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#1: Jemand schrieb etwas nieder.

Klasse 13. Deutsch Grundkurs.
Es geht um Hiob. Jene tragische Gestalt aus der Bibel, die zunächst ein gesegnetes Leben führt und dann entsetzliches Unheil erlebt.
In einer Klausur bewertet ein Schüler das Ende der Geschichte:

Dass Gott Hiob schließlich wieder Kinder schenkt, ist kein Trost. Denn wer will schon geschenkte Kinder? Die eigenen sind doch unersetzlich!!

Skurril.

imageIch bin mit einer Pastorin verheiratet – und das eröffnet mir immer wieder Ansichten und Erkenntnisse, vor denen ich nur ehrfürchtig dasitzen kann.

Hin und wieder habe ich das hier erwähnt. Natürlich wird das eine ganze Menge von euch überhaupt nicht interessieren. Ein paar werden meinen Gedanken zustimmen, andere widersprechen. All das ist, glaube ich, gar nicht so wichtig.

Zum einen nutze ich den Blog und den Akt des Schreibens als eine Form der Verarbeitung. Ich durchdenke und begrüble verschiedene Dinge, während ich schreibe. Das geht sicher vielen Bloggern so. Bei Serverkosten von 17,79 € im Jahr für das Blog ist das billiger, als einen Psychotherapeuten zu engagieren.

Vor einigen Wochen begann der Pastor Rob Bell einen Blog zu führen, indem der ein wenig durch die Bibel streift. Ich finde den ganz spannend – und kenne genug Leute, die das gerne lesen würden, deren Englisch aber zu schlecht ist. Mit clip_image001Rob Bells freundlicher Erlaubnis darf ich seine Texte schamlos kopieren, übersetzen und hier posten. Vieles ist von ihm – hier und da habe ich eigene Gedanken ergänzt. Für mich ist es… atemberaubend – womöglich zieht der ein oder andere hier und da neue Erkenntnisse an Land.

Genug der Vorrede – los geht’s:

Für viele ist ersichtlich, dass die Bibel eine Art Bibliothek ist (ja, eine „Bibliothek“. Mehr dazu später…), die die westliche Zivilisation tief geprägt hat – ohne dass man mehr weiß, als ein diffuses „ging es da nicht um ‚David tötet Goliath‘?“ (obwohl wir in Samuel 2 lesen können, dass ein Mann namens Elhanan Goliath getötet hat) oder dass es um ominöse Warnungen über das Ende der Welt geht (was eine Art Post-9/11-Trend zu sein scheint) oder um Geschichten von Jesus, der Wasser in Wein verwandelt (Wirklich? Das ist das erste Wunder? Er ermöglicht Leuten ein Feiern ohne Ende?)

Andere wiederum sind jemandem begegnet, der die Bibel zitiert hat und einen zurücklässt mit dem Gedanken, dass so etwas unmöglich in der Bibel stehen kann. Und doch sind wir oft nicht besser oder schlechter informiert, als dass wir gegen solche Zitate mehr als ein Kopfschütteln zuwege bringen könnten.

Aber es gibt auch Menschen, die die Bibel aus dem Konzept gebracht hat. Die ein Erlebnis, einen Moment der Erkenntnis hatten. Die etwas in der Bibel entdeckt haben, was ihrem Leben entsprach. Jemand, der vielleicht ungerecht behandelt wurde und in einem ehrlichen Moment zugeben musste, dass er seinem Gegenüber einen qualvollen und bunt ausgeschmückten Tod wünschte – nur um zu entdecken, dass genau diese Impulse in vielen Details in den Psalmen zu finden sind. Wie kommt es, dass jemand vor tausenden Jahren, an einem anderen Ort, in einer anderen Sprache und einer völlig anderen Kultur etwas geschrieben hat, dass in so feinen Details genau das ausdrückt, was ich heute in meinem Leben zwischen Internet und Smartphones wiederfinde?

Wie kann etwas, das von Millionen Menschen als irrelevant verworfen wurde, so relevant in mein Leben sprechen?

Gute Fragen.

Fragen, zu denen wir noch kommen werden.

In der nächsten Zeit will ich darüber nachdenken, wie die Bibel entstanden ist. Anschließend über

Flut
und
Fisch
und
Türme
und
Kindesopfer

grübeln und alles der Reihe nach erforschen und durchdenken um vielleicht zu erfahren, was da unterhalb der Oberfläche der Bibel los ist.

