Der folgende Kommentar bezieht sich auf den Artikel “Disziplinlose Schüler überfordern deutsche Lehrer” von welt.de.
Es ist mal wieder soweit – eine Studie macht uns mal wieder klar, wie entsetzlich die Jugend und überfordert die Lehrer dieses Landes sind. Die Studie mit dem Titel „Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik: Eine Studie zum Prestige des Lehrerberufs und zur Situation an den Schulen in Deutschland“, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland durchgeführt hat, erzählt uns das. ‘Die Welt’ liefert uns entsetzliche Bilder zur Fragestellung: “Gab es in Ihrem Berufsleben schon einmal Situationen, in denen Sie die Belastungen, die Ihr Beruf mit sich bringt, nahezu unerträglich gefunden haben, oder war es noch nie so schlimm?”
Als Mathematiker machen mich Statistiken ja regelmäßig wütend neugierig. (Kurzer Zwischengedanke: Wenn die oben genannte Frage Ärzten gestellt würde, wie würden die ihre Arbeitsbedingungen beschreiben? Und Polizisten? Oder Bäcker unter dem Druck der Billig-Bäckereiketten?). Es ist doch völlig klar, dass man durch die Art der Frage bestimmte Ergebnisse forcieren kann. “Haben Sie mehr Angst vor Islamistischem Terror oder Arbeitslosigkeit?”
Es bringt natürlich nicht so viele Leser, aber in der Studie stehen noch andere, durchaus interessante Zahlen: Bei 70% aller Lehrern überwiegt die Freude im Beruf.
70%.
Deutlich frustriert sind überhaupt nur 4% der Befragten. Das ist ja nicht soviel, oder?
Auch hier gilt – diese Werte sind gar nichts wert, wenn man sie nicht vergleichen kann. Ist der Prozentsatz der frustrierten Polizisten geringer? Oder der Krankenschwestern? Ich wage es zu bezweifeln. (Kurzer Gedanke: Ein erhöhtes Suizidrisiko weisen Berufe wie Mediziner (besonders Zahnärzte), Manager, Metzger, Dachdecker, Maler und Land- und Forstwirte auf. Lehrer eher nicht.)
Als wirklich ärgerlich empfinde ich überdies die Verklärung der Vergangenheit:
Ohne jede Frage stehen wir als Lehrer vor neuen Herausforderungen in Bezug auf Disziplin und Motivation der Schüler. Aber ich kenne eine ganze Menge sensationeller Geschichten “von früher”, die heute völlig undenkbar wären. Und zwar nicht nur von Schülern – auch von Lehrern. Früher war immer alles besser und einfacher. Aber das gilt doch für jede Berufsgruppe, oder nicht? Sehr beeindruckend fand ich den Kommentar von Christoph Biermann im Spiegel über den “modernen Fußball”:
“Bei meinem zweiten Besuch im Stadion in der Castroper Straße in Bochum sah ich, wie ein paar Bochumer einen Düsseldorfer über die Ränge jagten. Als er stürzte sprangen sie auf ihm herum als sei er ein Trampolin.
[…]
Auch wurden Geschmacklosigkeiten gesungen: „Gib Gas, gib Gas, wenn Hitler mit den Schalkern in die Gaskammer rast.“ Oder: „Schlagt die Kölner tot!“ Das war nicht nur Maulheldentum. Im Oktober 1982 wurde der 16-jährige Glaserlehrling Adrian Maleika, ein Fan von Werder Bremen, auf dem Weg ins Hamburger Volksparkstadion von einem Stein tödlich am Kopf getroffen.”
Nicht alles war früher besser.
Und ja, auch die Arbeit mit den Eltern ist sicher schwieriger geworden. Positiv könnte man formulieren, dass viele Eltern selbstbewusster sind als früher, sie mischen sich mehr ein. Natürlich ist es leichter, wenn ich als Lehrer einfach mit der “Fünf” drohen kann, um mir als “Autoritätsperson” jede überengagierte Mutter vom Leib zu halten – und es soll mir keiner erzählen, dass dies “früher” nicht geschehen sei.
Ja, dieser Beruf ist anstrengend. Mindestens so anstrengend wie besserwissende engagierte Väter und dreißig Fünftklässler sind aber die Verwaltungs- und Organisationsaufgaben. Das sind Dinge, die nicht nur keinen Spaß machen, sondern z.T. völlig überflüssig sind und Zeit und Energie kosten. Beispiel gefällig? Die Kollegen in Sachsen sollen eine Liste erstellen, welche Dokumente sie wann wie oft an wen kopiert haben (Und wenn da irgendwann steht: “Mein Kampf”, Seite 48-52, 30x kopiert” , wird dann der Verfassungsschutz aktiv?). Ja, auch damit verbringen Lehrer ihre Nachmittage. Und mit dem Zählen von Fehlstunden. Und..und..und..
Schade, dass sich die Studie nicht auch damit befasst hat.
Die gesamte Studie findet man übrigens hier. (Und an dieser Stelle ein freundlicher Gruß an die Journalisten der ‘Welt’ – es wäre wirklich toll, wenn man sich nicht umständlich und mühsam und zeitaufwändig (trotz meines Halbtagsjobs…) solche Studien selbst ergooglen müsste. Ein Link tut nicht weh .
Danke für die Zusammenfassung. Jetzt habe ich allerdings so gar keine Lust, dem Link zur Studie zu folgen.
Habe gleich überlegt, wie ich geantwortet hätte. „Nahezu unerträglich“ hätte ich wörtlich genommen, und auch wenn es – selten – mal schlimm war, da ging immer noch eine ganze Menge mehr, bevor es unerträglich geworden wäre und ich mich hätte krankschreiben lassen müssen. Aber andere verstehen vielleicht anderes darunter.
Ich hätte aber auch nicht gesagt, dass sich das Verhalten der Schüler verschlechtert hat.
Oh, bitte nicht in Sachsen !!!! Das war doch in Thüringen mit den Kopie-Listen.
Aber wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke … solche Disziplinverstöße gab es nicht, vielleicht vereinzelt … und wenn dann gabs ’ne Schulversetzung.
Ich unterhalte gern meine Schüler mit Anekdoten, mache ihnen vor, wie wir sitzen mussten und uns melden mussten … nicht einfach Arm hoch und auf keinen Fall schnipsen … ne,ne.
Es gibt Situationen, wo ich verzweifel. Aber weniger wegen den Kindern, sondern eher wegen der Situation. Wegen mangelnder Hilfe seitens des Jugend- oder Ordnungsamtes und diese ganzen Verwaltungsakte … gggrrrrr!
Ja.. das früher alles besser war halte ich ein Stück weit für eine Illusion. Bis auf den Verwaltungskram – der hat sicherlich zugenommen. Aber überall.