Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt.
Das Thema der dritten diesjährigen Bildungs-Blogparade lautet:
Ich denke seit ein paar Tagen darüber nach und just heute, als ich über die positiven Aspekte des Berufs schreiben möchte, werden Freunde und Verwandte über verschiedene Kanäle belästigt:
Verschiedene, anonyme Konten erzählen irgendwelchen Leuten, wie schrecklich ich meinen Job ausübe. Mal als „besorgte Mutter“, mal als Kind. Mal mit großzügigem Verzicht auf eine Anzeige („ausnahmsweise!“), mal eher cringe „junge, mach was dagegen“. Aber immer ohne korrekte Orthographie.
Tja, wie attraktiv ist denn dieser Beruf heutzutage noch?
Gerade haben wir knapp ein Dutzend Praktikant*innen bei uns in der Schule, die sich Unterricht ansehen, mit Kindern und Lehrkräften sprechen und in der frühen Phase des Lebens stecken, in der man austestet, ob der Beruf der Lehrkraft wirklich etwas für einen ist. Eigentlich müsste man diese Menschen fragen, was für sie erstrebenswert ist.
Für mich gilt, dass eine Vielzahl von Faktoren nötig ist, um diesen Beruf für mich nach wie vor attraktiv zu halten – denn die Herausforderungen und Belastungen werden nicht weniger. Aber es gilt auch: Wenn alles wichtig ist, ist nichts wichtig, darum beschränke ich mich auf die zwei (für mich) wichtigsten Dinge.
1. Erziehungsarbeit
Jeder Morgen beginnt bei uns an der Schule mit einem halbstündigen Beratungsband. Darin klären wir Organisatorisches, verteilen die Lernbüros und sprechen über anstehende Termine. Wenn das abgearbeitet ist, bleibt Zeit für anderes: Jeden Morgen schaue ich mit meiner Klasse die Tagesschau in 100 Sekunden. Und dann geht es los: „Was ist die GDL?“ „Was sind Tarifverhandlungen?“ „Was ist Taurus?“ „Was sind das für Piraten?“
Mit meiner 6. Klasse diskutiere ich über das Pro und Contra der Cannabis-Legalisierung. Über das Für und Wider des AFD-Verbotsantrags.
Es ist diese Arbeit, die mir am allermeisten Freude bereitet: Aus jungen Menschen mündige Menschen zu machen. Jugendliche, die sich an Regeln reiben. Heranwachsende, die verstehen lernen, dass es oft keine einfachen Antworten gibt.
„Mich selbst überflüssig machen“ ist mein größtes Ziel und ich genieße es immer wieder neu, wenn ich diesem Ziel Stück für Stück näher komme.
2. Vielfalt, Forschung, Neugierde
An meiner alten Schule war ich über Jahre hinweg der Strahlenschutzbeauftragte der Schule. Diese Qualifikation muss man alle fünf Jahre erneuern und meine Erneuerung ist dem Corona-Lockdown zum Opfer gefallen. Mit meinem 10er Physikkurs beschäftige ich mich aktuell mit der Kernphysik. Wir versuchen zu verstehen, was einen Helium- von einem Wasserstoffatom eigentlich unterscheidet, wenn man sie unter dem Mikroskop betrachten würde.
Meine letzte Einheit zur Atomphysik liegt schon ein paar Jahre zurück, so dass ich mich aktuell mit viel Freude in das Thema neu eindenke.
Als Anschauungsobjekt habe ich bei Amazon eine kleine „radioaktive Taschenlampe“ erworben (Affiliate-Link*), deren Leuchtkraft (theoretisch) meine eigene Lebenszeit überdauern dürfte. Die Lampe ist mit radioaktivem Tritium und einem Leuchtstoff gefüllt. Im Hellen kaum zu sehen, leuchtet sie im Dunkeln doch merkbar und mit dem Geigerzähler messe ich etwa das Dreifache der natürlichen Hintergrundstrahlung an der Oberfläche des Glaskörpers.
Außerdem mäandere ich mit einem Geigerzähler durch verschiedene Antiquitäts- und Haushaltsauflösungsgeschäfte – immer auf der Suche nach „Omas alter Kristallvase aus Uranglas“.
Als Lehrkraft kann ich immer und immer wieder kreativ tätig sein. Ich kann Material entwickeln, selbst Forschung betreiben, Fachfremd unterrichten und einen wesentlichen Anteil meiner Arbeitszeit darauf verwenden, mich in neue, aufregende Dinge einzuarbeiten (Stichwort: Netzwerkadministrator).
Dieser kreative Faktor bedeutet mir viel und ich glaube, er ist der Lehrergesundheit überaus zuträglich. Besonders, da ich Intensität und Ausmaß selbst steuern kann.
Fazit: Arbeitet man mit Menschen, gibt es früher oder später Frust und Ärger. Erst recht, wenn man – im Rahmen der Schulleitung – oft in Krisensituationen und Problemfelder gezogen wird. Der Ärger oben ist nur die Spitze eines Eisbergs, der mich (und viele weitere Lehrkräfte) in den kommenden Jahren ereilen wird: Früher oder später wird jemand Künstliche Intelligenzen nutzen, um seinen Frust an seinem Lehrer abzulassen.
Ich glaube, dass ich angehalten bin, jene positiven Faktoren des Lehrberufes nicht nur zu achten, sondern ganz besonders in den Mittelpunkt meiner Wahrnehmung zu rücken – denn sonst wirds nach und nach ziemlich ätzend.
Ach ja, vor solch kreativen Aktionen wie oben ist man wohl nie in Berufen mit Kontakt zur Öffentlichkeit sicher. Selbst als Kirchenmusiker. Da gibt es eine Dame, die im Internet und ihrem Blog unter verschiedensten Namen fast sämtliche „namhafte“ Organist*innen Deutschlands verschmäht (alles schwule und frauenfeindliche Hochstapler) und die alle auch mit unzähligen Anzeigen beglückt
Pingback: 2024-08: Die Attraktivität des Lehrberufes – als Teil einer „Blogparade“ – SchulMUN
Pingback: Mit Begeisterung! - Bildungsweise
Pingback: Morgens nicht Recht, mittags nicht frei - was macht den Lehrberuf so attraktiv? - Gedanken aus der Schule
Pingback: Morgens nicht recht, nachmittags nicht frei - und trotzdem! (EduBlogparade #3) Die reine Leere