Womöglich etwas schreiben über die verschiedenen Arten, wie vielen Menschen beigebracht wird, über die Bibel zu reden und zu denken, nämlich

als das Wort Gottes, das Heilige Buch, das lebendige Wort, Grundsätze für das Leben, das Wort, der absolute Standard, die ABSOLUTE WAHRHEIT OHNE JEDEN KOMPROMISS, Gottes Sicht über die Welt, das ultimative Benutzerhandbuch, und so weiter

und vielleicht ein paar Gedanken darüber, wieso diese Form des Denkens und Redens über die Bibel meiner Ansicht nach nicht mehr funktioniert. Zumindest für viele, viele Leute.

All das führt womöglich zu einer Reihe, die dem ein oder anderen ein Verständnis der Bibel nahebringt. Ein Verständnis nicht nur des Kopfes, sondern auch des Geistes und des Herzens. Denn die Bibel ist ein trendiges, antikes, poetisches, abstoßendes, provokantes, geheimnisvolles, aufschlussreiches Buch voller Skandale und inspirierenden Sammlungen von Büchern, die alle eine Geschichte erzählen und ich glaube, diese Geschichte ist es wert, gehört zu werden.

Zunächst aber ein paar Gedanken, wie wir die Bibel erhalten haben, denn:

Jemand schrieb etwas auf.

Das ist natürlich offensichtlich – aber ein wichtiger Ausgangspunkt.

Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, sondern sie ist von verschiedenen Leuten aufgeschrieben worden.

Wiederum offensichtlich, aber es hilft, einen gemeinsamen Anfangspunkt zu finden.

Viele Geschichten der Bibel begannen als mündliche Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, bis irgendwer sie gesammelt, bearbeitet und schließlich aufgeschrieben hat – manchmal viele hundert Jahre nach der Entstehung. Das sind Jahre um Jahre, die Menschen um die Lagerfeuer saßen und staubige Pfade langwanderten, in Versammlungen saßen und zuhörten, diskutierten und mit diesen Geschichten rangen.

Diejenigen, die die Geschichten schließlich aufschrieben, hatten vermutlich eine Menge Material, aus dem sie auswählen konnten. Hunderte von Geschichten und Anekdoten und Gedichten und Liedern, die es wert warten, aufgeschrieben zu werden. Oder auch nicht.

(Es gibt eine Zeile in dem Buch Könige des Alten Testaments, in der der Autor schreibt:

Alles, was es sonst noch über Salomo zu berichten gibt, über seine Regierungstätigkeit und über seine Weisheit, ist in der amtlichen Chronik Salomos nachzulesen.

Naja.. wir haben die „amtliche Chronik Salomos“ nicht und ich habe auch keine Ahnung, was da drinstehen könnte. Spannend ist, dass der Autor nicht nur annimmt, dass wir die amtliche Chronik natürlich kennen, sondern auch, dass wir Zugriff darauf haben. Beides ist nicht der Fall.

Etwas ähnliches findet sich im Johannesevangelium, wo wir lesen

Die Jünger erlebten noch viele andere Wunder Jesu, die nicht in diesem Buch geschildert werden.

und dann endet das Buch mit der Zeile:

Noch vieles mehr hat Jesus getan. Aber wollte man das alles eins nach dem anderen aufschreiben – mir scheint, es wäre wohl auf der ganzen Welt nicht genügend Platz für die vielen Bücher, die dann noch geschrieben werden müssten.

Es ist, als würde der Autor schreiben: Übrigens, ich habe hier eine Menge Zeug auf dem Schreibtisch liegen.)

Die Autoren der Bibel schrieben also nicht einfach auf, was Gott ihnen ins Hirn diktierte, sondern sie wählten aus, bearbeiteten und trafen viele Entscheidungen darüber, welche Materialien und Inhalte sie beibehielten, und welche nicht.

Sie hatten klare Vorstellungen.

Lukas: Nun habe auch ich mich sehr darum bemüht, alles von Anfang an genau zu erfahren. Ich will es dir, lieber Theophilus, jetzt der Reihe nach berichten.

Das Buch Esther: Und es geschah in den Tagen des…

Johannes: Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt…,

Es gibt bestimmte Punkte, auf die die Autoren hinaus-, Einsichten, die sie teilen wollten. Ihnen war es wichtig, zu betonen, dass sie über konkrete Ereignisse mit konkreten Menschen zu bestimmten Zeiten sprachen. Und ihre Zwecke und Absichten und Tagesordnungen waren geprägt von den Orten, von Wirtschaft und Politik und Religion und Technologie und den Zeiten, in denen sie lebten. (Und bestimmt noch weiteren Faktoren.)

