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Der Lehrer, der ich nie sein wollte. Und der, der ich bin.

Ein Teil des Jobs in der Schulleitung besteht darin, den Meckeronkel zu spielen: Wenn reguläre Erziehungsmaßnahmen nicht mehr fruchten, wenn Kinder wiederholt gegen die Schulordnung verstoßen oder „die gleiche Botschaft mal von ganz oben“ hören müssen. In den letzten Tagen hat dieser Teil des Jobs einen (viel zu) großen Anteil in meinem Alltag eingenommen. Vielleicht bedingt durch die feiertags-zerfaserten Wochen. Vielleicht ob des schlechten Wetters. Vielleicht wegen der nahen Sommerferien. Vermutlich eine Kombination all dieser Faktoren.

Ich mag diesen Teil des Berufs nicht besonders.

Kinder erstarren, wenn ich im Klassenraum auftauche. Die Augen werden groß, die Mienen bleich. „Oh nein, der Klinge kommt!“

Das stört mich ungemein. Beim ‚Traumberuf Lehrer‘ denke ich nicht an Kinder, die in meiner Gegenwart den Kopf einziehen.

Genervt sprach ich einen Kollegen an: Heute in der letzten Stunde hatte ich NW in meiner eigenen, sechsten Klasse. Die Kinder sind müde vom langen Tag, gleichzeitig aufgedreht durch das Fach und ich rutsche wieder in die Rolle: „Hey, Ruhe, auch wenn es 15 Uhr ist. Auch mein Tag war lang. Sehr lang sogar.“

Kein Bock.

Der Kollege schlug mir ein amüsantes Spiel vor: Ein Kind spiele eine Roboter mit drei Knöpfen: An/Aus auf dem Kopf = Geh vorwärts. Linke Schulter = dreh dich nach links. Rechte Schulter = dreh dich nach rechts. Ein Roboterkind hat auch einen Ingenieur.
Ziel: Der Ingenieur muss das Kind durch die Klasse zum Basketballkorb auf dem Schulhof bringen. Soweit easy: Gute Ingenieure haben aber zwei Roboter. Und die wandern in verschiedene Richtungen los.
Das versprach genau die Art von lustiger Stunde, Gemeinschaftsgefühl und Verantwortung zu sein, nach der ich mich gerade sehnte.

Eine andere Kollegin empfahl mir folgendes: „Setz dich in die letzte Reihe und lass die Kinder mal Herrn Klinge spielen. Die sollen dich nachmachen und schauen, wer das am besten kann. Du wirst Tränen lachen!“
Eine herrliche Vorstellung. Auch das kommt auf meine ToDo-Liste von Stunden, die ich in diesem Halbjahr noch sehen will.

Statt dessen lag der Zettel vom Jugendparlament auf meinem Tisch. Bitte wählen lassen!
Schnell eine Kandidatin angeschrieben, die spontan bei uns reinschneite und sich der Klasse vorstellte: Was ist das Jugendparlament. Warum solltet ihr mich wählen? Wie kommt man da rein. Gelebte Demokratie. Wichtig heutzutage.

Anschließend schwieg ich fast eine Minute – unentschlossen, ob ich mich der Elektrizitätslehre hingeben oder lieber ein Spiel spielen wollte. „Was machen wir jetzt?“, fragte ich meine Klasse und zwei Jungs meldeten sich. Sie würden gerne ihr Referat „Wie funktioniert ein Kohlekraftwerk“ vorstellen.

Gesagt. Getan.

Das Referat war perfekt. Und zwar wirklich: Perfekt.
Kein Rechtschreibfehler, nachvollziehbare Struktur, tolle Inhalte.

Garantiert nicht von meinen Schülern gemacht. Ich stelle zwei Rückfragen zu Fachbegriffen. Verlegenes Stottern.
Mit roten Wangen gaben sie zu, die Präsentation mithilfe einer KI erstellt zu haben: Gamma.app.
…Was ein wunderbarer Gesprächsanlass ist!

Stolz erzählen sie mir, wie sie in diesem und jenem Fach damit eine „1“ abgestaubt haben. Wir unterhalten uns, was genau die Leistung ist. Und welche Note es dafür geben sollte. Ein anderes Kind meldet sich nach ein paar Minuten frustriert: „Ich habe hier zwei Stunden am Thema ‚Supraleiter‘ recherchiert und die haben mir das gerade in 2 Minuten hingezaubert. Das ist doch scheiße!“

Wir sprechen darüber – immer wieder darüber! – was genau ‚Lernen‘ ist. Ich ermuntere sie dazu, die KI zu nutzen um perfekte Präsentationen zu erstellen. Und ich fordere sie auf, KI zu nutzen, die aufgeführten Inhalte zu lernen. Zu hinterfragen. Die Kombination aus beiden ist das, was ich von ihnen will.

Am Ende des Tages ist es halb vier und wir sind kaum dazu gekommen, den Klassenraum aufzuräumen. Die Köpfe rauchen. Die Augen glänzen.

Ich hoffe so sehr, so, so sehr, dass bei dem ein oder anderen etwas hängen bleibt. Dass sie die Chance auf persönliche Assistenten nutzen. Nicht, um sich durch das (fehleranfällige) System Schule zu mogeln, sondern um selbst voranzukommen.

Und da ist er wieder: Der Teil meines Jobs, den ich über alles liebe.

 

Ein Gedanke zu „Der Lehrer, der ich nie sein wollte. Und der, der ich bin.“

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