarf“ meint aber auch Kinder mit emotionalen Wunden: Jungen und Mädchen, die z.B. schnell ausrasten, übergriffig oder handgreiflich werden. Diese Kinder – oft nicht diagnostiziert – tun sich schwer in der Schule und sind oft die Ursache zahlreicher Konflikte. Jede Lehrkraft, die in Doppelbesetzung unterrichtet, weiß, wie wichtig das ist, um mit solchen Kindern sinnvoll den Tag zu gestalten. Unterricht, im Sinne von „Neues lernen“, ist mit diesen Kindern in manchen Stunden kaum möglich.

In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Kinder mit diagnostiziertem Förderbedarf um fast 20% angestiegen [1] und im gleichen Zeitraum sind ebenfalls immer mehr Förderschulen geschlossen [2] worden. Die Kommunen bekamen zur Unterstützung der Inklusion vom Land zuletzt 60 Millionen Euro im Jahr. Das war zu wenig.

Nächstes Jahr sind nur noch 10 Millionen Euro vorgesehen. [3]

Ich bin selbst wirklich begeistert in der Kommunalpolitik tätig. Es bereitet mir große Freude, Abläufe kennenzulernen und das politische „System“ zu einem winzigen Bruchteil von Innen kennenzulernen. Etwas zu bewegen.

Umso weniger verstehe ich diese Entscheidung der Landesregierung. Ist denn nicht klar, was für einen Ärger das provoziert? Nicht angemessen begleitete Kinder sorgen nicht „bloß“ für ein bisschen Ärger in der Klasse – sie sorgen für frustrierte Lehrkräfte, genervte Eltern und eine zunehmende Wut auf „die Behinderten“. Seit Jahren ist Inklusion ein Reizthema: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern.“
Gekürzte Mittel bedeutet: diese Kinder werden im Stich gelassen. Bedeutet: Wut und Frust der sich am Ende auf jene Kinder & Familien entlädt, die es sowieso schon schwer haben. Bedeutet: Stammtischparolen gewinnen an Kraft. Und wenn man nach NRW schaut, sieht man sehr deutlich, wie die Schulpolitik in den letzten Jahren die Ergebnisse der Landtagswahlen mitbestimmt hat.

Außerdem: Je nach Anzahl der Kinder bekommt eine Schule „Unterrichtsstunden“ vom Land zugestanden: Wenn ich X Schüler*innen habe, darf ich Y Lehrkräfte einstellen. Und damit verbunden gibt es für die Schulleitungen sogenannte „Leitungsstunden“: Ein Schulleiter unterrichtet also weniger, weil er oft mir Organisatorischem und Verwaltung beschäftigt ist.

Entlastung von Schulen durch Verwaltungs-Fachkräfte

Schulen in NRW haben die Möglichkeit Schulverwaltungsassistenten einzustellen. Frau Feller formuliert das so:

Schulverwaltungsassistent*innen entlasten Schulleitungen und Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben, so dass sich Lehrer*innen sowie Schulleiter*innen „verstärkt ihrem eigentlichen „pädagogischen Kerngeschäft“ (Unterrichten, Erziehen, Beraten, Beurteilen, Betreuen, Fördern, Innovieren, Evaluieren) und der Qualitätsverbesserung von Schule widmen können.“ [4]

Mega. Und genau das wird ja auch allenthalben gefordert: Schulen ersticken an Personalmangel bei gleichzeitiger Aufgabenvielfalt: Inklusion, Integration, Unterrichtsentwicklung, Prüfungsformate, die Herausforderung der künstlichen Intelligenz. Eine Verwaltungsfachkraft könnte viel Organisatorisches abnehmen – Verhandlungen mit dem Schulträger, Sachaufwandsgeschichten, Elternbriefe. Dazu ist der Job vielleicht auch gar nicht unattraktiv – eine Schule ist ein sicherer Arbeitgeber.

Wie bekommt man denn so einen Schulassistenten?