Was sagt die Geschichte über die Welt von Abraham aus, wenn wir lesen, dass er seinen Sohn Gott opfern soll und dies auch ohne zu Zögern in Angriff nimmt?

Die David vs. Goliath-Geschichte beginnt mit Technologie: Die Philister hatten eine neue Art von Metall, die Söhne Israels haben sie nicht. Die ganze Geschichte ist geprägt von der Angst, die man hat, wenn der Nachbar mit Waffen prahlt, die man selbst nicht hat – wie Speere. Oder Gewehre. Oder Bomben.

Warum schreibt der Apostel Petrus „denn auch kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben„? Woher hat er diesen Ausdruck und welche Bilder militärischer Propaganda wird diese Wendung bei den Zuhörern damals hervorgerufen haben?

Wirkliche Menschen
schrieben an wirklichen Orten
zu realen Zeiten
mit bestimmten Vorstellungen,
die bestimmtes Material einbezogen,
die bestimmtes Material außen vorließen,
und das alles, um Geschichten zu erzählen.

Das alles im Kopf – nur noch zwei Gedanken, um die Einleitung abzurunden:

Erstens: Die Bibel ist für manche nur eine Sammlung von alten Büchern. Bücher von Leuten geschrieben. Nichts weiter. Für andere ist die Bibel eine Sammlung von Büchern, aber gleichzeitig ist es auch mehr als das. Es sind Bücher und gleichsam mehr als Bücher.

Wir kommen später noch auf Worte wie „Inspiration“ und „Offenbarung“, aber fürs erste reicht es, dass Offensichtliche festzuhalten: Die Bibel ist zuallererst eine Sammlung von Büchern, geschrieben von Menschen.

Ich schreibe das, weil es (besonders hier im Siegerland) auch Stimmen gibt, die das „Wort Gottes“ hochhalten mit seinen Ansprüchen an Göttlichkeit und Inspiration und Vollkommenheit, aber dann nicht mehr mit seiner Menschlichkeit klarkommen.

Warum unterscheiden sich die vier Evangelien in grundlegenden Details voneinander?

Warum gibt es keine klare Absage an die Polygamie? Oder die Sklaverei?

Warum sagt Paulus im Neuen Testament, dass er spricht, und nicht der Herr…?

Bleibt man in großer Beharrlichkeit, dass dies Gottes Wort ist und all die menschlichen Aspekte der Bücher negiert, dann raubt das der Bibel viel von ihrer Kraft.

Und alles, weil man an der falschen Stelle beginnt.

Der Anfang liegt beim Menschen. Wir stellen bestimmte Fragen, wir vertiefen uns in die Bibel, wir öffnen uns um zu verstehen, warum diese Menschen diese Bücher geschrieben haben.

Und zwar, weil, was auch immer an Göttlichem man in der Bibel finden mag – man findet es durch die Menschen, nicht um sie herum.

Zweitens: Ein bisschen über das fragen.

Oft, besonders aber wenn man über eine abstruse oder grausame Passage der Bibel stolpert, wird die Frage aufgeworfen:

Warum hat Gott das getan?

Das Problem dieser Frage ist, dass sie einen mit einer Art gordischen Knoten voller Antworten und weiterer Fragen zurücklässt (Wirklich? Gott sagte ihnen, dass sie alle Frauen und Kinder töten sollen? Gott hat das gemacht? Und wir sollen ihn akzeptieren nur weil er.. naja.. Gott ist?)

Diese Art Fragen.

Eine bessere Frage ist:

Warum fanden Menschen es wichtig, diese Geschichte zu erzählen?

gefolgt von

Was war es, dass sie bewogen hat, diese Geschichte aufzuschreiben?

und dann

Was sagt uns diese Passage/Geschichte/Vers/Buch darüber, wie die Menschen sich seinerzeit selbst und Gott sahen?

und dann

Was sagt uns die Geschichte heute und warum glauben immer noch Menschen, dass sie es wert ist, weitererzählt zu werden?

Ich möchte gerne eine dieser Geschichten so betrachten – die eine über Hochwasser – und dann genau diese Art von Fragen stellen.

Nächstes Mal also: Flut.

Dank geht an Rob Bell.

12 Gedanken zu „#1: Jemand schrieb etwas nieder.“

  1. Vielen Dank für den Beitrag! Zwar könnte ich das auch im original lesen, wäre aber nicht auf den Blog gekommen. Aber wenn das kleine app Zeichen oben leuchtet :p Ausserdem passt dieser Beitrag ganz wunderbar zu meiner letzten Relistunde (bestes Fach ever 😉 ) mit meinen 3ern, wo genau die Frage nach der Urheberschaft der Bibel aufgekommen ist und auch wenn ich da ein bisschen was weiss :p ist es immer hilfreich noch input zu bekommen. Wie ich meine Klasse in ihrer super Diskussionsfreudigkeit kenne, wird sie das die nächsten Wochen immer wieder beschäftigen. (immer wieder faszinierend zu sehen, dass es dieselben Fragen sind, die Menschen schon seit Jahrtausenden beschäftigen). Euch einen schönen Sonntag!

