Vor einer Woche war ich auf Klassenfahrt. Mit meiner Lieblingsklasse. Sehr spannend. Sehr anstrengend. Aber eine tolle Erfahrung.
Wir waren auf Stift Keppel zu einem sogenannten “Sozialtraining”. Dabei wird den Schülern ein festes Programm geboten, in dem es vor allem um gruppendynamische Spiele geht.
In den ein bis fünftägigen Veranstaltungen erfahren die Schüler was es bedeutet, sich aufeinander verlassen zu müssen, Probleme zu lösen, Absprachen zu treffen, diese auch einzuhalten und sich in die Gemeinschaft einzufügen und eigene Belange hinten an zu stellen. Methodisch greifen wir dabei auf die Erlebnispädagogik zurück. Hier setzen wir insbesondere Interaktions- und Kooperationsaufgaben ein, die nur gemeinsam bewältigt werden können.
Im Waldseilgarten können dann Wagnis- und Grenzsituationen in geschütztem Rahmen erspürt werden. In den Auswertungsrunden schauen wir dann gemeinsam mit den Schülern, wie die gemachten Erfahrungen in den schulischen Alltag übertragen werden können.
Die Klasse hat sich an die vorher getroffenen Abmachungen gehalten: Keine Handys, kein Alkohol, keine Zigaretten. Es gab keine nächtlichen Parties und keine zerstörten Zimmer. Das Aufräumen am Abschlusstag war binnen weniger Minuten erledigt, im Speisesaal waren die Tische hinterher blitzblank. Aus Lehrerperspektive ein absoluter Traum.
Spannend zu beobachten war, dass die Klasse immer dann hervorragend gearbeitet hat, wenn die Regeln und Ziele völlig klar waren: Bei den erlebnispädagogischen Spielen (“ihr müsst als Gruppe … Problem lösen”), beim Essen (“ich erwarte, dass …”) oder in den Zimmern. Die Herausforderungen wurden systematisch und als Gruppe angegangen und in einem Wahnsinnstempo gelöst. Zwischendurch gab es kleinere Specials wie den Hochseilgarten oder das “fliegende Eichhörnchen”, bei dem auch wir Lehrer dutzende hunderte Meter in die Luft gehoben wurden.
Schwierig wurde es für die Kinder immer dann, wenn sie Freizeit hatten. Dann stritten sich drei hier, dort waren welche unglücklich verliebt und da zwei frustriert. Ein schier unglaublicher Wechsel zwischen einer atemberaubenden Zielstrebigkeit und beinahe skurril anmutender Orientierungslosigkeit.
Dankbar bin ich, dass die Schüler keine Handys dabei hatten: Wenn sich 23 Schüler miteinander reiben, verlieben, Knatsch haben oder ganz allgemein versuchen, ihren Platz zu finden, ist das – für Kinder und Lehrer – kompliziert genug. Wären nun auch noch besorgte Eltern in diese Situation eingebrochen, wäre das nicht zum Vorteil der Kinder gewesen. Denn natürlich wollten die ersten schon am ersten Abend zu Hause anrufen und sich abholen lassen. Als wäre die Klassenfahrt keine Schulveranstaltung, sondern ein Urlaub.
Die Betreuer erzählten uns hinterher, dass solche Situationen oft vorkämen. Und leider würden die Eltern auch sehr oft kommen. “Die können selten Konflikte aushalten – und die Kinder können auch nicht!”
Die Feedbackrunde am Schluss fiel gemischt aus. Viele hatten ihren Spaß, einige waren von vorneherein lustlos erschienen und betrachteten die Klassenfahrt auch im Nachhinein als Zeitverschwendung. Woran es lag? “Schon an uns selbst”, wurde dann zähneknirschend zugegeben.
Am lustigsten ist vielen Kindern der furchtbarste erste Abend in Erinnerung geblieben:
Nach einer erfolgreichen Arbeitsphase, dem Abendessen und dem Orientieren auf dem Gelände begannen erste Streitereien und Frust über dieses und jenes. Weil die Schüler sich langsam aber sicher in Rage redeten und auf dem engen Raum immer energischer wurden, entschlossen wir uns zu einem Spaziergang um die Obernautalsperre Breitenbach-Talsperre. Etwa sechs Kilometer.
Es war furchtbar!
Nach wenigen hundert Metern beginnt es leicht zu nieseln. Verstärktes Gemurre. Nach einem Kilometer setzt heftiger Regen ein. “Sollen wir umdrehen?”, fragt der Betreuer mich. Ich schüttele den Kopf. “Zu Hause nerven die sich nur gegenseitig – die sind ja nicht aus Zucker!”
