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Unterrichtsentwicklung, Vorurteile und Fremdscham

Unter der Woche war ich im (bezaubernden) Alzey und habe einen Vortrag über projektorientierten Untericht gehalten. Ob ich den Leuten etwas sinnstiftenden Input geben konnte oder sie nur gelangweilt waren, lässst sich als Referent nicht ehrlich beantworten: Wenn ich vor einer Schulklasse stehe, sehe ich auch immer interessierte Gesichter vor mir. Wenn ich von der letzten Reihe aus zugucke, sieht das ganz anders aus.
Von einem Detail möchte ich jedoch gerne erzählen, weil ich lange darüber nachgedacht habe.

Wenn wir über Unterrichtsentwicklung und Schulveränderungen sprechen, dann ist das innerhalb eines Kollegiums ein hochemotionales Thema: Wir sind schnell leidenschaftliche Befürworter oder Bremser: „Ist mein Unterricht plötzlich nicht mehr gut genug?“ „Das hat zwanzig Jahre funktioniert und jetzt auf einmal nicht mehr?“ Schnell wird der Pfad des sachlichen Miteinanders verlassen.

Um dies zu illustrieren, habe ich mir etwas ausgedacht: „Ich habe jemanden mitgebracht“, erzählte ich vorne auf der Bühne und wechselte vor meinem gymnasialen Publikum ins kumpelige duzen, „jemand, der sich schon sehr freut, euch kennenzulernen.“

Und dann zog ich Lizzy aus meinem Rucksack, eine 60 Zentimeter große Therapiepuppe. Strahlte die Kolleginnen und Kollegen an, als sei dies das pädagogisch wunderbarste Geschenk auf Gottes schöner Erde. Schlüpfte mit einer Hand in den Kopf und der anderen in die Hand der Puppe und wartete eine Sekunde. Zwei Sekunden. Drei Sekunden.

Unterrichtsentwicklung, Vorurteile und Fremdscham 1

Verzweifelte Blicke. Ich bilde mir ein, dass der Schulleitung in dem Moment kalter Schweiß auf der Stirn stand.
„Wer von euch spürt gerade“, fragte ich nach einem Moment unangenehmer Stille, in der die Puppe von links nach rechts und wieder zurückblickte, „ein unangenehmes Kribbeln im Rücken. Ein Gefühl von Fremdscham. Den Gedanken: ‚Wäre ich heute morgen lieber im Bett geblieben…‘?“

Zähneknirschendes Nicken. Einige Hände gingen in die Höhe. Der Gedanke, dass ich das Kollegium jetzt eine Stunde lang mit verstellter Stimme und einer Puppe belehrte, sorgte für dezenten Unmut.

Etwas gewagt war der Einwurf, weil ich das Publikum anschließend wieder für mich gewinnen musste. Wenn die mich im folgenden für einen Spinner hielten, wäre völlig egal, was ich noch erzählte.

Interessant, dass diese Puppe (auch in mir) sofort ein Gefühl der Fremdscham auslöst – obwohl ich doch (gerade als Pädagoge) um ihren Nutzen und Einsatz weiß. Und doch. Ich musste nichts sagen. Nichts tun. Sie nur auf meinem Arm halten. Sachlichen Argumenten bin ich nicht zugänglich, wenn mir diese Puppen begegnen. Vorurteile.

Lizzy. Wer schon Lizzy heißt.

Vorurteile? Pah!

 

Ein Gedanke zu „Unterrichtsentwicklung, Vorurteile und Fremdscham“

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