  2. Danke für den interessanten Post. Da du ja „nur“ übersetzt hast, will ich aber trotzdem kurz meckern, was die Goliat-Stelle anbelangt.
    Rob Bell ist da ziemlich selektiv vorgegangen, da Goliat an vier Stellen erwähnt wird und nur eine davon Elhanan erwähnt:
    1. Samuel 17, 4-7 -> David tötet Goliat auf die bekannte Weise
    1. Samuel 21,10 -> David auf der Flucht bekommt das Schwert Goliats den er getötet hat
    2. Samuel 21, 16-17A -> Elhanan tötet Goliat, David ist nur als Kriegsherr am Ruhm beteiligt
    und
    1. Chronik 20, 4-8 -> Elhanan tötet den -> Bruder <- Goliats

    Daher finde ich den Kommentar von Bell an dieser Stelle ein wenig irre führend, da dieser impliziert, dass nur Elhanan Goliat getötet hat, obwohl 1 Bibelstelle direkt und 2 indirekt widersprechen, während die vierte dafür ist.

    Generell bin ich mir noch ein wenig unschlüssig, da mir dieser Text den Geschmack gibt, dass die Bibelstellen bzw Texte die untersucht werden nur als Texte ohne den eigentlichen göttlichen Hintergrund betrachtet werden sollen, also einfach als Texte die man nett lesen kann und seine Schlüsse daraus ziehen kann, da es ja Erlebnise von Menschen sind die ihnen zufällig passiert sind.

    Denke der nächste Post, falls du ihn auch über den nachfolgenden Artikel von Bell machst, dürfte über die Sintflut sein, bin gespannt was er daraus macht und ob sich mein "Verdacht" verhärtet, aber dennoch danke für diese ausgezeichnete Übersetzung.

  3. „Wer darf ihn nennen?
    Und wer bekennen:
    Ich glaub ihn?
    Wer empfinden
    Und sich unterwinden
    Zu sagen: ich glaub ihn nicht? …
    Nenn es dann, wie du willst,
    Nenn’s Glück, Herz! Liebe! Gott!
    Ich habe keinen Namen
    Dafür!“ Faust, Goethe

    Ich bin nicht gläubig.
    Ich bin nicht so erzogen worden und als ich durch eine Freundin zur Christenlehre mitgenommen worden bin, hat mich ein Ereignis in der Altenbetreuung davon abgebracht, weiter dahin zu gehen.
    Wenn mich Kinder fragen, ob es einen Gott gibt, muss ich ehrlich sagen, ich weiß es nicht. So würde ich mich eher zu den Agnostikern zählen, denn zu den Atheisten.
    In schlimmen Zeiten hoffe ich auf Hilfe, von wem auch immer. Man könnte es beten nennen. Aber ich denke, dass eher meine verstorbene Oma „ein Auge“ auf mich hat.
    Meine Tochter ging in der Grundschulzeit in eine christliche Schule. Daher musste ich mich ein wenig mit der Bibel befassen. Aber das fiel mir so unheimlich schwer. Vieles, was da geschrieben steht, kann man kaum glauben. Immer wieder stolpert man über Situationen, wo man meint, das gibt’s doch gar nicht! Ich habe die Bibel nie komplett gelesen, sie ist mir zu kompliziert, man muss sich da gänzlich drauf einlassen, das ist mir noch nicht gelungen.
    Aber Bücher über die Bibel (auch für Kinder – die sind so leicht verständlich 😉 ), die habe ich gelesen, stellenweise, was mich interessierte.

    Ich bin gespannt auf die nächsten Blogeinträge, denn ich möchte mehr erfahren.
    Danke dafür.

    1. „Wenn mich Kinder fragen, ob es einen Gott gibt, muss ich ehrlich sagen, ich weiß es nicht.“

      So sollte jeder gläubige Mensch antworten, denn Glauben ist eben genau das: Etwas nicht wissen und es doch für wahr halten.

  4. mitten in Europa, nach Jahrhunderten der Aufklärung, immer noch das schwachsinnige, substanzlose Geschwafel… Wann werden wir diese Krankheit endlich überwinden?

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