„Der Einsatz einer Schulverwaltungsassistenz wird auf den jeweiligen Stellenbedarf einer Schule, die sich für den Einsatz einer Schulverwaltungsassistenz entschieden hat, angerechnet. Es erfolgt eine Anrechnung in Höhe von 1/3-Lehrerstelle.“ Man kann also einen Schulverwaltungsassistenten einstellen und dafür auf Lehrer verzichten. Alternativ kann man auch eine Reduzierung der für die Leitungszeit zur Verfügung stehenden Anrechnungsstunden in Betracht ziehen. [5; Punkt 7.4)

Und auch hier: Unverständnis.
Um einen Schulassistenten einzustellen, muss ich auf Lehrerstunden verzichten, das bedeutet: Das Kollegium (oder die Schulleitung) muss mehr arbeiten. Mehr arbeiten, wo doch schon Personalmangel herrscht? Damit ist es in Summe keine Entlastung, sondern eine Verschiebung von Arbeit.

Es ärgert mich, dass Landes- und Bundespolitik dem Bereich „Bildung“ so wenig Beachtung schenkt. Da muss mehr gehen und ich habe mir ehrlicherweise auch mehr versprochen. An allen Ecken und Enden herrschen Frust, Ärger und Protest – und die Landesregierung tut im Bereich Bildung meines Erachtens nicht genug, um die Brände zu löschen.

4 Gedanken zu „Politik und Inklusion und Entlastung und Ärger. Vor allem Ärger.“

  1. In Hamburg gibt es gar keine Verwaltungsassistenz – nur immer mehr Aufgaben. Früher in grauer Vorzeit gab es auch mal Laboranten – die haben Experimente aufgebaut und wieder weggeräumt.
    Unsere Arbeit setzt sich zu einem zu gewissen Teil aus minderqualifizierten Tätigkeiten wie dem Sortieren von Zetteln, dem Abhaken, ob alle abgegeben haben und Kopieren etc. zusammen. Diese Zeit geht von der pädgogischen Arbeit ab, die viel wertvoller ist. Niemand sieht, welche Zeit das kostet. Aber mehr Geld für weitere Stellen ist nicht da, also machen hoch bezahlte Lehrer zusätzliche Verwaltungsarbeit – das geht, weil wir keinen 9 to 5 Job haben und einfach nach der Arbeit nach Hause gehen.

    1. Jetzt mal vom Rest (dem ich zustimmen) abgesehen, aber am hochbezahlte Lehrer hab ich mich aufgegangen. Also soll man unterbezahlte Verwaltungskräfte einstellen? Die Personen, die den ganzen langen Tag die stupiden Aufgaben machen, die sie nicht machen wollen (und keine Zeit haben, schon klar, aber Lust hat man darauf jetzt auch nicht), sollen deutlich weniger verdienen? Dass hört man ja öfter, aber ich verstehe nie die Logik.

  2. Der eigentliche Skandal liegt doch darin, dass uns diese Form der Inklusion als „Fortschritt“ verkauft wird. Dabei ist das Ende der Förderschulen – so, wie es umgesetzt wird – ein einziges Geldspar- und Deprofessionalisierungsprogramm. Statt einer gut ausgebildeten Fachlehrkraft, die sich um vielleicht 15 Kinder zu kümmern hatte (oft wohl weniger?) läuft das Kind nun in der Regelschule mit, in Klassen mit dreißig anderen SuS, darunter vielleicht zweie aus der Ukraine, für die man irgendein Notsystem an Sprachunterricht installiert und die sonst am „Sprachbad“ teilhaben bzw. in „ehrlicher Sprache“: sich langweilen. Das Förderkind wird vielleicht stundenweise von irgendeiner i-Kraft begleitet, die aber i.d.R. keine Förderschullehrkraft ist, sondern ggf. eine Erzieherin, die man aus der Kita/dem Kiga wegrekrutiert hat, wo ohnehin alles zusammenbricht. Der Staat bzw. die Verwaltung spart Geld für Schulen, Fachkräfte, Ausbildung und verdeckt das mit einer Pseudoethik, statt zu sagen: Wir nehmen jetzt Geld in die Hand, weil wir eine reiche Nation sind, denkt er: Wir sparen bei denen, die sich kaum wehren können und sagt laut: „So ist es fairer für alle!“

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