Der Bildungsaktivist Niels Winkelmann denkt in einem längeren Blogartikel über „digitale Transformationen“ in der heutigen Welt nach. Unternehmen und Organisationen müssen sich anpassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und diese Transformation umfasst nicht nur technologische Veränderungen, sondern auch kulturelle. Winkelmann fordert, dass Wissen geteilt wird – offene Kommunikation und Zusammenarbeit seien entscheidend.
Und er ruft auf, über die eigene Offenheit nahzudenken und darüber zu schreiben. Konkret:
- Wie öffnest Du Deinen Unterricht? In welchen Phasen öffnest Du und inwiefern spielen Partizipation, Transparenz und Förderung von Offenheit eine Rolle? Wer sind die Adressaten Deiner Öffnung? Was sind Deine Ziele?
⁃ Wie können wir systematisch professionelle Lerngemeinschaften, Formationen, Co-Plannings in Schule anbahnen? Inwiefern reichen eine gemeinsame Vorstellung von Unterricht, Öffnung und gemeinsame Reflexion? Wie können wir damit praktisch anfangen?
1. Pädagogische Partitipation
Im Rahmen der Möglichkeiten bemühe ich mich, meinem Unterricht den Anschein maximale Offenheit bei minimaler Steuerung zu geben. Ich formuliere das absichtlich so negativ, weil ich mit (unreifen) Kindern in einem pädagogischen Beruf arbeite. Echte Offenheit kann es nicht geben, weil sowohl Entwicklungsstand der Kinder und die Zwänge der Lehrpläne als auch die Rücksichtnahme in einem Gebäude mit 800 Personen keine wirkliche Freiheit ermöglichen: „Wir wollen Fangen-Fußball-spielen“ geht halt einfach nicht.
Konkrete Beispiele aus meinem Unterricht:
- Die letzten Stunden vor einer jeden Klassenarbeit frage ich die Kinder (egal ob Klasse 5 oder Klasse 10), was sie sich wünschen: Gemeinsame Wiederholung von schweren Aufgaben an der Tafel? Stillarbeit? Partnerarbeit an der Lerntheke? Thematisch sortierte Kleingrupppen? Füße hochlegen und chillen?
Stets werden Vorschläge eingeholt und diskutiert. Schnell findet sich ein Konsens, der jedem Kind Selbstwirksamkeit vermittelt: „Du darfst selbst bestimmen, wie du gerade arbeiten möchtest.“ - Aktuelles Beispiel aus meinem Beratungsband: Ich diskutiere mit meiner Klasse, ob es sinnvoll ist, die Handys morgens einzusammeln. Ich diktiere nicht von oben, sondern spreche, diskutiere, argumentiere.
(In dem Zusammenhang: Weil öffentlich gerade propagiert wird, Dänemark und Schweden würden zukünftig alles Digitale zurückfahren: Das ist falsch. Sie korrigeren einfach an den Stellen, wo es sinnvoll ist. Hier sind die originalen dänischen Empfehlungen… Quelle) - Im September steht eine Klassenfahrt an. Ich selbst habe alles organisiert, um die aufregende Ausstellung „Ziegelsteine im im Wandel der Zeit“ zu besuchen und am Tag danach ins Mörtel-Museum zu fahren. Meine Klasse hat in den letzten Wochen in Kleingruppen alternative Ziele herausgesucht, wird die am Mittwoch vorstellen und dann werden wir gemeinsam entscheiden, was anvisiert wird.
Kurz: Ich versuche möglichst wenig top-down zu unterrichten. Das geht allerdings nur, weil meine Rolle als Lehrperson völlig klar ist. Grundlage eines solchen Unterrichts ist – auch wenn es der ein oder andere nicht hören mag – Disziplin und eine strenge Gesprächskultur, die von mir aktiv gelenkt wird.
2. Systemische Partipation
Schulisch betrachtet verfolgen wir bei uns eine „Kultur der offenen Türen“. Wann immer es der Unterricht zulässt, sind die Klassenzimmertüren offen. Außerdem wird regemäßig im Kollegium hospitiert. Das verbindet und öffnet.
Im Sinne von Niels Winkelmann ist jedoch etwas anderes: Alle Fächer greifen auf einen gemeinsamen Materialpool zu, der aktiv und von allen Kolleg*innen gefüllt, überarbeitet und genutzt wird. Es gibt keine „Einzelkämpfer“ bei uns.
Dies ermöglicht jedem Kollegen, stets auf das gesamte Material aller Jahrgangsstufen zuzugreifen und ist eine Erleichterung, wenn man in unseren Werkstätten oder Lernbüros zwischendurch wildfremden Kindern gegenübersitzt.
Diese Form der Partizipation ist es, die mir letztlich am besten gefällt: Wer bei uns neu aufschlägt, muss – auch als Berufsanfänger – nicht um Material betteln oder bis tief in die Nacht Unterricht vorbereiten. Man kann auf das Fachwissen, die Unterrichtsentwürfe und das Material der ganzen Fachschaft zugreifen und dies setzt im Idealfall Energie und Zeit frei, die man in die Überarbeitung stecken kann.
Diese – systemische Offenheit – ist von der Schulleitung kurz nach Gründung der Schule initiiert und aktiv eingefordert worden.
Ich halte diese Variante der Offenheit in der Praxis für die Beste: Unser Material ist auf unsere Schülerschaft und unsere Möglichkeiten angepasst – es kann nicht 1:1 auf eine andere Schule übertragen werden. Ein gigantischer Sammelpot des Ministeriums für alle möglichen Schulen und Eventualitäten aber überflutet wieder alles: Wie im Walmart möchte ich nicht aus 18 verschiedenen Klopapiersorten und 57 verschiedenen Erdbeermarmeladen wählen. Das ist zuviel. Äquivalent dazu will ich auch nicht aus 8 verschiedenen Ideen zur Einführung des Pythagoras wählen. Wenn ich da Lust drauf habe, kann ich mich ja auf die Suche machen – aber im Alltag würde mich das überfordern.
tl;dr: Maximale Offenheit und Kooperation innerhalb einer Schule – aber darüber hinaus halte ich es für schwierig.
Du musst mit Deiner Klasse gar nicht ins Museum! Das gibt es alles Online:
https://backstein.com/news/die-geschichte-des-backsteins.
😀
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