Einzelner Schüler kommen. “Herr Klinge, das Wetter ist total scheiße und wir sind durchnässt, können wir nicht umdrehen?” “Tut mir leid”, entgegne ich und spekuliere auf die mangelnden Geographiekenntnisse der Kinder, “zurück ist es jetzt auch länger, als wenn wir einfach weitergehen.” “Meine Schuhe sind total nass.” Ich zucke mit den Schultern.
Der Regen wird stärker. Es ist eiskalt und mittlerweile stockdunkel geworden. Einige der Jungs machen sich einen Spaß daraus, vorauszurennen, im Wald zu verschwinden, zurückzukommen und aus den Büschen zu springen – was einige Schüler vollends in die Verzweiflung stürzt. “Herr Klinge, da bewegt sich was!”, kreischt jemand. “Ein Frosch”, quitscht jemand anderes. “Hier sind überall Frösche!” “Iiiehhhh”. Und tatsächlich. Gefühlt eine Million Frösche machen sich bei absoluter Dunkelheit und strömendem Regen auf den gleichen Weg wie wir. “Vielleicht haben die auch Klassenfahrt und müssen einmal um den See?”, mutmaße ich und ernte böse Blicke. Da ist erst die Hälfte der Strecke geschafft. Mittlerweile läuft mir das Wasser den Rücken runter.
Doch plötzlich schlägt die Stimmung um. Die ersten fangen an, die Sache mit Humor zu nehmen. Vielleicht haben sie das meckern satt. Es ist auch einfach zu skurril. Bei absoluter Finsternis rennen wir um die Wette (“Herr Klinge, Sie sind ja schnell” ), immer bemüht, nicht auf irgendwelche Froschkarawanen zu treten. Dann wieder Spaziergang. Irgendwer springt keuchend und kreischend aus dem Gebüsch. Ein Frosch quakt gequält, weil ein Schüler ihn ein Stück des Wegs mitnimmt. Doch der Regen lässt nach. Und nach anderthalb Stunden kommen wir völlig durchnässt aber gut gelaunt wieder in unserem Haus an und jeder freut sich auf eine heiße Dusche. Die schlechte Stimmung ist weg, das Laufen hat gut getan.
Es war scheißwetter. Scheißkalt. Scheißdunkel. Scheißfrösche. Aber es hat Sauspaß gemacht. Und auch das ist eine gute Erfahrung gewesen: Manches kann man einfach mit Humor nehmen.
Sehr schön. Vor allem die Sache mit der Wanderung! Ich habe nur beim Lesen die Luft angehalten und war froh über den Ausgang. 😉
Wie gut, dass keiner wusste, dass die Strecke um die Obernau herum 10 Km lang ist 😉
Seltsam – auf dem Asphalt standen als Entfernungsmarker nur 5,5km…
Was bin ich denn da bitte gejoggt :-O
Ganz einfach – das war die Breitenbach-Talsperre. Die leigt nämlich bei Allenbach. Das Bild zeigt aber die Obernau. Jaja, in Zeiten von GPS – wohl einen Kompass benutzt?!
Mit einem iPhone wäre das sicher nicht passiert 😉
warum sind scheisserfahrungen im nachhinein oft so toll?
Spaziergaenge im Regen
Referate
Lampenfieber
Bungeespringen
Auslandsaufenthalte
Marathonlaeufe
Sind wir zu „mehr“ geboren?
oh und hast du love wins schon bekommen? die (konservativen) frommen laeden in diesem land scheinen es zu boykottieren…
muss ich wohl im juni in D bestellen, wenn ich mal wieder da bin
Via Amazon. Großartiges Buch.
Geil! Die Schüler zu ihrem Glück zwingen ist oft ne gute Sache! Man ist schnell bestrebt nachzugeben, wenn die ersten Schwierigkeiten auftreten. Aber im Nachhinein, wenn die Schüler sich an die Situation gewöhnt haben, quieken sie (fast) alle vor Freude 🙂
Und wenn die Schüler, obwohl durchgenässt und eiskalt, sich danach keine Erkältung geholt haben, ist ja alles gut.
Ganz zu schweigen von Froschtraumata. 😉
Wie viel paar Tage später wohl eine Erkältung hatten? Aber immerhin haben die Kids dann mal was abseits von den oftmals eintönigen Erlebnissen bei einer Klassenfahrt. So schnell werden die das sicherlich nicht vergessen